Umsetzung der „evidenzbasierten lokalen Sicherheitsanalyse in migrantisch geprägten Quartieren (ELSA)“ in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 45
der Abgeordneten Markus Wagner, Enxhi Seli-Zacharias und Prof. Dr. Daniel Zerbin vom 29.06.2022

 

Umsetzung der „evidenzbasierten lokalen Sicherheitsanalyse in migrantisch geprägten Quartieren (ELSA)“ in Nordrhein-Westfalen

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „Migration und Sicherheit in der Stadt“ (migsst)1 entwickelte das BKA Modelle zur strategischen Analyse der Sicherheitslage für kleinräumige, migrantisch geprägte Gebiete.2 Dabei geht es um die Durchführung von Zustandsanalysen hinsichtlich der Sicherheit und Kriminalität sowie um mögliche Maßnahmenpakete. Als potentielle Zielgruppe sind kommunale und polizeiliche Anwender vorgesehen.

Als migrantisch geprägt kann per Definition des BKA ein Quartier angesehen werden, wenn es einen deutlich überdurchschnittlichen Anteil von Deutschen mit Migrationshintergrund und Bewohnern ohne deutschen Pass aufweist. Hierbei kann es sich sowohl um Durchgangsquartiere mit häufig wechselnden Bewohnern als auch um Quartiere, deren Bewohnerschaft bereits über viele Jahrzehnte sehr stabil ist, handeln.

Erkenntnissen des BKA folgend, haben sich auf Grund einer ethnischen Segregation spezifisch migrantisch geprägte Quartiere entwickelt, die sich mit Quartieren, die eine soziale oder sozio-ökonomisch residentielle Segregation (also eine räumliche Trennung in der Stadt auf Grund u.a. von Status, Einkommen und Bildung) aufweisen, oftmals vermischen. Diese Quartiere mit einer starken Überlagerung zwischen ethnischen bzw. migrationsgeprägten und sozio-ökonomischen residentiellen Segregationseffekten korrelieren oftmals mit einer ökonomisch weniger leistungsfähigen Bevölkerung (die häufig migrantische Hintergründe hat).

Dies stellt nach Ansicht des BKA für die lokalen Verantwortlichen in den Kommunalverwaltungen und Polizeibehörden eine hohe Herausforderung dar. Bisher wurden acht Modellquartiere in vier deutschen Großstädten untersucht, darunter auch in Gelsenkirchen, das auch unter der neuen SPD-Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) das erneute Schlusslicht beim aktuellen Regionalranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bildet und somit als Pilotprojekt geradezu prädestiniert ist.

Für das Pilotprojekt Gelsenkirchen wurden zwei Stadtteile „mit Konfliktpotenzial“ ausgewählt: Schalke-Nord und Ückendorf.3 Aufgenommen wurden in die Betrachtung u.a. Parameter wie: Weg- oder Zuzüge, Häufigkeit von Beschwerden beim Referat für öffentliche Sicherheit und Ordnung oder auch Daten zur soziodemografischen Zusammensetzung des Quartiers und zu Veränderungen im Bildungs- und Sozialbereich.

Die Verwaltung prüft nun mit der Polizei und dem BKA, wie sie „ELSA“ zunächst in den Bereichen Sicherheit und Ordnung sowie Integration einsetzen kann. Mögliche Maßnahmen sind der frühzeitige Ankauf von Problemimmobilien, die Stärkung der Sozialarbeit oder temporäre Schwerpunkteinsätze des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD).4

In Bezug auf Kriminalität und Opferwerdung komme – Erkenntnissen des BKA folgend – dem sozialen Status gegenüber der Herkunft der Bewohner eines Quartiers eine verhältnismäßig größere Bedeutung zu.

Bei der Betrachtung der Quartiere werden sowohl interne Faktoren (Kriminalprävention, Ressourcen und Kooperation der Behörden) als auch externe Faktoren (Kriminalitätsbelastung, Ordnung, Wirtschaft, Infrastruktur und Wohnraum sowie Demografie und Bildung) betrachtet, um daraus ein umfassendes Bild zu erhalten und die erforderlichen präventiven bzw. repressiven Maßnahmen identifizieren zu können. Es müsse empirisch geprüft werden, inwiefern auf der kleinräumigen Ebene eine Verbindung von Migration und Segregation einerseits und Kriminalität und Sicherheit andererseits vorgefunden und fundiert eingeordnet werden kann.

