Antrag
der Fraktion der AfD
Verzögerung notwendiger Abschiebemaßnahmen beenden – Härtefallkommission unverzüglich auflösen!
I. Ausgangslage
Die rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident Johannes Rau hat in Erfüllung der damaligen Koalitionsvereinbarung im Nachgang der Landtagswahl vom 14. Mai 1995 eine sogenannte „Härtefallkommission“ beim Innenministerium eingerichtet, die am 1. Februar 1996 ihre Arbeit aufnahm. Aufgabe der Härtefallkommission sollte es sein, bei rechtskräftig zur Ausreise verpflichteten Ausländern nochmals zu überprüfen, ob eine Abschiebung für sie zu einer besonderen Härte führen würde.
Im Zuge der Novellierung des Ausländerrechts im Jahre 2005 kam es zu weitreichenden Änderungen. Mit dem neuen § 23a Aufenthaltsgesetz wurde die Härtefallkommission gesetzlich verankert.
„Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommis-sion […] einzurichten […]“
Von dieser Möglichkeit wurde auch in NRW Gebrauch gemacht, obwohl eine Verpflichtung dazu nicht bestand und nicht besteht.1 Infolge dieser Neuaufstellung durfte die Härtefallkom-mission neben Empfehlungen auch Härtefallersuchen an die Ausländerbehörden richten.
Das Vorliegen von Gründen, die im Einzelfall eine Aussetzung der Abschiebung gebieten, wird bereits durch die Ausländerbehörden und oftmals im Zuge von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erschöpfend geprüft. Um vollkommen auszuschließen, dass in Einzelfällen Gründe, die einen weiteren Aufenthalt gebieten, nicht hinreichend gewürdigt worden sind, steht zudem der Petitionsausschuss des Landtages zur Verfügung. Für eine Härtefallkommission zur nochmaligen Überprüfung etwaiger Bleiberechte besteht daher keinerlei Notwendigkeit. Darüber hinaus wirkt eine derartige Einrichtung aus einer Vielzahl von Gründen kontraproduktiv.
Es wird fälschlicherweise der Eindruck erweckt, es gäbe neben den gesetzlichen Regelungen des Ausländerrechts zusätzlich ein ‚Gnadenrecht‘. Die Einrichtung der Kommission suggeriert die Notwendigkeit, die Entscheidungen der Vorinstanzen nochmals zu überprüfen. Dies bedeutet eine Desavouierung von Gerichten und Ausländerbehörden, denen damit unterstellt wird, das Ausländerrecht in Bezug auf echte Härtefälle falsch anzuwenden.
Mit der Einrichtung der Härtefallkommission im Jahre 1996 und der Novellierung im Jahre 2005 wurde faktisch eine zweite Petitionsinstanz geschaffen. Dies widerspricht bundesdeutscher Verfassungstradition, wonach die Entscheidung von Petitionsangelegenheiten dem Parlament vorbehalten ist. Die Härtefallkommission entscheidet in eigener Befugnis, mit welchen Fällen sie sich auseinandersetzt und ob ein Ersuchen an die zuständige Ausländerbehörde gerichtet wird. Diese entscheidet wiederum dann in eigener Zuständigkeit, ob sie diesem Ersuchen folgt und eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Gemäß Härtefallkommissionsverordnung (HFKVO) soll die personelle Zusammensetzung der Kommission dazu beitragen, dass „die unterschiedlichen Aspekte eingebrachter Härtefälle sachkundig gewürdigt werden können“.
Von aktuell zehn Mitgliedern vertritt ein Mitglied die Ärzteschaft. Zwei Mitglieder vertreten das zuständige Flüchtlingsministerium, zwei weitere Mitglieder vertreten die kommunalen Ausländerbehörden. Unter den weiteren Mitgliedern finden sich mit den beiden Vertretern der Kirchen, der Freien Wohlfahrtspflege sowie dem Flüchtlingsrat NRW und PRO Asyl gleich fünf Organisationen, die von der derzeit praktizierten Flüchtlingspolitik mindestens indirekt profitieren und denen folglich ein eher geringes Interesse am Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen nachgesagt wird. Inwiefern überhaupt die Kirchen zu 20 % an der Härtefallkommission beteiligt sein müssen, wo es in erster Linie doch nur um Rechtsfragen geht, muss eh offenbleiben, insbesondere da der überwiegende Anteil der betroffenen Personen vermutlich nicht christlich geprägt ist.
Vertreter des Außenministeriums dagegen oder Organisationen, die zu einer fachkundigen Lagebeurteilung in den Herkunftsländern beitragen könnten, sind in der Kommission nicht vertre-ten.2 Diesem Beurteilungsdefizit der Kommission, welches in den „Entscheidungsgrundsätzen für die Arbeit der Härtefallkommission“ sogar offen eingeräumt wird,3 wird seit Jahren nicht durch eine mögliche adäquate Besetzung entgegengewirkt.
Die Beschlussfähigkeit der Kommission ist bereits gegeben, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend sind. Bei der aktuellen Besetzung wären das fünf Mitglieder. Die vorgesehene Ausgewogenheit der Entscheidung kann auf diesem Wege noch weiter in Mitleidenschaft gezogen werden. Da die Beratungsinhalte (selbst anonymisiert) und das Abstimmungsverhalten der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, ist eine angemessene Kontrolle der Härtefallkommis-sion unmöglich.
