Vollständige Anrechnung von in Landesunterkünften untergebrachten Personen auf die Höhe der Aufnahmeverpflichtung gem. Flüchtlingsaufnahmegesetz – Welchen Vorteil haben die Bürger von dieser Gesetzesänderung?

Kleine Anfrage
vom 18.08.2023

Kleine Anfrage 2373

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Vollständige Anrechnung von in Landesunterkünften untergebrachten Personen auf die Höhe der Aufnahmeverpflichtung gem. Flüchtlingsaufnahmegesetz Welchen Vorteil haben die Bürger von dieser Gesetzesänderung?

Wie aus einer Pressemitteilung des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration vom 08. August 2023 hervorgeht, hat das Kabinett Änderungen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) beschlossen. Danach sollen Migranten bzw. Asylsuchende, die in Landesunterkünften untergebracht sind, unabhängig vom Einrichtungstyp (ZUE, NU, EAE) künftig zu 100 Prozent auf die Aufnahmeverpflichtung der Kommunen angerechnet werden. Derzeit werden 50 Prozent bei Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) und Notunterkünften (NU) sowie 70 Prozent bei

Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) angerechnet. Das dafür erforderliche Gesetzgebungsverfahren würde – der Pressemitteilung folgend – zügig angestoßen.1 Das Ziel sei dabei eine Entlastung der Kommunen.

So nachvollziehbar die angeregte Gesetzesänderung auch ist, bleibt doch festzuhalten, dass sich an der angespannten bis überspannten Lage in den Kommunen wenig ändern wird. Die mit der Gesetzesänderung einhergehende Umverteilung des weiteren Zuzugs Asylsuchender verschärft nämlich auf der anderen Seite rein rechnerisch die Situation in den Kommunen, die über keine Landesunterkunft verfügen. Das Problem wird folglich nicht gelöst, sondern nur umverteilt.

In der Pressemitteilung wird dann auch die Notwendigkeit der weiteren Aufnahme begründet: „Kinder, Frauen und Männer fliehen nach Deutschland und Nordrhein-Westfalen – vor Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg und vor Krieg, Bomben, Ausbeutung, Verfolgung, Folter und Tod überall auf der Welt. Dabei stehen gerade die Kommunen bei der Unterbringung der Schutzsuchenden sowie der Integration vor großen Herausforderungen.“

Somit müssen auch in diesem Zusammenhang erneut die Ukraineflüchtlinge als Alibi für eine gescheiterte Migrationspolitik herhalten. Dabei liegt die Gesamtzahl der offiziell gezählten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine seit August 2022 bundesweit relativ stabil bei ca. einer Million Menschen, wovon gut 222.000 in Nordrhein-Westfalen Schutz gefunden haben.2

Mit der Aussage, dass Menschen (zusätzlich) „von überall auf der Welt“ nach Deutschland „fliehen“, wird wie so oft bewusst unterschlagen, dass diese Menschen in aller Regel bei ihrer „Flucht“ nach Deutschland bereits mehrere sichere Länder durchquert haben und – bei einer Einreise über den Landweg – zwangsläufig am Ende der „Flucht“ über ein sicheres Drittland nach Deutschland „einreisen“. Jeder Fünfte davon kommt zusätzlich gar aus einem sicheren Herkunftsland. Auch eine saubere Unterscheidung zwischen Begriffen wie „Migrant“, „Asylsuchender“ oder „Flüchtling (gem. GFK)“ unterbleibt.

Warum dieses bewusste Framing immer wieder eingesetzt wird, bleibt rätselhaft. Eine Vermischung beider Gruppen verbietet sich auch aus ausländerrechtlichen Gründen, da die EU-Massenzustromrichtlinie für die Ukrainer aktiviert wurde, nicht aber für „Menschen von überall auf der Welt“.

Das Hauptproblem besteht aktuell darin, dass von Seiten der Bundesinnenministerin keine Anstrengungen vernehmbar sind, illegale Einreisen in das Bundesgebiet zu unterbinden. Ganz im Gegenteil wird die Situation aktuell sogar noch verschlimmert, indem die Bundesaußenministerin das Aufnahmeprogramm Afghanistan – unter Ignorierung sämtlicher Sicherheitsbedenken – wieder anlaufen lässt.3

Am Ende der Pressemitteilung wird deutlich, worum es der Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, offensichtlich in erster Linie geht. So heißt es: „Die Landesregierung arbeitet weiter mit Hochdruck daran, dass [sic] Landessystem zur Unterbringung von Geflüchteten auszubauen. Dabei sind wir auf eine enge Kooperation mit den Kommunen und die Akzeptanz vor Ort angewiesen. Wir wollen mit dieser Regelung angesichts der herausfordernden Lage für die Kommunen einen Anreiz setzen, damit sich mehr Kommunen bereit erklären, den Weg für eine Landeseinrichtung auf ihrem Gemeindegebiet zu ebnen, und gleichzeitig eine höhere Akzeptanz der Landeseinrichtungen vor Ort erzielt wird.“

