Kleine Anfrage 266
des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz vom 03.08.2022
Was unternimmt die Landesregierung gegen Energiearmut in Zeiten der Krise?
Die steigenden Energiepreise für Gas und Strom machen sich zunehmend bei den Bürgern bemerkbar. Insbesondere sind es die einkommensschwachen Haushalte, die während der Energiekrise am härtesten von den Preiserhöhungen getroffen werden. Bereits im Jahre 2016 wurde laut Medienberichten 72.0001 Haushalten in Nordrhein-Westfalen der Strom gesperrt. Dieser dramatisch hohe Wert droht nun aufgrund aktueller Entwicklungen nicht nur wieder erreicht, sondern möglicherweise übertroffen zu werden.
Zur Prävention und Unterstützung von in Zahlungsnot geratenen Haushalten verwies die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz und der ehemaligen Abgeordneten Iris Dworeck-Danielowski (Lt-Drucksache 17/1948) auf das Projekt „NRW bekämpft Energiearmut“2. Bei dem Projekt handelt es sich um ein Modellvorhaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2012 mit der Zielsetzung, präventiv gegen Stromsperrungen vorzugehen3. Zu diesem Zwecke wurden kostenlose Rechts- und Budgetberatungen in Kooperation mit seinerzeit 15 Energieversorgungsunternehmen an 13 Standorten in Nordrhein-Westfalen (Aachen, StädteRegion Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Duisburg, Ennepe-Ruhr-Kreis, Gelsenkirchen/Bottrop, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Velbert und Wuppertal) angeboten4. Das Projekt wurde von der Landesregierung finanziell unterstützt.
Die Landesregierung darf nicht unvorbereitet in den kommenden Herbst gehen und muss gezielte Anstrengungen unternehmen, um einer potenzierten Energiearmut der Bürger in Nordrhein-Westfalen entgegenwirken zu können.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie viele private Haushalte waren in Nordrhein-Westfalen seit 2016 wegen Zahlungsunfähigkeit von sogenannte Sperrungen betroffen? (Bitte aufschlüsseln nach Strom-, Gas-, Wassersperren, Jahr sowie nach Haushalten mit und ohne Kinder)
- Inwieweit beabsichtigt die Landesregierung die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Bereich der Energiearmut kurz- bzw. mittelfristig finanziell zu unterstützen? (Bitte nach Beträgen und Projekten aufschlüsseln)
- Wie viele Privathaushalte in Nordrhein-Westfalen haben seit dem 01.01.2018 ein kostenloses Beratungsangebot in Anspruch genommen? (Bitte aufschlüsseln nach Beratungsstelle, Jahr sowie nach Haushalten mit und ohne Kinder)
- Welche Standorte in Nordrhein-Westfalen befinden sich derzeit in Kooperation mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und den verschiedenen Energieversorgungsunternehmen, um Energiearmut zu bekämpfen? (Bitte aufschlüsseln nach Standort und Energieversorgungsunternehmen)
- Inwiefern gibt es konkrete Überlegungen bzw. Maßnahmen seitens der Landesregierung, der im Herbst und Winter drohenden finanziellen Überforderung von Strom- und Gaskunden entgegenzuwirken?
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
1 Siehe Welt.de, Sozialhilfeempfänger sollen vor Stromsperren bewahrt werden (https://www.welt.de/regionales/nrw/article172718739/Fruehwarnsystem-in-Menden-Sozialhilfeempfaenger-sollen-vor-Stromsperren-bewahrt-werden.html), Zugriff vom 07.07.2022
2 Siehe Lt-Drucksache 17/2207
3 Ebd.
4 Ebd.
Die Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 266 mit Schreiben vom 26. August 2022 im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und dem Minister der Finanzen namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie viele private Haushalte waren in Nordrhein-Westfalen seit 2016 wegen Zahlungsunfähigkeit von sogenannten Sperrungen betroffen? (Bitte aufschlüsseln nach Strom-, Gas-, Wassersperren, Jahr sowie nach Haushalten mit und ohne Kinder)
Die Bundesnetzagentur befragt Netzbetreiber sowie Strom- und Gaslieferanten jährlich zu Sperrandrohungen, Sperrbeauftragungen und tatsächlich durchgeführten Sperrungen. Die Ergebnisse stellt die Bundesnetzagentur in ihrem jährlichen Monitoringbericht dar, der auf der Internetseite der Bundesnetzagentur unter: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Monitoringberichte/s tart.html zu finden ist.
