Kleine Anfrage 2406
des Abgeordneten Christian Loose AfD
Strompreiskompensation zur Reduktion der Folgen der eigenen Klimapolitik: Welche Unternehmen in NRW profitieren von dieser Beihilfe?
Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen leidet unter hohen Strompreisen. Im zweiten Halbjahr 2022 zahlten Unternehmen in Deutschland durchschnittlich rund 20 Cent pro Kilowattstunde Strom. Diese Preise liegen um mehr als 40 Prozent höher als in Ländern wie Frankreich oder Belgien und sind etwa dreieinhalb Mal so hoch wie in den USA.1
Die Folgen dieser hohen Strompreise haben weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaftsunternehmen in Nordrhein-Westfalen: Sie führen nicht nur zu steigenden Produktionskosten und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen im globalen Markt, sondern bergen auch die reale Gefahr einer weiteren Abwanderung wichtiger Industriezweige. Immense Arbeitsplatzverluste drohen in Nordrhein-Westfalen.
Besonders betroffen von den hohen Strompreisen sind dabei die stromintensiven Industriebranchen in Nordrhein-Westfalen, wie die Stahl- und Chemieindustrie. Die aktuellen Strompreise haben bereits zu negativen Prognoseanpassungen geführt. Die Stahlindustrie verzeichnet einen enormen Rückgang der Nachfrage. Die Rohstahlproduktion ist im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent auf 18,5 Millionen Tonnen gesunken.
Die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, warnt, dass die Stahlindustrie in Deutschland hauptsächlich unter dem Druck der zu hohen Stromkosten leidet.2 Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) geht derweil davon aus, dass es 2023 zu bedeutenden Einbrüchen bei Produktion und Umsatz kommen wird, mit einem erwarteten Rückgang der Produktion um 8 Prozent und einem möglichen Umsatzrückgang um 14 Prozent.3
Zur Senkung der Strompreise wird derzeit über einen subventionierten Industriestrompreis diskutiert.4 Langfristig sollen sich die Preise an den Kosten der sog. Erneuerbaren Energien orientieren (sog. Transformationsstrompreis). Bis zur Etablierung dieses Transformationsstrompreises plant das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Einführung eines Brückenstrompreises bis zum Jahr 2030, der unterhalb des marktlich ermittelten Börsenstrompreises liegt und ein Gesamtvolumen von 25 bis 30 Mrd. EUR umfasst.5 Statt einer Subvention hat die AfD Fraktion im Landtag NRW eine langfristig wirkende Reformierung des Strommarktes mit einem deutlich sinkenden Strompreis beantragt.6
Ein Faktor für den drastischen Anstieg der Strompreise ist der massive Anstieg der CO2-Zertifikatpreise im europäischen Emissionshandel (EU-ETS). Während sich die Preise über einen längeren Zeitraum, d. h. in den Jahren 2013 bis 2017, auf einem Preisniveau von um die 5 EUR pro Tonne CO2-Äquivalent eingependelt haben, erhöhten sie sich in den Jahren 2019 und 2020 bereits auf etwa 25 EUR und erreichten in den Folgejahren Werte um durchschnittlich 80 EUR.7 Ende Juli lagen die Preise sogar bei durchschnittlich knapp 89 EUR pro Tonne CO2-Äquivalent.8 Dabei erhalten Anlagenbetreiber seit der dritten Handelsperiode des EU-ETS (ab 2013) keine kostenlosen Zertifikatszuteilungen mehr für Emissionen aus der Stromerzeugung. Die Stromerzeuger reichen die CO2-Kosten der Stromerzeugung über die Einbeziehung dieser Kosten in die Gebotspreise an der Strombörse an die Stromkunden weiter. Von diesen sogenannten indirekten CO2-Kosten sind insbesondere stromintensive Industrieunternehmen, gerade auch in Nordrhein-Westfalen, betroffen.
Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit stromintensiver Unternehmen gegenüber Wettbewerbern zu erhalten, die keine indirekten CO2-Kosten tragen müssen, sowie um Produktionsverlagerungen und damit einen Anstieg der CO2-Emissionen in Staaten außerhalb des EU-ETS (sog. Carbon Leakage) zu reduzieren, gibt es seit 2013 die Möglichkeit, derartigen Unternehmen in begrenztem Rahmen einen Teil dieser indirekten Kosten durch Beihilfen zu erstatten.9
Nach der EU-Emissionshandels-Richtlinie können die Mitgliedstaaten zugunsten einzelner Branchen solche staatlichen Beihilfen gewähren.10 Die von der EU-Kommission veröffentlichten Beihilfenleitlinien legen Vorgaben fest, die bei der Umsetzung einer solchen Kompensation für indirekte CO2-Kosten einzuhalten sind.11 Sie wurden für den Zeitraum der vierten Handelsperiode (2021 bis 2030) überarbeitet. Die Bundesregierung hat von dieser Möglichkeit mit der SPK-Förderrichtlinie Gebrauch gemacht.12
Für die Antragsjahre 2021 bis 2026 sieht das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hierbei ein Gesamtvolumen von 12,1 Mrd. EUR vor.13 Allein für das Antragsjahr 2023 steht ein Gesamtbetrag von knapp 3 Mrd. EUR zur Verfügung.14
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
- Welche konkreten Auswirkungen haben die aktuellen Strompreise auf die Wirtschaftsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, insbesondere auf stromintensive Branchen wie die Stahl- und Chemieindustrie?
- Wie viele Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen haben Beihilfen für indirekte CO2-Kosten des EU-Emissionshandels (Strompreiskompensation) beantragt? (Bitte jahresscharf für den Zeitraum 2017 bis 2022, nach jeweiligem Wirtschaftszweig und Unternehmen aufschlüsseln.)
- Wie hoch waren die ausgezahlten Gesamtsummen (in EUR) der o. g. Beihilfen für Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen? (Bitte jahresscharf für den Zeitraum 2017 bis 2022 nach jeweiligem Wirtschaftszweig und Unternehmen aufschlüsseln.)
- Wie bewertet die Landesregierung die (relativ) geringe Höhe der Strompreiskompensation im Vergleich zur Subventionshöhe, die zur Realisierung des geplanten Brückenstrompreises im Raum steht?
- Hält die Landesregierung die Höhe der Strompreiskompensation angesichts der seit 2020 massiv gestiegenen CO2-Zertifikatspreise noch für angemessen?
Christian Loose
1 Vgl. https:// www .wiwo.de/my/politik/deutschland/vci-chef-warum-das-wirtschaftswunder-den-industriestrompreis-braucht/29280504.html, abgerufen am 02.08.2023.
2 Ebenda.
3 Vgl. https:// www .t-online.de/finanzen/aktuelles/wirtschaft/id_100214486/industriestrompreis-droht-deutschland-die-deindustrialisierung-.html, abgerufen am 02.08.2023.
4 Vgl. https:// www .tagesschau.de/wirtschaft/industriestrom-habeck-100.html, abgerufen am 02.08.2023.
5 Vgl. https:// www .welt.de/wirtschaft/energie/plus245188288/Habeck-will-mit-Brueckenstrompreis-Industrie-ueber-Jahre-subventionieren.html, abgerufen am 02.08.2023.
6 Vgl. den Antrag „Gute Energiepreise – gute Industrie: Industriestrom muss wieder bezahlbar werden!“ mit der Drucksachennummer 18/4572
7 Vgl. https:// de .statista.com/statistik/daten/studie/1304069/umfrage/preisentwicklung-von-co2-emissionsrechten-in-eu/, abgerufen am 28.07.2023.
8 Vgl. https:// www .boerse.de/rohstoffe/Co2-Emissionsrechtepreis/XC000A0C4KJ2, abgerufen am 28.07.2023.
9 Vgl. https:// www .dehst.de/DE/Strompreiskompensation/SPK_verstehen/spk-verstehen_node.html, abgerufen am 01.08.2023.
10 Vgl. Artikel 10a Abs. 6 der EU-Emissionshandels-Richtlinie (RL 2003/87/EG) in der Fassung vom 14.03.2018, https:// eur – lex.europa.eu/eli/dir/2003/87/oj, abgerufen am 01.08.2023.
11 Vgl. https:// eur -lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52020XC0925(01)&from=DE, abgerufen am 01.08.2023.
12 Vgl. https:// www .dehst.de/SharedDocs/downloads/DE/spk/Foerderrichtlinie_BAnz_01-09-
2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3, abgerufen am 27.07.2023.
13 Vgl. https:// www .bbh-blog.de/alle-themen/emissionshandel/eu-kommission-genehmigt-foerderrichtlinie-fuer-die-strompreiskompensation/, abgerufen am 28.07.2023.
14 Vgl. https:// www .dehst.de/DE/Strompreiskompensation/SPK_verstehen/spk-verstehen_node.html, abgerufen am
28.07.2023.
Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat die Kleine Anfrage 2406 mit Schreiben vom 2. Oktober 2023 namens der Landesregierung beantwortet.
- Welche konkreten Auswirkungen haben die aktuellen Strompreise auf die Wirtschaftsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, insbesondere auf stromintensive Branchen wie die Stahl- und Chemieindustrie?
Die hohen Stromkosten haben insbesondere bei energie- und handelsintensiven Unternehmen zu Wettbewerbsdruck gegenüber Industrieregionen mit günstigeren Energiepreisen, wie etwa Asien oder Nordamerika, geführt. Nordrhein-Westfalen ist durch den hohen Anteil an energieintensiver Industrie in besonderem Maße betroffen, gleichwohl sind die hohen Energiekosten eine gesamtdeutsche Herausforderung.
Die stromintensive Elektrostahlherstellung verzeichnete nach Angaben des Branchenverbandes Wirtschaftsvereinigung Stahl in Deutschland im Juli 2023 einen Produktionsrückgang von 17,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Auch in der Chemiebranche lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten. Nach Angaben des Branchenverbandes VCI lag die Produktion der chemischen Industrie in Deutschland in den ersten sechs Monaten des Jahres 16,5 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Mit durchschnittlich 77 Prozent waren die Kapazitäten nicht ausgelastet. Einer Mitgliederbefragung des Verbands nach melden zudem fast zwei Drittel der Unternehmen Gewinnrückgänge bis hin zu Verlusten. Angesichts der schwachen Industriekonjunktur geht der VCI für das Gesamtjahr 2023 von einem Rückgang der Chemieproduktion von elf Prozent aus.
Die aktuelle Lage lässt sich nicht ausschließlich auf die hohen Strompreise zurückführen, diese stellen jedoch eine zentrale Herausforderung dar. Daher hätte eine Einführung eines Brückenstrompreises für energie- und handelsintensive Unternehmen einen positiven Effekt auf die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen und nordrhein-westfälischen Wirtschaftsstandortes.
- Wie viele Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen haben Beihilfen für indirekte CO2-Kosten des EU-Emissionshandels (Strompreiskompensation) beantragt? (Bitte jahresscharf für den Zeitraum 2017 bis 2022, nach jeweiligem Wirtschaftszweig und Unternehmen aufschlüsseln.)
- Wie hoch waren die ausgezahlten Gesamtsummen (in EUR) der o. g. Beihilfen für Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen? (Bitte jahresscharf für den Zeitraum 2017 bis 2022 nach jeweiligem Wirtschaftszweig und Unternehmen aufschlüsseln.)
Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Strompreiskompensation fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Landesregierung. Der Landesregierung liegen hierzu keine Daten vor.
4. Wie bewertet die Landesregierung die (relativ) geringe Höhe der Strompreiskompensation im Vergleich zur Subventionshöhe, die zur Realisierung des geplanten Brückenstrompreises im Raum steht?
Die in der Kleinen Anfrage erwähnten Summen – der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz berechnete mögliche Finanzbedarf für den Brückenindustriestrompreis (ca. 25-30 Mrd. Euro bis 2030) und der für das Jahr 2023 für die Strompreiskompensation verfügbarer Gesamtbetrag (fast 3 Mrd. Euro für 2023) – beziehen sich auf unterschiedliche Zeiträume. Bezogen auf die gleiche Zeitspanne, würden diese Zahlen in vergleichbarer Größenordnung liegen. Die Strompreiskompensation und der Industriestrompreis sind zwei unterschiedliche Instrumente, mit jeweils unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen und Funktionsweisen. Des Weiteren richtet sich die Höhe der Strompreiskompensation nach einem durchschnittlichen Preis von Emissionsberechtigungen, wobei die Höhe des Brückenstrompreises sich nach dem durchschnittlichen Börsenstrompreis richten soll. Insofern können die für diese Instrumente vorgesehenen oder anvisierten Finanzmittel einem Vergleich nicht unterzogen werden.
5. Hält die Landesregierung die Höhe der Strompreiskompensation angesichts der seit 2020 massiv gestiegenen CO2-Zertifikatspreise noch für angemessen?
Die Höhe der Strompreiskompensation ist direkt vom Preis der Emissionsberechtigungen im Europäischen Emissionshandelssystem im jeweiligen Jahr abhängig. Dies bedeutet, dass mit der Verteuerung von Emissionsberechtigungen sich grundsätzlich die Höhe der Strompreiskompensation proportional erhöht. Die Landesregierung hält daher die Höhe der Strompreiskompensation insgesamt für angemessen.