Überprüfung und Korrektur von Pflegegutachten in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage
vom 28.02.2024

Kleine Anfrage 3390

des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz AfD

Überprüfung und Korrektur von Pflegegutachten in Nordrhein-Westfalen

Ein kürzlich erschienener Bericht der Tagesschau1 vom 21. November 2023 hat erhebliche Mängel bei der Einstufung von Pflegebedürftigen in Deutschland aufgezeigt. Es wurde berichtet, dass Pflegebedürftige oft in zu niedrige Pflegegrade eingestuft werden, was zu geringeren finanziellen Leistungen führt.

Im Jahr 2022 mussten nach Widersprüchen fast 55.000 Einstufungen korrigiert werden. Darüber hinaus wurde jedes dritte Gutachten mittels eines „strukturierten Telefoninterviews“ durchgeführt. Das bedeutet also, dass die Person, die das Gutachten durchführt, den Pflegebedürftigen nicht einmal persönlich gesehen haben muss, um den Antrag auf einen höheren Pflegegrad abzulehnen.

Dies wirft ernsthafte Fragen über die Genauigkeit und Fairness der Pflegebegutachtungen auf.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Welche Mechanismen sind in NRW vorhanden, um die Genauigkeit der Pflegegutachten sicherzustellen?
  2. Wie hoch ist die Fehlerquote bei Pflegegutachten in NRW und wie oft wurden Pflegegrade nach Widersprüchen korrigiert?
  3. Welche Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen werden für Gutachter des Medizinischen Dienstes in NRW durchgeführt, um die Genauigkeit der Gutachten zu verbessern?
  4. Wie viele medizinische Gutachten wurden 2022 mittels eines Telefoninterviews durch den MDK in NRW durchgeführt?
  5. Welche Unterstützung bietet die Landesregierung pflegebedürftigen Personen und ihren Familien, die mit der Einstufung ihrer Pflegegrade nicht einverstanden sind oder Schwierigkeiten haben, ihren Anspruch geltend zu machen?

Dr. Martin Vincentz

 

MMD18-8264

 

1 https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/pflege-medizinischer-dienst-pflegegrad-gutachten-100.html


Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 3390 mit Schreiben vom 28. März 2024 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Welche Mechanismen sind in NRW vorhanden, um die Genauigkeit der Pflegegut­achten sicherzustellen?

Grundsätzlich sind die Medizinischen Dienste Nordrhein und Westfalen-Lippe als Körperschaf­ten des öffentlichen Rechts Teil der Pflegeselbstverwaltung. Die Erstellung der Gutachten ob­liegt ihnen in eigener Zuständigkeit. Sie unterliegen jedoch der beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) geführten Rechtsaufsicht des Landes, die tätig wird, wenn sie über Hinweise – z. B. auch von Bürgerinnen und Bürgern – Kenntnis von Sachverhalten erhält, die auf rechtswidriges Verhalten der Institution hindeuten können. Über die Rechtsauf­sicht wird sichergestellt, dass die beiden o.g. Medizinischen Dienste ihre Aufgaben rechtskonform wahrnehmen, Pflegebedürftige also vor rechtswidrigen Begutachtungen ge­schützt werden können. Eine Fachaufsicht besteht nicht.

Bundesweit erfolgen die Pflegebegutachtungen auf Basis der Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund zur Feststellung einer Pflegebedürftigkeit nach SGB XI. Im Rahmen der „Richt­linien zur Qualitätssicherung der Begutachtung und Beratung für den Bereich der sozialen Pflegeversicherung“ erfolgt eine kontinuierliche Stichprobenprüfung auf Qualität sowohl intern als auch übergreifend zwischen den Medizinischen Diensten.

Darüber hinaus bestehen in den Medizinischen Diensten zusätzliche eigene Mechanismen zur Qualitätssicherung in der Pflegebegutachtung.

  1. Wie hoch ist die Fehlerquote bei Pflegegutachten in NRW und wie oft wurden Pfle­gegrade nach Widersprüchen korrigiert?