Aus den veröffentlichten Monitoringberichten der Bundesnetzagentur ergeben sich demnach für die Jahre 2016 bis 2020 folgende Zahlen der von den Netzbetreibern tatsächlich durchgeführten Sperrungen (aufgeschlüsselt nach Strom und Gas):
Bundesweit | NRW | |
Strom: | ||
2020 | 230.015 | 75.200 |
2019 | 289.012 | 93.758 |
2018 | 296.370 | 89.210 |
2017 | 330.098 | 98.177 |
2016 | 330.254 | nicht bundesländerspezifisch ausgewiesen |
Gas: | ||
2020 | 23.991 | 10.184 |
2019 | 30.997 | 13.333 |
2018 | 33.145 | 13.023 |
2017 | 38.048 | nicht bundesländerspezifisch ausgewiesen |
2016 | 39.836 | nicht bundesländerspezifisch ausgewiesen |
Über die Anzahl der Sperrungen in Haushalten mit und ohne Kinder liegen der Landesregierung keine Daten vor. Für den Bereich Wasser sind keine Zahlen von Sperrungen bekannt.
- Inwieweit beabsichtigt die Landesregierung die Verbraucherzentrale Nordrhein-
Westfalen im Bereich der Energiearmut kurz- bzw. mittelfristig finanziell zu unterstützen? (Bitte nach Beträgen und Projekten aufschlüsseln)
Die derzeitige, angespannte Energiepreisentwicklung und Gasknappheit stellen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, insbesondere die Haushalte mit geringem und niedrigem, mittlerem Einkommen eine enorme Herausforderung dar. Der Landesregierung ist es daher ein wichtiges Anliegen, Energiearmut zu vermeiden und den betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern konkrete Lösungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, wie sich Energieschulden reduzieren und Energiesperren möglichst vermeiden bzw. wieder aufheben lassen.
Nach Ablauf des von 2012 bis 2021 durchgeführten und von der Landesregierung mitfinanzierten Modellprojektes „NRW bekämpft Energiearmut“ ist es gelungen, das im Projekt entwickelte Beratungsangebot der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zur energiearmutsspezifischen, kostenlosen Budget- und Rechtsberatung von einkommensschwachen Haushalten in die institutionelle Förderung der Allgemeinen Verbraucherberatung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zu verankern.
Die Energiearmutsberatung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird mit Mitteln der Landesregierung (institutionelle Förderung) sowie der Energieversorgungsunternehmen und Kommunen (anteilige Finanzierung der Beratungsfachkräfte an den Standorten) finanziert. Dies ermöglicht auch zukünftig an zehn Standorten eine intensive Kooperation zwischen den örtlichen Fachberatungsstellen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und den örtlichen Versorgungsunternehmen sowie eine enge Vernetzung mit den Sozialpartnerinnen und -partnern in den beteiligten Kommunen, insbesondere mit den Job- und Sozialämtern, um Energiearmut entgegenzuwirken.
- Wie viele Privathaushalte in Nordrhein-Westfalen haben seit dem 01.01.2018 ein kostenloses Beratungsangebot in Anspruch genommen? (Bitte aufschlüsseln nach Beratungsstelle, Jahr sowie nach Haushalten mit und ohne Kinder)
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat auf Bitten des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen eine Tabelle erstellt, aus der sich die Anzahl der ratsuchenden Haushalte an den jeweiligen Standorten im Projekt „NRW bekämpft Energiearmut“ entnehmen lässt. Die Tabelle ist als Anlage beigefügt.
