Was tut die Landesregierung gegen Hundebisse in NRW?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 538
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner vom 11.10.2022

 

Was tut die Landesregierung gegen Hundebisse in NRW?

In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der in Nordrhein-Westfalen gehaltenen und registrierten Hunde extrem zugenommen. Wie aus der Landeshundestatistik hervorgeht, stieg die Anzahl der Hunde im Land von 848.501 im Jahr 2017 auf 1.018.149 im Jahr 2021.1 Damit hat sich ihre Anzahl binnen 5 Jahren um 169.648 Tiere erhöht, was einer Zuwachsrate von mehr als 16 Prozent entspricht. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer nicht angemeldeter Hunde, die je nach Kommune bis zu 30 Prozent betragen kann.2

Zentrale Ursache für die Zunahme ist die Corona-Pandemie. So stieg die Zahl der Hundehalter seit Ausbruch der Pandemie noch stärker an als bereits zuvor.3 Eine erste negative Folge zeigte sich mit einem Abebben der Pandemie: Viele Hunde wurden von ihren Besitzern ins Tierheim gegeben.4

Eine weitere Folge der gestiegenen Zahl an Hunden ist ein deutlicher Anstieg der registrierten Vorfälle, wie etwa Bisse bei Mensch und Tier sowie gefährliche Vorfälle. So gab es im Jahr 2017 896 Beißvorfälle mit Verletzungen beim Menschen, 1.187 Beißvorfälle mit Verletzungen bei einem anderen Tier und 597 sonstige gefährliche Vorfälle. 2021 lagen die Zahlen hingegen bei 1.125 Beißvorfällen mit Verletzungen beim Menschen, 1.375 Beißvorfällen mit Verletzungen bei einem anderen Tier und 806 sonstigen gefährlichen Vorfällen.5 Der Anstieg betrug damit bei Verletzungen beim Menschen 229 (+ 25,5 %), bei Beißverletzungen bei anderen Tieren 188 (+ 15,8 %) und bei sonstigen gefährlichen Vorfällen 209 (+ 35 %). Die Steigerungsraten liegen damit gleich hoch oder sogar deutlich höher als die oben beschriebene Zunahme der gemeldeten Hunde.

Wie die Statistik aber auch zeigt, geht dieser Anstieg nicht auf eine erhöhte Anzahl an gefährlichen Hunden (§ 3 LHundG NRW) oder an Hunden bestimmter Rassen zurück (§ 10 LHundG NRW). Vielmehr scheint die gestiegene Zahl an großen Hunden (§ 11 LHundG NRW) und allen anderen Hunden verantwortlich für diese Entwicklung zu sein.6 Die durch das LHundG NRW vorgenommene Einteilung in gefährliche und andere Hunde erscheint damit als wenig plausibel. Dies zeigt sich umso mehr an der Tatsache, dass alle 16 deutschen Bundesländer über unterschiedliche Regelungen der Materie verfügen. Während etwa in Hessen neun Rassen als gefährliche Hunde definiert sind, sind es in NRW nur vier.7 Die Landesregierung sollte daher über neue Möglichkeiten nachdenken, den hier skizzierten Problemen zu begegnen. Obwohl dem Landesumweltministerium, das für die Erstellung der jährlichen Landeshundestatistik verantwortlich zeichnet, die hier skizzierte negative Entwicklung bekannt sein sollte, wurde bisher keine Trendumkehr erwirkt. Dies dürfte nicht zuletzt an der eingeschränkten Datenbasis liegen, die die Landeshundestatistik bietet.

Wir fragen daher die Landesregierung,

  1. Wie bewertet die Landesregierung den Anstieg der Beißvorfälle in den vergangenen Jahren?
  2. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um diesem Trend entgegenzuwirken?
  3. Wie vielen Haltern wurde in den Jahren 2017–2021 ein Hund entzogen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Stadt bzw. Kommune und Hunderasse)
  4. Wie vielen Personen wurde in den Jahren 2017–2021 das Halten eines Hundes generell untersagt?
  5. Wie viele Hunde wurden in den Jahren 2017–2021 nach § 3, Absatz 3 LHundG NRW im Einzelfall als gefährlich festgestellt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Grund gemäß § 3 Absatz 3 Satz 1–6 und Hunderasse)

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner

 

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1 Auswertung der Berichte über die Statistik der in den Jahren 2020 und 2021 in Nordrhein-Westfalen behördlich erfassten Hunde, h t t p s : / / w w w . u m w e l t . n r w. d e / fi l e a d m i n / r e da k t i on / P DF s /l a n d w i r t s c h a ft / t ierhaltung_tierschutz/landeshundestatistik_nrw_bericht_2017.pdf, S. 17, und Auswertung der Berichte über die Statistik der im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen behördlich erfassten Hunde, h t t p s : / / ww w . u m we l t .n r w . d e / fi le a dm i n/ r ed a k ti o n / PD F s / la nd w ir t sc ha f t/ t ie r ha l t un g_ t i er sc h ut z / la n d es h undestatistik_nrw_bericht_2020_2021.pdf, S. 18.