Stellt die Härtefallkommission ein Härtefallersuchen, ist die kommunale Ausländerbehörde gemäß § 23a Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 7 HFKVO befugt, abweichend von der gesetzlichen Norm für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Wie Erfahrungen z. B. in Bayern und Niedersachen zeigen, wird solch einem Ersuchen in über 90 % der Fälle gefolgt. In NRW war die Quote in den Jahren 2021 und 2022 wesentlich geringer. Unbeachtet der noch offenen Fälle betrug sie 2021 58 % und 2022 lediglich 25 %.4
Mit der Berichtsaufforderung ergeht die Bitte an die zuständige Ausländerbehörde, für die Dauer der Durchführung des Härtefallverfahrens nach Möglichkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Da die Prüfung der Kommission längere Zeit in Anspruch nimmt, bietet sich hier pauschal für alle ausreisepflichtigen Ausländer die Möglichkeit, ihren unberechtigten Aufenthalt weiter zu verlängern.
Dies bedeutet letztlich ein Unterlaufen des geltenden Asyl- und Ausländerrechts.
Die durch die Anrufung der Härtefallkommission eintretende Verzögerung der Abschiebung geht zu Lasten des Steuerzahlers, der die Sozialhilfeleistungen für diese Ausländer und ihre Familien zu erbringen hat. Die Bürger zahlen somit letztlich die Zeche für eine unnötige Maßnahme der Landesregierung.
Anders als in anderen Bundesländern wird in NRW kein jährlicher Tätigkeitsbericht der Här-tefallkommission erstellt. Wie Kleine Anfragen der AfD-Fraktion ergeben haben, bewegt sich die Anzahl der Anträge seit 2016 auf einem niedrigen Niveau von im Schnitt ca. 500 Fällen. 2022 war ein deutlicher Rückgang auf 324 Anträge zu verzeichnen. Dabei wurde für die Anliegen der Antragsteller in durchschnittlich ca. 160 Fällen pro Jahr (2022: 77 Fälle) ein sogenanntes Ersuchen ausgesprochen.5
Diese Zahlen müssen zudem ins Verhältnis zu den geringen Abschiebezahlen der Landesregierung gesetzt werden. So wurden im Jahre 2022 laut Statistik der Bundespolizei lediglich 3.118 Rückführungen (einschließlich Dublin-Überstellungen) aus Nordrhein-Westfalen er-fasst.6 Das entspricht lediglich 4,2 % der mit Stand vom 31.12.2022 insgesamt 74.168 ausreisepflichtigen Personen.
Auch im Jahr 2023 war die Anzahl der Rückführungen mit 3.663 Fällen erstaunlich gering. Der Rückgang bei der Anzahl der ausreisepflichtigen Personen auf 59.373 Personen (Stichtag 31.12.2023) resultiert fast ausschließlich aus der Anwendung des Chancen-Aufenthaltsrechts und ist daher wenig aussagekräftig.7
Diese bescheidenen Zahlen, verbunden mit einem eh fragwürdigen Misstrauen gegenüber den zuständigen Gerichten und Ausländerbehörden, lassen nach wie vor starke Zweifel an der Notwendigkeit der Härtefallkommission aufkommen und sprechen trotz einer gegenüber 1996 veränderten Rechtslage unverändert für eine Auflösung.8
Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz wurde zudem erst kürzlich eine weitere Rechtsinstanz geschaffen. Nach dem neuen § 62d des Aufenthaltsgesetzes sollen Menschen in Abschiebehaft einen Rechtsbeistand erhalten, obwohl durch alle Rechtsinstanzen die Ausreisepflicht bereits festgestellt wurde. Vorgesehen ist im Detail eine verpflichtende Beiordnung eines anwaltlichen Vertreters zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschie-bungshaft, Ausreisegewahrsam und der Überstellungshaft nach der Dublin-Verordnung. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass der maximal 28-tägige Ausreisegewahrsam verstreicht, ohne dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann.9 Mit dieser Neuregelung werden sich voraussehbar weitere potenzielle Anwendungsfälle der Härtefallkom-mission erübrigen.
II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
die „Härtefallkommission“ inklusive der Geschäftsstelle unverzüglich aufzulösen.
Enxhi Seli-Zacharias
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag WD3-3000-322/15 Datum des Originals: 16.04.2024/Ausgegeben: 16.04.2024
3 Vgl. https://www.mkjfgfi.nrw/sites/default/files/documents/entscheidungsgrundsaetze.pdf ; Punkt 8
4 Vgl. Antwort auf die Kleine Anfrage 1355; Lt.-Drucksache 18/2977; Frage 4
5 Vgl. Lt.-Drucksache 17/14343 und Antwort auf die Kleine Anfrage 1355; Lt.-Drucksache 18/2977
6 Vgl. Sachstandsbericht staatliches Asylsystem für das vierte Quartal 2022
7 Vgl. Lt.-Vorlage 18/2314
8 Vgl. Lt.-Drucksache 12/747