Eine mehrjährige oder dauerhaft turnusmäßige Analyse würde ein Monitoring sowie eine Erfolgskontrolle der eingeleiteten Maßnahmen erlauben. Das Ergebnis einer Analyse ist in starkem Maße abhängig von der Auswahl der Variablen und Indikatoren sowie deren relativer Gewichtung. Variablen und Indikatoren können in Abhängigkeit vom jeweiligen Quartier einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Sicherheit in migrantisch geprägten großstädtischen Quartieren haben.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Welche Erkenntnisse ergeben sich aus den bisherigen Untersuchungen der Quartiere Ückendorf und Schalke-Nord in Gelsenkirchen mit Hilfe der evidenzbasierten lokalen Sicherheitsanalyse in migrantisch geprägten Quartieren (ELSA)?
  2. In welchem Umfang sollen die Polizeibehörden dieses Tool zukünftig nutzen, um eigeninitiativ von polizeilicher Seite identifizierte Problemquartiere durch einen entsprechenden Projektauftrag – in Zusammenarbeit mit der jeweiligen städtischen Verwaltung – einer näheren Analyse zuzuführen?
  3. In welchem Umfang sollen die Untersuchungen mit diesem Tool mit den Erkenntnissen bezüglich der „Kriminalitäts- und Einsatzschwerpunkte, geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen (KEEAS)“5 bzw. mit dem „Lagebild Clankriminalität“6 verknüpft werden?
  4. In welchem Umfang stellt dieses Tool nach Ansicht der Landesregierung eine Möglichkeit zur besseren Beleuchtung des Einflusses von Problemimmobilien/Schrottimmobilien auf die Sicherheitslage in den betroffenen Quartieren dar?
  5. Das Land NRW unterstützt Kreise und Kommunen, die überdurchschnittlich viel Zuwanderung aus Südosteuropa erfahren.7 Inwiefern könnte dieses Tool nach Ansicht der Landesregierung zur näheren Identifizierung von in diesem Zusammenhang auftretenden Problemen beitragen?

Markus Wagner
Prof. Dr. Daniel Zerbin
Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/UnsereAufgaben/Ermittlungsunterstuetzung/Forschun  g/ForschungsErgebnisseWiKri/migsst_SammelbandMigrationundSicherheit.pdf;jsessionid=189AA92C  1DE159730C01CE833C1654DB.live602? blob=publicationFile&v=2

2 Vgl. https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/UnsereAufgaben/Ermittlungsunterstuetzung/Forschun  g/ForschungsErgebnisseWiKri/migsst_HandbuchSicherheitsanalysen.pdf;jsessionid=189AA92C1DE1  59730C01CE833C1654DB.live602? blob=publicationFile&v=3

3 Vgl. https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/ordnung-elsa-soll-gelsenkirchen-arbeit-und-aerger-ersparen-id235561453.html

4 Ebenda

5 Vgl. https://polizei.nrw/sites/default/files/2020-06/KEEAS-Abschlussbericht_de%2Ben.pdf

6 Vgl. https://polizei.nrw/sites/default/files/2022-

04/220330_Lagebild%20Clankriminalit%C3%A4t%202021_final.pdf

7 Vgl. Haushalt NRW 2021; Einzelplan 07; Titelgruppe 68


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 45 mit Schreiben vom 1. August 2022 im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

ELSA beschreibt zwei im Bundekriminalamt (BKA) entwickelte, aufeinander aufbauende strategische Modelle zur wissenschaftlichen Betrachtung der Vulnerabilität und Resilienz von Quartieren hinsichtlich ihrer Sicherheitsgefährdung sowie der Aktivitäten bzw. Möglichkeiten der behördlichen Akteure zur Herstellung von Sicherheit. Des Weiteren können mittels der Analyse Zusammenhänge zwischen den zentralen Einflussfaktoren auf die Sicherheit im Quartier identifiziert und daraus zielgerichtete Handlungsoptionen abgeleitet werden.

Die Zielgruppe der Modelle sind lokale Entscheidungsträgerinnern und Entscheidungsträger in Polizei und Kommunen, die gemeinsam strategische Analysen mit Bezug auf die Sicherheit in migrantisch geprägten Quartieren durchführen wollen.

Die ELSA-Modelle wurden ursprünglich im Kontext des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes „Migration und Sicherheit in der Stadt“ (migsst) entwickelt, sind jedoch grundsätzlich für Sicherheitsanalysen in allen kleinräumigen Gebieten von Groß- und Mittelstädten, ungeachtet der jeweiligen Zusammensetzung der Bevölkerung, einsetzbar.

1. Welche Erkenntnisse ergeben sich aus den bisherigen Untersuchungen der Quartiere Ückendorf und Schalke-Nord in Gelsenkirchen mit Hilfe der evidenzbasierten lokalen Sicherheitsanalyse in migrantisch geprägten Quartieren (ELSA)?