- Welche Standorte in Nordrhein-Westfalen befinden sich derzeit in Kooperation mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und den verschiedenen Energieversorgungsunternehmen, um Energiearmut zu bekämpfen? (Bitte aufschlüsseln nach Standort und Energieversorgungsunternehmen)
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen engagiert sich derzeit an den folgenden zehn Standorten in Kooperation mit Kommunen und örtlichen Energieversorgungsunternehmen im Kampf gegen Energiearmut:
Standorte | Beteiligte Energieversorgungs-unternehmen (EVU) |
Aachen | Stadtwerke Aachen AG (STAWAG) |
Alsdorf/StädteRegion Aachen | enwor – energie & wasser vor ort GmbH, EWV Energie- und Wasser-Versorgung GmbH |
Bochum | Stadtwerke Bochum |
Dortmund | Kein EVU beteiligt |
Duisburg | Stadtwerke Duisburg |
Hamm | Stadtwerke Hamm |
Gelsenkirchen | Kein EVU beteiligt |
Krefeld | Stadtwerke Krefeld |
Witten/Ennepe-Ruhr-Kreis | Stadtwerke Witten, Aktiengesellschaft für Versorgungs-Unternehmen (AVU) |
Wuppertal | Wuppertaler Stadtwerke (WSW) |
Darüber hinaus stehen Beratungsmaterialien aus dem abgeschlossenen Modellprojekt „NRW bekämpft Energiearmut“ wie zum Beispiel Checklisten sowie ein Praxisleitfaden „Energiearmut – Nein Danke“ mit Hilfestellungen und Handlungsoptionen zum Umgang mit Energiesperren und Energiearmut sowie Best Practice Ansätzen für die praktische Arbeit vor Ort auch allen übrigen Beratungsstellen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Schulungen von Beraterinnen und Beratern der Verbraucherberatungsstellen zu den rechtlichen Voraussetzungen für Energiesperren runden das Angebot ab, um möglichst vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Energieschulden helfen zu können.
- Inwiefern gibt es konkrete Überlegungen bzw. Maßnahmen seitens der Landesregierung, der im Herbst und Winter drohenden finanziellen Überforderung von Strom- und Gaskunden entgegenzuwirken?
Die Landesregierung, der Bund und die anderen Länder haben bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen um Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. Zu diesen Entlastungsmaßnahmen zählen die Energiepreispauschale, die Absenkung der EEG-Umlage und der Energiesteuer auf Kraftstoffe, das 9-EUR-Ticket, der Heizkostenzuschuss für wohngeldberechtigte Personen, die Rentenanpassung, der Kinderbonus, die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschalbetrags und des Grundfreibetrags sowie die Erhöhung der BaföG-Sätze für Studierende und Auszubildende.
Die Landesregierung wird sich auch weiterhin sorgfältig mit der Energiepreisentwicklung, der Situation am Gasmarkt sowie den damit einhergehenden Belastungen für private Haushalte auseinandersetzen.
Neuaufnahmen pro Jahr und Standort im Projekt „NRW bekämpft Energiearmut“ |
Standorte /Jahr | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 (bis 30.11.21) |
Aachen | 88 | 89 | 96 | 77 |
Alsdorf (StädteRegion Aachen) | 92 | 111 | 114 | 110 |
Bielefeld bis (31.12.18) | 28 | ./. | ./. | ./. |
Bochum | 96 | 79 | 90 | 80 |
Dortmund | 112 | 96 | 113 | 96 |
Duisburg | 211 | 165 | 114 | 122 |
Gelsenkirchen/Bottrop | 136 | 152 | 118 | 136 |
Hamm (seit 01.07.19) | ./. | 14 | 63 | 58 |
Köln (bis 30.06.2020) | 76 | 69 | 6 | ./. |
Krefeld | 148 | 148 | 127 | 153 |
Mönchengladbach (bis 31.12.18) | 80 | ./. | ./. | ./. |
Velbert (bis 31.12.18) | 41 | ./. | ./. | ./. |
Ennepe-Ruhr-Kreis | 86 | 57 | 83 | 78 |
Wuppertal | 98 | 118 | 111 | 148 |
Projektstandorte bis 2021 | Haushalte mit Kindern | Haushalte ohne Kinder |
Aachen | 34% | 66% |
Alsdorf | 54% | 46% |
Bochum | 35% | 65% |
Dortmund | 37% | 63% |
Duisburg | 44% | 56% |
Gelsenkirchen | 44% | 56% |
Hamm | 46% | 54% |
Krefeld | 41% | 59% |
Ennepe-Ruhr-Kreis | 38% | 62% |
Wuppertal | 39% | 61% |
Projektstandort bis 2020 | Haushalte mit Kindern | Haushalte ohne Kinder |
Köln | 37% | 63% |
Projektstandorte bis 2018 | Haushalte mit Kindern | Haushalte ohne Kinder |
Bielefeld | 41% | 59% |
Mönchengladbach | 45% | 55% |
Velbert | 48% | 52% |