Übergriffe auf Krankenhauspersonal in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 429
der Abgeordneten Markus Wagner und Dr. Martin Vincentz vom 08.09.2022

 

Übergriffe auf Krankenhauspersonal in Nordrhein-Westfalen

Bereits Ende Januar 2018 erkannten die Landtagsfraktion von CDU und FDP die Notwendig­keit, das Thema der „Gewalt gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte“ aufzugreifen und einen dementsprechenden schriftlichen Bericht der Landesregierung für die 10. Sitzung des Innenausschusses am 22. Februar 2018 zu beantragen.1 Unter anderem in Anlehnung an die besagte Innenausschusssitzung und vor allem im Hinblick auf den Schutz und die Unterstützung unserer Rettungskräfte hat die AfD-Fraktion den Antrag mit dem Titel „Gewalt gegen unsere Einsatz- und Rettungskräfte konsequent benennen, systematisch erforschen und selbstbewusst bekämpfen“, Drs. 17/2150 vom 13. März 2018 gestellt. Leider wurde er einstimmig von allen anderen Landtagsfraktionen abgelehnt.2

Das Thema ist leider aktueller denn je und die einzelnen Fälle nehmen in ihrer Intensität sogar noch zu. Nicht nur Rettungs- und Einsatzkräfte auf den Straßen sind von Gewaltübergriffen betroffen, sondern mittlerweile auch das Krankenhauspersonal. Nach Angaben von Welt.de kommt es alleine in Berlin jährlich zu mehr als 8.000 Einsätzen der Polizei in Krankenhäusern, wobei Großkliniken in der Innenstadt am häufigsten betroffen sind. Das Klinikpersonal ist dabei Drohungen und Angriffen von alkoholisierten Personen, aber auch insbesondere von Angehörigen aus dem Clan-Milieu ausgesetzt. Alleine die Vivantes-Klinik Friedrichshain zählte für das Jahr 2020 insgesamt 594 Polizeieinsätze sowie 583 in 2021.3

Obwohl aus den vergangenen Jahren Fälle bekannt sind, dass sich Verwandte eines verletz­ten oder getöteten Kriminellen in aggressiver Stimmung vor dem jeweiligen Krankenhaus versammelten, existiert keine statistische Erfassung. Somit kann auch keine Aussage über Banden- oder Clankriminalität sowie über die Anzahl von „tumultartigen Zusammenrottungen“ getätigt werden.4

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Gewaltvorfälle gegenüber Krankenhausangehörigen (Ärzte, Pflegekräfte und weiteres Personal) wurden vor beziehungsweise in Kliniken in Nordrhein-Westfalen seit 2015 registriert? (Bitte nach Jahr, Klinik und Anlass des Polizeieinsatzes aufschlüsseln.)
  2. Wie viele Strafanzeigen wurden seit 2015 von Seiten des nordrhein-westfälischen Klinikpersonals gestellt, das einer Bedrohung/einem Übergriff an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt war?
  3. Wie bewertet die Landesregierung die Bedrohungs- bzw. Gefahrenlage der Angestellten in nordrhein-westfälischen Kliniken, Opfer einer Straftat durch Patienten oder Angehörige zu werden?
  4. Was plant die Landesregierung, um das Krankenhauspersonal besser und effektiv vor Übergriffen durch Patienten oder deren Angehörige zu schützen?
  5. Erwägt die Landesregierung die Einführung einer statistischen Erfassung von Fällen in Krankenhäusern, bei denen Banden- oder Clankriminalität involviert war und es zu „tumultartigen Zusammenrottungen“ kam?

Markus Wagner
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith

 

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1 Vorlage 17/546, A9.

2 Vgl. Drs. 17/2150.

3 Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/article240459821/Berliner-Kliniken-Mehr-als-8000-Polizei-Einsaetze-pro-Jahr-Innenstadt-besonders-betroffen.html.