Im Rahmen des Projektes „migsst“ führte das BKA innerhalb seines Teilvorhabens Untersuchungen in den Gelsenkirchener REGE5-Bezirken Schalke-Nord und Ückendorf durch. Hierfür wurden Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Jahr 2019 (teilweise aus dem Jahr 2015) ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Analysen dienten nicht der Ergebnisgenerierung zu den Quartieren, sondern der Modellentwicklung in Bezug auf ELSA. Wegen dieser mittlerweile veralteten Datenbasis, der fehlenden Referenzerhebungen und der anderweitigen Zielrichtung der Auswertung stellen die vorhandenen Daten keine Basis für eine belastbare aktuelle Schlussfolgerung hinsichtlich der Bezirke mit Hilfe der evidenzbasierten lokalen Sicherheitsanalyse in migrantisch geprägten Quartieren dar.

2. In welchem Umfang sollen die Polizeibehörden dieses Tool zukünftig nutzen, um eigeninitiativ von polizeilicher Seite identifizierte Problemquartiere durch einen entsprechenden Projektauftrag in Zusammenarbeit mit der jeweiligen städtischen Verwaltung einer näheren Analyse zuzuführen?

Die Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen befasst sich in verschiedenen Zusammenhängen mit dem Thema Sicherheit im öffentlichen Raum. Ob und inwieweit das Analysewerkzeug ELSA einen Mehrwert für die kriminalpräventive Arbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen liefern kann, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden.

Die ELSA-Modelle finden bisher in keiner nordrhein-westfälischen Kreispolizeibehörde Anwendung.

5REGE steht für RaumEntwicklung Gelsenkirchen und ist ein Konzept, welches 2005 von der Stabsstelle Wirtschaftsförderung Gelsenkirchen, Abteilung Strukturentwicklung eingeführt wurde, um die Stadt kleinräumiger zu betrachten und um Probleme und Potenziale vor Ort identifizieren zu können. Die Grenzen der REGE-Bezirke orientieren sich neben großen Verkehrsachsen auch an sozialen Grenzen. Ein Stadtteil besteht aus zwischen einem und fünf REGEBezirken, ein REGE-Bezirk hat zwischen 3.600 und 10.400, durchschnittlich 6.500 Einwohnerinnen und Einwohner.

3. In welchem Umfang sollen die Untersuchungen mit diesem Tool mit den Erkenntnissen bezüglich der „Kriminalitäts- und Einsatzschwerpunkte, geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen (KEEAS)“ bzw. mit dem „Lagebild Clankriminalität“ verknüpft werden?

Die Frage nach Verknüpfungspotentialen zwischen den Erkenntnissen aus KEEAS sowie den Auswerte- und Analyseprozessen im Zusammenhang mit der Erstellung des Lagebildes „Clankriminalität NRW“ und dem Tool kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden. Im Rahmen des von der Landesregierung verfolgten ganzheitlichen Ansatzes zur Bekämpfung der Clankriminalität wird gewährleistet, dass strategische Ausrichtungen und Maßnahmen regelmäßig auch unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen überprüft und ggf. angepasst werden.

4. In welchem Umfang stellt dieses Tool nach Ansicht der Landesregierung eine Möglichkeit zur besseren Beleuchtung des Einflusses von Problemimmobilien/Schrottimmobilien auf die Sicherheitslage in den betroffenen Quartieren dar?

5. Das Land NRW unterstützt Kreise und Kommunen, die überdurchschnittlich viel Zuwanderung aus Südosteuropa erfahren. Inwiefern könnte dieses Tool nach Ansicht der Landesregierung zur näheren Identifizierung von in diesem Zusammenhang auftretenden Problemen beitragen?

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Im Rahmen der Städtebauförderung werden kommunale Strategien zum Umgang mit Problemimmobilien als städtebauliche Missstände im Sinne des Baugesetzbuches (BauGB) unterstützt. Hierbei stehen bauliche Mängel im Fokus, die dazu beitragen, dass Immobilien den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht genügen und hierbei auf das umliegende Gebiet derart ausstrahlen, dass das Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt ist, die ihm nach Lage und Funktion obliegen (§ 136 BauGB). Nach § 141 BauGB hat die Gemeinde vor der Festlegung von Sanierungsgebieten vorbereitende Untersuchungen durchzuführen, die erforderlich sind, um Beurteilungsunterlagen zu gewinnen über die Notwendigkeit der Sanierung, die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse und Zusammenhänge sowie die anzustrebenden allgemeinen Ziele und die Durchführbarkeit der Sanierung im Allgemeinen. Hierbei kann sich die Gemeinde aller ihr bereits vorliegenden Daten und Erkenntnisse bedienen.

Zu der sozialräumlichen Betrachtung der Stadtteile gehört in allen Kommunen die Erhebung von Daten, die Informationen über die Lebenslagen und den Unterstützungsbedarf der Bevölkerung geben. Das gilt für alle Bevölkerungsgruppen, alt oder jung, mit und ohne Einwanderungsgeschichte, mit hohem oder niedrigem Einkommen. Ob ein Instrument wie ELSA weitere Informationen bieten kann, die eine bessere Einschätzung ermöglichen, um Angebote und Maßnahmen auf den Bedarf abzustimmen, ist zu prüfen.

 

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