Zur Beantwortung wurden Stellungnahmen der Medizinischen Dienste Nordrhein und Westfa­len-Lippe angefordert. Der Medizinische Dienst Nordrhein nimmt hierzu wie folgt Stellung: „Im Rahmen der kontinuierlichen Qualitätsprüfung wurden im Jahr 2023 1,1 Prozent der Gutachten mit einer fehlerhaften leistungsrechtlichen Bewertung identifiziert, d.h. die Empfehlung zum Pflegegrad war gutachterlich nicht korrekt. In 71,4 Prozent der Fälle erfolgte die fehlerhafte Empfehlung zu Ungunsten der Kasse und in 28,6 Prozent zu Ungunsten der antragstellenden Person. In 2022 lag der Anteil der leistungsrechtlich relevanten Fehler bei 1,5 Prozent.“

Bezogen auf korrigierte Widersprüche teilt der Medizinische Dienst Nordrhein mit, dass sei­nerseits 2023 395.289 Pflegegutachten erstellt worden seien. Gegen die leistungsrechtliche Entscheidung seien 23.802 Widersprüche eingelegt worden. Dies entspreche einer Wider­spruchsquote von 6,0 Prozent. In 5.983 Fällen sei dem Widerspruch stattgegeben worden. Bezogen auf die Summe der erstellten Pflegegutachten entspreche dies 1,5 Prozent der Gut­achten.

Der Medizinische Dienst Westfalen-Lippe teilt in seiner Stellungnahme mit, dass 2023 insge­samt 311.273 Regelbegutachtungen in der Pflege durchgeführt worden seien. Bei 9.077 Gut­achten sei dem Widerspruch durch Neubewertung der Befunde gefolgt worden. Dies entspre­che rund 2,9 Prozent aller Regelbegutachtungen.

  1. Welche Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen werden für Gutachter des Me­dizinischen Dienstes in NRW durchgeführt, um die Genauigkeit der Gutachten zu verbessern?

Die Gutachterinnen und Gutachter durchlaufen laut Mitteilung der Medizinischen Dienste eine strukturierte theoretische Einarbeitung, regelmäßige Schulungs- und Weiterqualifizierungs­maßnahmen sowie interne und externe Fortbildungen.

  1. Wie viele medizinische Gutachten wurden 2022 mittels eines Telefoninterviews durch den MDK in NRW durchgeführt?

Im Jahr 2022 seien beim Medizinischen Dienst Westfalen-Lippe 113.880 strukturierte Telefo­ninterviews durchgeführt worden. Der Medizinische Dienst Nordrhein habe 68.623 Pflegegut­achten auf Grundlage strukturierter Telefoninterviews erstellt.

  1. Welche Unterstützung bietet die Landesregierung pflegebedürftigen Personen und ihren Familien, die mit der Einstufung ihrer Pflegegrade nicht einverstanden sind oder Schwierigkeiten haben, ihren Anspruch geltend zu machen?

Versicherte Personen, die mit der Einstufung des Pflegegrades nicht einverstanden sind, ha­ben grundsätzlich die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Bescheid bei ihrer zuständigen Pflegekasse einzulegen und ggf. den Rechtsweg zu beschreiten.

Soweit von Pflegebedürftigen und deren Familien gegenüber der Aufsicht rechtliche Verstöße geltend gemacht werden, überprüft diese den Sachverhalt. Sollte ein Rechtsverstoß festge­stellt werden, wirkt die Rechtsaufsicht auf eine rechtskonforme Einstufung des Pflegegrades hin (vgl. Antwort zu Frage 1).

Die Landesregierung übernimmt keine Rechtsberatung pflegebedürftiger Personen oder deren Familien. Bei Schwierigkeiten können sich Betroffene an Rechtsanwälte, Rechtsbeistände und die Verbraucherzentralen wenden. Das MAGS stellt grundsätzliche Informationen und Hilfen zu pflegerelevanten Themen in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale NRW, den Lan­desverbänden der Pflegekassen und dem Verband der privaten Krankenversicherung über den Pflegewegweiser NRW zur Verfügung.

 

MMD18-8671