2 h t t ps : / / rp – o n li n e. d e/ n rw /s t aed te /d u es s eld o rf/duesseldorf-stadt-laesst-unangemeldete-hunde-suchen_aid-37014149; h t t p s : / / w ww . w a z. d e / s ta e d te /d u i s b u rg / h u n d e st e u er -s o -s p uert-duisburg-nicht-gemeldete-hunde-auf-id234664355.html.

3 Vgl. etwa h t t p s : / / w w w . ze i t .d e/ n e w s/ 2 02 1-0 3 /22/ e i n e- m i ll io n – me hrhaustiere-in-der-pandemie; h t t p s :/ / w w w .l a n d .n r w /p r e s se m i tt e il u n g/ m ac he n -s ie-die-qual-der-wahl-nicht-zur-wahl-der-qual.

4 h t t ps : / /w w w 1. W d r . d e /n a ch r i c h t e n / r h ei n la n d/ c orona-sorgt-fuer-volle-tierheime-100.html.

5 h t t ps : / /w w w .u m w e lt .n r w. d e / f il e ad m in / r ed a k t i on / PD F s/ la n d wi r t sc h af t / ti e r ha l t un g _t ie rs chutz/landeshundestati st i k _n r w _b e r ic h t_2017.pdf, S. 17, und h t t p s : / /w w w . u mw e lt . n r w . d e / fi l e a d m i n/ r e d ak t i on / PD Fs/ l an d wi r ts c ha f t/ t i e r h al tu ng _t i er s c hu tz /l a nd e sh u nd es t a ti s t ik_nrw_bericht_2020_2021.pdf, S. 18.

6 h t t p s : / / w w w . u m w e l t . n r w .d e /f i l ea d m in / r e da kt i on/PDFs/lan d w ir t s ch aft/tierha l t u n g_ ti er s ch utz/landeshundestatistik_nrw _ b er i ch t _ 2020_2021.pdf, S. 18. 7 § 1 Absatz 1 LHundG Hessen und § 3 Absatz 2 LHundG NRW.


Die Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 538 mit Schreiben vom 8. November 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie bewertet die Landesregierung den Anstieg der Beißvorfälle in den vergangenen Jahren?

Die Landesregierung führt seit dem In-Kraft-Treten des Landeshunde-gesetzes Nordrhein-Westfalen (LHundG NRW) im Jahr 2003 eine jährliche Statistik, aus der unter anderem die Zahl der behördlich registrierten gefährlichen Hunde (§ 3 LHundG NRW), Hunde bestimmter Rassen (§ 10 LHundG NRW) und großen Hunde (§ 11 LHundG NRW) hervorgeht. Auch die Zahl der kleinen Hunde, für die nach dem Landeshundegesetz NRW keine Meldepflicht be­steht, wird auf freiwilliger Basis von den örtlichen Ordnungsbehörden übermittelt. Außerdem enthält die Statistik die Zahlen der von den örtlichen Ordnungsbehörden gemeldeten Beißvor­fälle, differenziert danach, ob Menschen oder Tiere verletzt wurden, und sonstiger Vorfälle, jeweils nach den Kategorien der vom Landeshundegesetz NRW reglementierten Hunderassen untergliedert. Aus den von den zuständigen Behörden berichteten Zahlen kann die Landesre­gierung, wie auch vom Bundesverfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2004 – 1 BvR 1778/01 – gefordert, die Entwicklung des Beißverhaltens verschiedener Hunderassen be­obachten und einschätzen, ob die Voraussetzungen für die Reglementierung dieser Hunde­rassen im Landeshundegesetz NRW weiterhin bestehen oder ob es Handlungsbedarf gibt.

