Kleine Anfrage 3908des Abgeordneten Dr. Christian Blex vom 26.06.2020
Stilllegung Tönnies-Schlachthof – Auswirkungen auf die Landwirte
Nach einem Corona-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück gibt es bisher 1.331 registrierte Corona-Neuinfektionen1. Infolge dieses Ausbruchs wird nun bei allen Mitarbeitern am Standort nach dem COVID-19-Erreger geforscht. Es ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass nicht alle Infizierten auch Krankheitssymptome zeigten. Der Zerlegebetrieb wird jetzt geschlossen, die dort übliche Arbeit eingestellt; das bringt schwere Folgen für die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette mit sich. Bei den Viehhaltern ist ein Rückstau zu erwarten. Die Haltungskosten und der Platzbedarf steigen enorm; gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Gewinne der Viehhalter einbrechen werden.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie stellen sich aktuell die Krankheitssymptome bei nachweislich Infizierten (differenziert nach den Kategorien symptomfrei, unter Corona-Symptomen, z. B. Fieber oder Atembeschwerden, leidend oder in stationärer Behandlung) zum Zeitpunkt der Kleinen Anfrage dar?
- Der Schlachtbetrieb Tönnies schlachtet bisher pro Tag knapp 30.000 Schweine. Was geschieht mit dem Schlachtvieh, das ursprünglich der Firma Tönnies geliefert werden sollte?
- Wie wird sich nach Ansicht der Landesregierung die Schließung des Schlachtbetriebs auf die lokale Preisentwicklung (differenziert nach Fleischprodukten und Schlachtvieh) auswirken?
- Welche Hilfsmaßnahmen plant die Landesregierung zur Unterstützung von anderen in diesem Zusammenhang betroffenen Unternehmen (z. B. landwirtschaftlicher Betriebe, Speditionen oder Abnehmer der Tönnies Holding)?
Dr. Christian Blex
Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3908 mit Schreiben vom 28. Juli 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen beantwortet.
- Wie stellen sich aktuell die Krankheitssymptome bei nachweislich Infizierten (differenziert nach den Kategorien symptomfrei, unter Corona-Symptomen, z. B. Fieber oder Atembeschwerden, leidend oder in stationärer Behandlung) zum Zeitpunkt der Kleinen Anfrage dar?
Aufgrund der Ausrichtung der Kleinen Anfrage auf die Stilllegungen von Betrieben der Tönnies-Unternehmensgruppe beziehen sich die nachfolgend aufgeführten Tabellen auf das regionale Infektionsgeschehen in den Kreisen Gütersloh, Warendorf, Hamm, und Soest sowie den kreisfreien Städte Münster und Bielefeld.
Fälle insgesamt 2020:
Klinische Informationen | Alle Fälle der betroffenen Kreise |
Anteil [%] | Ausbruchsfälle | Anteil [%] |
Nicht verfügbar | 1.569 | 30 | 1.100 | 59 |
Verfügbar | 3.700 | 70 | 773 | 41 |
Davon symptomfrei | 220 | 6 | 70 | 9 |
Davon symptomatisch | 3.480 | 94 | 703 | 91 |
Gesamt | 5.269 | 1.873 |
Quelle: Meldungen nach §11 Infektionsschutzgesetz, Datenbank des LZG.NRW, Datenstand 2.7.2020, 0 Uhr.
Unter den symptomatischen Fällen wurden unter anderem die folgenden Symptome genannt. Die Fälle können mehrere Symptome aufgewiesen haben, daher übersteigt die Gesamtzahl der genannten Symptome die Zahl der Fälle mit entsprechender Angabe.
Alle Fälle 2020 | ||
Genannte Symptome (Auszug) | Alle Fälle der betroffenen Kreise |
Ausbruchsfälle |
Husten | 1.849 | 203 |
Halsschmerzen | 736 | 45 |
Schnupfen | 970 | 148 |
Dyspnoe | 179 | 14 |
Pneumonie | 38 | 1 |
Fieber | 1.169 | 88 |
Tachykardie | 5 | 1 |
Hospitalisiert | 470 | 31 |
Quelle: Meldungen nach §11 Infektionsschutzgesetz, Datenbank des LZG.NRW, Datenstand 2.7.2020, 0 Uhr.
- Der Schlachtbetrieb Tönnies schlachtet bisher pro Tag knapp 30.000 Schweine. Was geschieht mit dem Schlachtvieh, das ursprünglich der Firma Tönnies geliefert werden sollte?
Durch die Schließung von Schlachthöfen haben sich die wöchentlichen Schlachtkapazitäten in Nordrhein-Westfalen um ca. 40 % verringert. Auch wenn die Betriebe versucht haben, Tiere an andere Standorte teils deutschlandweit umzuleiten, haben wöchentliche Schlachtkapazitäten für ca. 70.000 schlachtreife Mastschweine gefehlt. Aktuell ist durch die Wiederaufnahme der Schlachtung und Zerlegung bei Tönnies von einer Verbesserung der Situation auszugehen. Allerdings wird es längere Zeit dauern, bis der Überhang an Schlachtschweinen abgebaut werden kann.
