Kleine Anfrage 4764der Abgeordneten Markus Wagner und Thomas Röckemann vom 16.12.2020
Ticken islamistische Zeitbomben in NRW-Justizvollzugsanstalten?
Ein islamistischer Syrer sticht in Dresden auf zwei Menschen ein. Der Mann war als gefährlich eingestuft, galt schon im Gefängnis als radikaler Islamist und wurde nach seiner Entlassung observiert. Abdullah al-H. H. griff am 4. Oktober 2020 in Dresden ein Paar aus Nordrhein-Westfalen mit Küchenmessern an und verletzte sie schwer. Eines der Opfer starb später.1
Deutsche Sicherheitsbehörden waren von einem ausländischen Geheimdienst vor dem mutmaßlichen Attentäter von Dresden gewarnt worden.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte im vergangenen Jahr einen Hinweis eines Partnerdienstes auf Abdullah al-H. H. erhalten und war gewarnt worden, dass der Syrer möglicherweise in die Planung eines Terroranschlags verwickelt sei. Der BND soll die Informationen jedoch nicht an den Verfassungsschutz weitergeleitet haben.2
In der Wiener Innenstadt schoss am Abend des 2. Novembers 2020 ein Angreifer um sich. Mindestens vier Passanten starben, darunter eine Deutsche. 22 Menschen sind verletzt, zum Teil schwer. Einige von ihnen schweben noch in Lebensgefahr.
Der mutmaßliche Täter wurde schließlich erschossen. Der österreichische Innen-minister sprach nach dem Anschlag von islamistischem Terror.3
Bei einem weiteren islamistischen Terroranschlag in Frankreich drang der Täter am Donnerstag, dem 29. Oktober 2020, in die Basilika Notre-Dame im Stadtzentrum von Nizza ein und griff drei Menschen an. Er tötete den 55-jährigen Küster und schlitzte einer 60-jährigen Frau die Kehle so weit auf, „dass es einer Enthauptung gleich-kommt“, wie es ein Staatsanwalt beschrieb. Eine ebenfalls angegriffene 44-jährige Frau konnte aus der Kirche fliehen, erlag dann aber ihren schweren Stichverletzungen.4
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt das islamistisch-terroristische Potenzial in Deutschland insgesamt auf derzeit 2060 Personen. Die Kölner Behörde geht allerdings bundesweit von 28.020 Islamisten aus. In deutschen Gefängnissen sitzen zur Zeit weit über 100 Islamisten ein, 17 davon alleine in NRW Justizvollzugsanstalten (JVA).5
Die Attentäter von Dresden und Wien waren nicht nur polizeibekannt, sie hatten auch bereits Haftstrafen verbüßt; ihre Sympathien zum sog. „Islamischen Staat“ (IS) waren den Sicherheitsbehörden bekannt, und sie standen nach ihrer Entlassung unter „Beobachtung“ bzw. wurden observiert.
Das Strafgesetzbuch sagt in seinem Paragraphen 57 Abs.1, dass eine Reststrafen-aussetzung (vorzeitige Haftentlassung) nach 2/3 der Strafvollstreckung erfolgen soll, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.
Bei einer solchen Entscheidung sind namentlich zu berücksichtigen:
- die Persönlichkeit des Verurteilten,
- sein Vorleben,
- die Umstände seiner Tat,
- das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts,
- das Verhalten des Verurteilten im Vollzug,
- seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie viele Gefangene mit islamistischen und islamistisch-terroristischen Bezügen wurden seit dem Jahre 2015 bis heute aus NRW-Justizvollzugsanstalten entlassen?
- Wie viele Gefangene mit islamistischen und islamistisch-terroristischen Bezügen wurden seit dem Jahre 2015 bis heute vor Verbüßung ihrer Gesamtfreiheitsstrafe vorzeitig aus der Haft entlassen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahren, Gesamtfreiheits-strafe und tatsächlicher Freiheitsstrafe.)
- Wie viele der 17 Personen mit islamistischen und islamistisch-terroristischen Bezügen in NRW-Justizvollzugsanstalten (JVA) werden bis zum Jahre 2025 voraus-sichtlich aus der Haft entlassen?
Markus Wagner
Thomas Röckemann
1 Vgl. https://www.n-tv.de/politik/Uber-100-Islamisten-in-deutschen-JVAs-article22118745.html.
2 Vgl. https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/dresden-anschlag-101.html.
3 Vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/terroranschlag-in-wien-is-terrormiliz-reklamiert-anschlag-von-wien-fuer-sich/26583870.html.
4 Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nizza-anschlag-attentaeter-100.html.
5 Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten-islamismus/islamistisches-personenpotenzial-2019.
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 4764 mit Schreiben vom 14. Januar 2021 namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie viele Gefangene mit islamistischen und islamistisch-terroristischen Bezügen wurden seit dem Jahre 2015 bis heute aus NRW-Justizvollzugsanstalten entlassen?
Seit 2015 sind 58 Gefangene mit islamistisch-terroristischen Bezügen entlassen worden. Der Begriff „islamistische Bezüge“ ist zu unspezifisch, um konkrete Angaben machen zu können.
- Wie viele Gefangene mit islamistischen und islamistisch-terroristischen Bezügen wurden seit dem Jahre 2015 bis heute vor Verbüßung ihrer Gesamtfreiheitsstrafe vorzeitig aus der Haft entlassen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahren, Gesamtfreiheitsstrafe und tatsächlicher Freiheitsstrafe.)
— siehe PDF —
- Wie viele der 17 Personen mit islamistischen und islamistisch-terroristischen Bezügen in NRW-Justizvollzugsanstalten (JVA) werden bis zum Jahre 2025 voraussichtlich aus der Haft entlassen?“
Von den in den nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten aktuell untergebrachten Gefangenen mit islamistisch-terroristischen Bezügen werden bis zum Jahr 2025 voraussichtlich 14 Strafgefangene entlassen. Darüber hinaus befinden sich derzeit 16 Untersuchungsgefangene in Haft, bei denen das mögliche Entlassungsdatum nicht prognostiziert werden kann.