4 Vgl. https://www.zeit.de/news/2022-08/18/zahlreiche-angriffe-auf-pflegerinnen-und-sanitaeter.


Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 429 mit Schreiben vom 20. Oktober 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie viele Gewaltvorfälle gegenüber Krankenhausangehörigen (Ärzte, Pflegekräfte und weiteres Personal) wurden vor beziehungsweise in Kliniken in Nordrhein-Westfalen seit 2015 registriert? (Bitte nach Jahr, Klinik und Anlass des Polizeiein­satzes aufschlüsseln.)

Als Datenbasis für die Beantwortung der Fragen dient generell die Polizeiliche Kriminalstatis­tik. Diese wird nach bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien erstellt. In der Polizeilichen Kri­minalstatistik werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenhäusern nicht als separat ausweisbare Opfergruppe erfasst. Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik enthaltene Opfer-spezifik „Rettungsdienste“, welche Aussagen über die Anzahl der Widerstandshandlungen ge­gen oder tätlichen Angriffe auf diese Personengruppe zulässt, ist hier nicht anwendbar, da Krankenhausangehörige von dieser Opferspezifik weitgehend nicht erfasst werden. Die An­zahl der Gewalttaten, die sich gegen diesen Personenkreis richteten, kann daher auf Basis der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht beziffert werden. Gleiches gilt für die Anzahl der Straf­anzeigen, die gegebenenfalls durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenhäusern er­stattet wurden.

  1. Wie viele Strafanzeigen wurden seit 2015 von Seiten des nordrhein-westfälischen Klinikpersonals gestellt, das einer Bedrohung/einem Übergriff an seinem Arbeits­platz ausgesetzt war?

Dem Ministerium der Justiz und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales liegen dazu keine statistischen Daten vor.

Seit dem 01.01.2022 enthält der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch moti­vierten Kriminalität den Oberbegriff „Gesundheitswesen“ und die Unterbegriffe „Angehöriger des Gesundheitswesens“, „Einrichtung des Gesundheitswesens“ und „Fahrzeug des Gesund­heitswesens“. Eine Abfrage ergab drei Straftaten mit Bezug zu einem Krankenhaus in Nord­rhein-Westfalen. Bei keinem der Vorgänge handelte es sich um ein Gewaltdelikt.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Bedrohungs- bzw. Gefahrenlage der Ange­stellten in nordrhein-westfälischen Kliniken, Opfer einer Straftat durch Patienten oder Angehörige zu werden?

In den Krankenhäusern sind, nach einer Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts aus dem Jahr 2019, die Notaufnahmen besonders betroffen. Diese sind vor diesem Hintergrund in den besonderen Schutzbereich des § 115 Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Demnach macht sich strafbar, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feu­erwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes, eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert. Außerdem macht sich strafbar, wer die Hilfeleistenden in diesen Situationen tätlich angreift.

Zur Häufigkeit ergibt sich aus der o.g. Untersuchung ein Schätzwert von durchschnittlich ein bis zwei körperlichen oder verbalen Übergriffen pro Krankenhaus und Woche. Dabei sind ver­bale Übergriffe häufiger als körperliche Übergriffe. Über die Hälfte der befragten Krankenhäu­ser hat angegeben, dass die Anzahl der Übergriffe in den letzten Jahren gestiegen ist. Die Autoren der Untersuchung weisen einschränkend darauf hin, dass die tatsächlichen Werte aufgrund einer nicht quantifizierbaren Dunkelziffer vermutlich höher liegen. Sie weisen aber auch darauf hin, „dass verbale und vor allem körperliche Übergriffe auf Mitarbeiter durch Pati­enten und Dritte die Ausnahme und nicht die Regel in den deutschen Krankenhäusern sind.“

Mit Blick auf mögliche Maßnahmen gilt für das Krankenhauspersonal, wie für das übrige Ge­sundheitspersonal, dass Schulungsmaßnahmen (z.B. Deeskalationstrainings) und einrich­tungsbezogene Konzepte zur Gewaltprävention eine große Bedeutung haben. Dazu gibt es mittlerweile ein breites Angebot, das von den Krankenhäusern bzw. dem Krankenhausperso­nal, wie die o.g. Untersuchung zeigt, auch in Anspruch genommen wird.