Die Landesregierung unterstützt insoweit die örtlich zuständigen Behörden bei dem Bemühen, unter der Prämisse eines sichergestellten Infektionsschutzes einen gesicherten Betrieb in dem Schlachtbetrieb langfristig zu ermöglichen. Insoweit konnten jeweils auf Basis abgestimmter und geprüfter Infektionsschutz- und Hygienekonzepte der Firma Tönnies schrittweise Ausnahmen von der durch die Stadt Rheda-Wiedenbrück auf Grundlage des § 28 Infektionsschutzgesetz verfügten Verlängerung der Schließungsanordnung zugelassen werden. Seit dem 10.07.2020 können Verwaltung und Logistik unter entsprechenden Auflagen wieder arbeiten, seit dem 13.07.2020 der Convenience-Bereich, seit dem 16.06.2020 Schlachtung und Blutverarbeitung und seit dem 17.07.2020 auch die Zerlegung.
Durch die vor diesen Öffnungsschritten zunächst erforderliche Verlängerung der Schließung des Schlachthofs über den 02.07.2020 hinaus stoßen die Möglichkeiten, Ferkel und schlachtreife Tiere länger auf den Betrieben zu halten, aber auf Schwierigkeiten. Die Landesregierung steht dazu mit den Verbänden in regelmäßigem Austausch und hat wiederholt gebeten, auf den Berufsstand einzuwirken, freie Stallkapazitäten zu nutzen und, wo notwendig, auch eine befristete Bestandsreduktion nicht auszuschließen.
Da es bei fehlenden Schlachtkapazitäten insbesondere auch zu Problemen beim Absatz von Ferkeln kommen kann, ist der Berufsstand gefordert, möglichst Ferkel aus Betrieben zu beziehen, die wegen der Schlachthofschließungen Absatzprobleme haben.
Die Landesregierung begrüßt es sehr, dass die Landwirtschaftsverbände bereits reagiert und ihren Mitgliedern ein Konzeptpapier zur tiergerechten Haltung zur Verfügung gestellt haben.
- Wie wird sich nach Ansicht der Landesregierung die Schließung des Schlachtbetriebs auf die lokale Preisentwicklung (differenziert nach Fleischprodukten und Schlachtvieh) auswirken?
Aufgrund der herausragenden Stellung der nordrhein-westfälischen Schweinehaltung und Schlachtungen wirken sich die Schließungen von Schlachtöfen und eingeschränkten Verarbeitungskapazitäten auf die Preise deutschlandweit bis in die benachbarten Länder aus. Die Preise in Deutschland für Schlachtschweine sind von 2 EUR/kg Schlachtgewicht deutlich gesunken und liegen zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Frage bei unter 1,50 EUR/kg Schlachtgewicht. Die Landesregierung folgt der Einschätzung von Marktexperten, dass die weitere Preisentwicklung entscheidend davon abhängt, dass die Schlachtkapazitäten wieder ausgeweitet werden.
Die Verbraucherpreise für Fleisch sind seit Anfang des Jahres gestiegen und befinden sich auf einem hohen Niveau. Sie werden mit einem Zeitverzug dem Trend der Erzeugerpreise voraussichtlich folgen und sinken.
- Welche Hilfsmaßnahmen plant die Landesregierung zur Unterstützung von anderen in diesem Zusammenhang betroffenen Unternehmen (z. B. landwirtschaftlicher Betriebe, Speditionen oder Abnehmer der Tönnies Holding)?
Im Vordergrund steht, dass die Betriebe mit Tierhaltung die in der Antwort zu Frage 2 dargestellten Möglichkeiten voll ausschöpfen, die Schlachtbetriebe Warenströme umleiten und vor allem schnell die Voraussetzungen schaffen, die Schlachtkapazitäten wieder zu erhöhen.
Zur Unterstützung aller kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ihren Geschäftsbetrieb im Zuge der Corona Krise ganz oder teilweise einstellen müssen, wurde seitens der Bundesregierung ein Programm für Überbrückungshilfen zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz dieser Akteure aufgelegt.
Das Programm umfasst die Gewährung eines Förderbetrags, durch den die laufenden Fixkosten der Unternehmen gedeckt werden können. Die Höhe des Förderbetrags hängt hierbei von der Höhe der entstandenen Umsatzeinbrüche ab. Maximal können für die drei Monate Juni bis August 2020 per Saldo 150.000 Euro Überbrückungshilfe pro Unternehmen gewährt werden.
Seitens der Landesregierung wird ein zusätzliches Programm auf Grundlage der Überbrückungshilfe für Solo-Selbständige, Freiberufler/-innen und im Unternehmen tätige Inhaber/-innen von Einzelunternehmen und Personengesellschaften geschaffen. Diese können im Rahmen des Programms für einen Zeitraum von maximal drei Monaten 1.000 Euro pro Monat zur Deckung der entstehenden Lebenshaltungskosten beantragen.
Weiterhin stehen den Unternehmen der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette die allgemeinen, während der Corona-Pandemie entwickelten Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Hierbei handelt es sich unter anderem um die Möglichkeit, unterstützende Kredite bei der NRW.Bank zu beantragen, sowie um die SchnellBürgschaft 100 (100 Prozent Verbürgungsgrad), mit der die Bürgschaftsbank Nordrhein-Westfalen seit Anfang Juni kleinen Unternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern für Kredite bis 250.000 Euro eine vollständige Besicherung bei festgeschriebenen Kreditkosten von max. einem Prozent pro Jahr sowie einer Bürgschaftsprovision in Höhe von 1,35 Prozent pro Jahr ermöglicht.
Zusätzlich unterstützt die Landesregierung die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, indem ihre Liquidität über steuerliche Hilfsmaßnahmen, beispielsweise Stundungen oder Senkungen von Vorauszahlungen, verbessert wird.