Seit der ersten Evaluation des Landeshundegesetzes NRW in den Jahren 2008/2009 ist die Zahl der registrierten gefährlichen Hunde von über 11.000 auf etwa 6.500 und die Zahl der Hunde bestimmter Rassen von etwa 12.000 auf etwa 9.000 gesunken. Das entspricht grund­sätzlich der vom Gesetzgeber gewünschten Intention, den Bestand an potentiell gefährlichen Hunden zu reduzieren. Die Zahl der registrierten großen Hunde hingegen ist seither von rund 400.000 auf mittlerweile mehr als 600.000 erheblich angestiegen. Allerdings ist es nicht das Ziel des Landeshundegesetzes NRW, die Zahl der großen Hunde zu reduzieren.

Im Hinblick auf die Beißvorfälle und sonstigen Vorfälle zeigt die Statistik über den Lauf der Jahre ein uneinheitliches Bild. Es sind – quer durch alle im Gesetz geregelten Kategorien und Hunderassen – immer wieder Schwankungen festzustellen.

Bei den gefährlichen Hunden und den Hunden bestimmter Rassen („Listenhunde“) ist als Trend trotz der Schwankungen über den Lauf der Jahre insgesamt eine Abnahme der Vorfälle festzustellen. Dies liegt vor allem daran, dass die Zahl der gehaltenen Hunde dieser Katego­rien stetig abgenommen hat. Ebenso zeigt sich, dass bei den so genannten Listenhunden die Zahl der Vorfälle in Relation zu ihrer verhältnismäßig geringen Population immer noch im Schnitt höher liegt als bei den sonstigen Hunden. Dies rechtfertigt aus Sicht der Landesregie­rung die Beibehaltung der Systematik des Landeshundegesetzes NRW, die die Haltung von gefährlichen Hunden und Hunden bestimmter Rassen verbietet oder zumindest von einer be­hördlichen Erlaubnis mit hohen Anforderungen abhängig macht.

Zwar ist die Zahl der Vorfälle mit großen Hunden in den vergangenen Jahren gestiegen, aller­dings waren auch in dieser Kategorie in den vergangenen Jahren erhebliche Schwankungen zu verzeichnen. Der Wert von 877 Beißvorfällen mit Verletzungen von Menschen im Jahr 2021 ist der höchste Wert, der bislang festgestellt wurde. Bei den Beißvorfällen mit Verletzungen von Tieren ist die Zahl von 1.131 indes nicht der Rekordwert. Dieser wurde mit 1.210 bereits im Jahr 2008 gemeldet – bei einer Zahl von rund 400.000 seinerzeit gemeldeten großen Hun­den. Im Jahr 2008 war auch die Zahl der Beißvorfälle mit Verletzungen von Menschen mit 691 vergleichsweise hoch angesichts der im Vergleich zu heute deutlich geringeren Zahl der re­gistrierten großen Hunde. Im Folgejahr 2009 wurden dagegen in dieser Kategorie nur noch 483 Fälle gemeldet und bei den Beißvorfällen mit Verletzungen von Tieren 980. Diese Bei­spiele machen deutlich, dass es bei der Anzahl von Vorfällen mit großen Hunden im Verhältnis zur Anzahl von Hundehaltungen insgesamt im Laufe der Jahre keine eindeutigen Tendenzen gegeben hat. Dass die nun für das Jahr 2021 gemeldeten Vorfallzahlen vergleichsweise hoch sind, überrascht nicht, da die Gesamtzahl der registrierten großen Hunde erheblich zugenom­men hat.

Die Landesregierung nimmt bei der Bewertung der Statistik über die Beißvorfälle, wie bereits oben in Bezug auf die Listenhunde ausgeführt, besonders die so genannte relative Beißhäu­figkeit in den Blick. Auf diese Weise lässt sich das Gefahrenpotential der einzelnen Hunderas­sen oder Kategorien von Hunden klarer erkennen, da der Anteil der registrierten Hunde dar­gestellt wird, der durch Beißvorfälle auffällig wird. Hierbei wird die Zahl der Vorfälle in Relation zur Zahl der registrierten Hunde dieser Kategorie bzw. Rasse gesetzt. Bei den Beißvorfällen mit Verletzungen von Menschen betrug der Wert der relativen Beißhäufigkeit bei großen Hun­den in den Jahren 2017 bis 2020 zwischen 0,126 und 0,139 %. Im Jahr 2021 stieg dieser Wert auf 0,146 %. Im bereits erwähnten Jahr 2008 betrug der Wert der relativen Beißhäufigkeit in dieser Rubrik 0,172 % und überstieg damit sogar den aktuellen Wert. Bei den Beißvorfällen mit Verletzungen von Tieren betrug die relative Beißhäufigkeit in den Jahren 2017 bis 2020 zwischen 0,179 und 0,206 %. Im Jahr 2021 lag dieser Wert bei 0,188 %, im Jahr 2008 bei einem Höchstwert von 0,302 %. Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass die Zunahme der gemeldeten großen Hunde in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren nicht zu neuen Höchstwerten bei der relativen Beißhäufigkeit geführt hat. Diese bewegt sich etwa auf dem bisherigen Niveau.