Übersetzt sollen den Kommunen folglich Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE) schmackhaft gemacht werden. Neben der 1:1 Anrechnung bei der Zuweisung übernimmt das Land einen Großteil der anfallenden Kosten, was zwar den kommunalen Haushalt entlasten, dafür aber den Landeshaushalt zusätzlich belasten würde. Für den Steuerzahler wäre das folglich unerheblich. Die Interessen der Bürger vor Ort bleiben leider erneut außen vor, da sich die ZUE eben nicht auf exterritorialem Gebiet befinden, sondern ebenfalls in den Kommunen. Dass sich Großunterkünfte den Bürgern immer weniger vermitteln lassen, zeigen die Ereignisse rund um die geplanten ZUE in Gladbeck und Oeventrop. Der eher geringe Zuspruch begründet sich auch darin, dass die gem. Asyl-Stufenplan angedachten Rückführungsmaßnahmen aus den Landeseinrichtungen bisher nicht im gewünschten Umfang erfolgt sind.4

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie schätzt die Landesregierung die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung zur Errichtung weiterer Zentraler Unterbringungseinrichtungen (ZUE) in den Kommunen ein?
  2. Von welchen langfristigen und positiven Effekten für die Kommunen geht die Landesregierung durch die geplante Änderung des FlüAG noch aus, wenn der fortwährende Zustrom weiterer Asylsuchender nicht zeitnah mindestens deutlich reduziert wird?
  3. Aus immer mehr Kommunen, die ihre Aufnahmekapazität erreicht bzw. bereits weit überschritten haben, kommen deutliche Hilferufe. Wie begegnet die Landesregierung diesen Hilferufen, insbesondere aus denjenigen Kommunen, die durch die geplante Änderung des FlüAG rechnerisch noch zusätzlich belastet würden?
  4. In dem im Jahr 2018 durch die Vorgängerregierung beschlossenen Asyl-Stufenplan waren u. a. die Einführung eines beschleunigten Asylverfahrens gem. § 30a AsylG durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie Rückführungen der Personen aus Landeseinrichtungen vorgesehen. Wie viele Personen wurden seit 2018 im Zuge eines beschleunigten Verfahrens aus den Landeseinrichtungen heraus abgeschoben bzw. gem. Dublin-III-Verordnung rücküberstellt? (Bitte differenziert nach Jahr, Anzahl, Herkunftsland, und möglichst nach dem Grund für das beschleunigte Verfahren, also § 30 a (1) Unterpunkt 1–7, differenziert listen)
  5. Wie viele Rückführungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen außerhalb des beschleunigten Verfahrens gem. § 30a AsylG gab es seit 2018 direkt aus den Landeseinrichtungen heraus? (Bitte differenziert nach Jahr, Anzahl und Herkunftsland listen)

Enxhi Seli-Zacharias

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl https:// www .mkjfgfi.nrw/landesregierung-geht-weitere-schritte-zur-entlastung-von-kommunen-bei-der-fluechtlingsunterbringung?

2 Vgl. https:// de .statista.com/statistik/daten/studie/1294820/umfrage/kriegsfluechtlinge-aus-der-ukraine-in-deutschland/

3 Vgl. https:// www .tichyseinblick.de/daili-es-sentials/afghanistan-programm-baerbock/

4 Vgl. https:// www .land.nrw/pressemitteilung/fluechtlingsminister-stamp-kabinett-beschliesst-asyl-stufenplan-zur-entlastung-der


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 2373 mit Schreiben vom 29. September 2023 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie schätzt die Landesregierung die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung zur Er­richtung weiterer Zentraler Unterbringungseinrichtungen (ZUE) in den Kommunen ein?

Die Unterbringung der Geflüchteten stellt für das Land, die Kommunen, aber auch für die Men­schen vor Ort eine massive Herausforderung dar. Dies erfordert eine gute politische Kommu­nikation und dass die Fragen der Menschen im Zusammenhang mit der Unterbringung von Geflüchteten ernst genommen werden. Deshalb setzt das Land in Umsetzung des sog. Sechs-

Punkte-Plans (https://www.mkjfgfi.nrw/sechs-punkte-plan-zur-stabilisierung-des-landesauf-nahmesystems) auf eine umfassende Information und einen sachorientierten Dialog mit den betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner sowie eine stärkere Einbindung der lokalen Ehren-amtsstruktur und einer Stärkung des Umfeldmanagements.

  1. Von welchen langfristigen und positiven Effekten für die Kommunen geht die Lan­desregierung durch die geplante Änderung des FlüAG noch aus, wenn der fort­währende Zustrom weiterer Asylsuchender nicht zeitnah mindestens deutlich re­duziert wird?