Aus der o.g. Umfrage geht auch hervor, dass die überwiegende Zahl der Krankenhäuser be­reits jetzt jedenfalls körperliche Übergriffe strukturiert erfasst. Die Krankenhäuser setzen dabei unterschiedliche Instrumente in Abhängigkeit von ihren jeweiligen Bedürfnissen ein.

  1. Was plant die Landesregierung, um das Krankenhauspersonal besser und effektiv vor Übergriffen durch Patienten oder deren Angehörige zu schützen?

Für die Landesregierung kommt der Kriminalprävention eine herausragende Bedeutung zu. Die Kriminalprävention ist dabei als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vernetzt, inter­disziplinär, als ressort- und institutionsübergreifende Kooperation auf mehreren Ebenen um­gesetzt werden muss, zu verstehen.

Die Landesregierung hat mit dem Kabinettbeschluss vom 08.06.2021 die Erarbeitung und Um­setzung der Initiative „Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ gestartet. Diese richtet sich an alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Nordrhein-West­falen. Das inkludiert auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern und in Pfle­geeinrichtungen.

Das Kernelement der Kampagne ist ein bundesweit einmaliges und behördenübergreifendes Präventionsnetzwerk (#sicherimDienst) mit nahezu 600 Beschäftigten aus 300 Behörden. Die­ses trägt mit einem berufsgruppenübergreifenden Präventionsleitfaden zur Gewaltprävention für den gesamten öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen bei. In dem Präventionsleitfaden sind aktuelle Erkenntnisse und Empfehlungen zum Umgang mit Gewalt zusammengestellt. Auf der Website h t t p s : / / w w w .s i c h e ri md i e n s t . n rw werden umfassende Informationen zur Präventionskampagne bereitgestellt.

Das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes erarbeitet seit Jah­ren Konzepte, Medien und Präventionshinweise zum Schutz der Beschäftigten an Arbeitsplät­zen mit Publikumsverkehr. Geeignete Maßnahmen werden in der Handreichung „Gewalt an Arbeitsplätzen mit Kundenverkehr. Beschäftigte vor Übergriffen schützen“ (h t t p : / / ww w. p o l i z e i-b e r a tu n g . d e / m e d i e n a n ge b o t / d e ta i l / 2 74-gewalt-an-arbeitsplaetzen-mit-kundenverkehr) vorgestellt.

Beschäftigte, die mit Übergriffen durch Kunden rechnen müssen, können sich mit dem Faltblatt „Gewalt am Arbeitsplatz. Wie Sie sich vor Übergriffen Ihrer Kunden schützen“ (h t t p s : / /w w w .p o l iz e i b e r at u n g . de / m e di e n a n ge b o t/detail/275-wie-sie-sich-vor-uebergriffen-ihrer-kunden-schuetzen) über geeignete Maßnahmen und vorbeugende Verhaltensweisen in­formieren.

Die Präventionshinweise werden durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kriminalkom­missariate Kriminalprävention und Opferschutz der Kreispolizeibehörden in Einzel- und Gruppenberatungen den Verantwortlichen und Beschäftigten in diesen Bereichen zur Verfü­gung gestellt.

  1. Erwägt die Landesregierung die Einführung einer statistischen Erfassung von Fällen in Krankenhäusern, bei denen Banden- oder Clankriminalität involviert war und es zu „tumultartigen Zusammenrottungen“ kam?

Über eine eventuelle Ausdehnung von Meldesystemen auf weitere Bereiche ist in Abhängig­keit von den gesammelten Erfahrungen zu entscheiden. Eine Einengung von Meldungen auf bestimmte Tätergruppen ist mit Blick auf Gewaltvorfälle gegenüber Krankenhausangehörigen aus Sicht der Landesregierung nicht zielführend.

 

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