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um diesem Trend entgegenzuwir­ken?

Wie bereits unter Nummer 1 ausgeführt, sieht die Landesregierung in der Entwicklung der Vorfallzahlen der letzten Jahre keinen Trend, der eine Neubewertung der Gefährlichkeitsein-stufungen von Hunden auf der Grundlage des Landeshundegesetzes NRW notwendig macht. Die Zunahme der absoluten Zahl von Beißvorfällen lässt sich vor allem auf die deutliche Erhö­hung der Hundehaltungen insgesamt zurückführen. Die Möglichkeiten der Landesregierung, die Zunahme von Hundehaltungen zu begrenzen, sind allerdings schon aus rechtlichen Grün­den sehr begrenzt. Mit Blick auf die in Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes niedergelegte Handlungsfreiheit, welche auch das Recht zum Erwerb eines Hundes umfasst, wäre eine Aus­weitung des Verbots oder auch die weitere Beschränkung oder Erschwerung der Anschaffung von bestimmten Hunderassen oder großer Hunde an strenge verfassungsrechtliche Anforde­rungen geknüpft.

Umso wichtiger ist es, dass die nach dem Landeshundegesetz NRW bestehenden Maßnah­men zum Schutz der von Hunden ausgehenden Gefahren von den zuständigen Behörden ergriffen werden.

Nach dem Landeshundegesetz NRW sind die örtlichen Ordnungs-behörden dafür zuständig, zur Gefahrenvorsorge, zur Abwehr und Beseitigung von Gefahren geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Die vor Ort zuständigen Behörden werden dabei von den Bezirksregierungen als Aufsichtsbehörden und vom Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Lan­des Nordrhein-Westfalen als oberste Aufsichtsbehörde unterstützt. Die Unterstützung durch die oberste Aufsichtsbehörde erfolgt unter anderem in der Form fortlaufend aktualisierter Ver­waltungsvorschriften und Erlasse, welche einen einheitlichen und effektiven Vollzug der Ge­fahrenabwehr auf der Grundlage des Landeshundegesetzes NRW gewährleisten sollen.

Um den Erkenntnisgewinn aus der jährlichen Hundestatistik zu erhöhen, prüft das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen derzeit, inwieweit einzelne Parameter aus der Berichtspflicht der zuständigen örtlichen Ordnungsbehörden künf­tig erweitert oder konkreter gefasst werden können.

  1. Wie vielen Haltern wurde in den Jahren 2017–2021 ein Hund entzogen? (Bitte auf­schlüsseln nach Jahr, Stadt bzw. Kommune und Hunderasse)

In dem genannten Zeitraum wurde insgesamt 1.153 Haltungspersonen ein Hund auf Grund­lage des § 12 Absatz 2 Satz 4 LHundG NRW entzogen. Die Einzelheiten sind den beigefügten Anhängen zu entnehmen, die von den Bezirksregierungen übermittelt wurden.

  1. Wie vielen Personen wurde in den Jahren 2017–2021 das Halten eines Hundes ge­nerell untersagt?

In dem genannten Zeitraum wurde 885 Personen die Haltung eines Hundes auf Grundlage des § 12 Absatz 2 Satz 3 LHundG NRW untersagt. Die Einzelheiten sind den beigefügten Anhängen zu entnehmen, die von den Bezirksregierungen übermittelt wurden.

  1. Wie viele Hunde wurden in den Jahren 2017–2021 nach § 3, Absatz 3 LHundG NRW im Einzelfall als gefährlich festgestellt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Grund ge­mäß § 3 Absatz 3 Satz 1–6 und Hunderasse)

Wie sich aus der Hundestatistik ergibt, wurden

2017: 254,
2018: 205,
2019: 322,
2020: 265,
2021: 279

Hunde nach § 3 Absatz 3 LHundG NRW im Einzelfall als gefährlich festgestellt. Eine Auf­schlüsselung nach dem Grund der Gefährlichkeits-feststellung und der Hunderasse war von den zuständigen Behörden im Rahmen der zur Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar.

 

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