Die Landesregierung unterstützt die Aufnahme, Unterbringung und die damit verbundenen Prozesse der Registrierung und Zuführung zu den Anhörungen des BAMF über die Landes-einrichtungen. Das Landessystem erfüllt dabei auch eine Puffer- und Entlastungsfunktion für die Kommunen. Um die Kommunen, in denen Landesunterbringungseinrichtungen angesie­delt sind, zusätzlich zu entlasten, sollen die Schutzsuchenden, die in Landesunterkünften un­tergebracht sind, unabhängig von der Art der Landeseinrichtung, künftig eins zu eins – also zu 100 Prozent – auf die Aufnahmeverpflichtung der Kommunen angerechnet werden. Bisher vermindert sich die Aufnahmeverpflichtung einer Kommune um 50 Prozent der Kapazitätszahl einer Zentralen Unterbringungseinrichtung beziehungsweise einer Notunterkunft, sowie um 70 Prozent bei einer Erstaufnahmeeinrichtung, die auf dem eigenen Gemeindegebiet durch das Land betrieben wird. Die Landesregierung kommt mit dieser Neuregelung einer ausdrückli­chen Forderung aus der kommunalen Familie nach.

Jede neue Landeseinrichtung trägt letztlich dazu bei, dass das Landessystem seiner Puffer-und Entlastungsfunktion dauerhaft und verlässlich gegenüber den Kommunen nachkommen kann.

  1. Aus immer mehr Kommunen, die ihre Aufnahmekapazität erreicht bzw. bereits weit überschritten haben, kommen deutliche Hilferufe. Wie begegnet die Landes­regierung diesen Hilferufen, insbesondere aus denjenigen Kommunen, die durch die geplante Änderung des FlüAG rechnerisch noch zusätzlich belastet würden?

Zuweisungen nach dem FlüAG in Kommunen, die ihre Aufnahmeverpflichtung erfüllen bzw. übererfüllen, erfolgen in der Regel nicht. Gleichwohl finden in Einzelfällen zum Beispiel Zuwei­sungen von Personen statt, die aufgrund zwingend zu berücksichtigender Gründe gemäß § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG (Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen, humanitäre Gründe) an einen bestimmten Ort zugewiesen werden müssen. Daneben gibt es Fälle, in de­nen sich die Kommune unter Anrechnung auf die FlüAG-Aufnahmeverpflichtung freiwillig zu einer Aufnahme bereiterklären kann.

  1. In dem im Jahr 2018 durch die Vorgängerregierung beschlossenen Asyl-Stufen­plan waren u. a. die Einführung eines beschleunigten Asylverfahrens gem. § 30a AsylG durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie Rückführungen der Personen aus Landeseinrich-tungen vorgesehen. Wie viele Personen wurden seit 2018 im Zuge eines beschleu­nigten Verfahrens aus den Landeseinrichtungen heraus abgeschoben bzw. gem. Dublin-III-Verordnung rücküberstellt? (Bitte differenziert nach Jahr, Anzahl, Her­kunftsland, und möglichst nach dem Grund für das beschleunigte Verfahren, also § 30 a (1) Unterpunkt 17, differenziert listen)
  2. Wie viele Rückführungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen außerhalb des be­schleunigten Verfahrens gem. § 30a AsylG gab es seit 2018 direkt aus den Lan-deseinrichtungen heraus? (Bitte differenziert nach Jahr, Anzahl und Herkunfts­land listen)

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:

Die Zentralen Ausländerbehörden (ZABen) sind für alle aufenthalts-, asyl- und passrechtlichen Maßnahmen ausländischer Personen in ihrem Regierungsbezirk, für die eine Wohnverpflich­tung in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes besteht oder die in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, zuständig. Mit der Neugründung der ZABen Essen und Coesfeld im Jahr 2018 verfügen nun alle fünf Regierungsbezirke in Nordrhein-Westfalen über leistungsfähige Strukturen zur Rückführung aus den Landeseinrichtungen.

Da die beiden neu gegründeten ZABen die ihnen übertragenen Aufgaben erst im laufenden Jahr 2019 vollständig aufgenommen haben, liegen valide Daten zur Erhebung der Rückfüh­rungszahlen aus den Einrichtungen des Landes für alle fünf ZABen erst seit 2020 vor. Die statistische Auswertung lässt jedoch nur eine Differenzierung von Rückführungen insgesamt und davon Dublin-Rücküberstellungen zu. Eine Erfassung der aus den Landeseinrichtungen erfolgten Rückführungen im Zuge der beschleunigten Verfahren nach § 30a AsylG erfolgt nicht.

Demnach ergibt sich folgendes Bild zu den Rückführungen aus den Landeseinrichtungen:

2020 2021 2022 2023 (bis 30.06.2023)
Rückfüh- rungen davon Dublin Rückfüh- rungen davon Dublin Rückfüh- rungen davon Dublin Rückfüh- rungen davon Dublin
761 339 518 293 816 432 521 215

 

Antwort als PDF