Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zur möglichen Radikalisierung des Attentäters von Solingen vor?

Kleine Anfrage
vom 17.09.2024

Kleine Anfrage 4418

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zur möglichen Radikalisierung des Attentäters von Solingen vor?

Wie aus Pressemeldungen hervorgeht, verdichten sich die Hinweise, dass sich der mutmaßliche Attentäter von Solingen im Islamischen Zentrum Solingen radikalisiert haben könnte.1 Diese Moschee gelte als salafistisch geprägt. Angeblich deutet alles darauf hin, dass Al-Hassan immer wieder im Islamischen Zentrum Solingen vor Ort war und dort in Begleitung von sechs bis acht Personen eine Moschee auftauchte.

Der Attentäter sei „in der örtlichen Moschee“ bekannt war. Interessant sind auch die geographischen Gegebenheiten. So liegt das Islamische Zentrum Solingen ca. 300 Meter von der Asylunterkunft entfernt, in der der Tatverdächtige untergebracht war. Auch der spätere Tatort befindet sich in unmittelbarer Nähe.

Aufschlussreich ist auch der Umstand, dass das Bekennervideo in der Straße aufgenommen wurde, in welcher sich die Moschee befindet. Pikant sind in diesem Zusammenhang Löschungen von der Homepage. Zum Glück vergisst das Internet aber nichts.

Hintergründe zum Islamischen Zentrum in Solingen – inklusive delikater Videosequenzen – hat der Journalist P. auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht.2 In der oben erwähnten Pressemeldung heißt es weiter: „So wurde in der Moschee schon das Tragen von enger Kleidung als unislamisch bezeichnet. Außerdem hat ein Imam Allah zur Vernichtung der „kriminellen Ungläubigen“ aufgerufen. Bei Menschen, die „Unzucht“ betreiben, wird in der Gemeinde offen zur Auspeitschung bis hin zur Steinigung aufgerufen.

Zugleich bewirbt die Stadt Solingen die Einrichtung. In einer Broschüre, in der sich Migrantenverbände vorstellen, heißt es, dass sich die Moschee insbesondere um Integrationsbemühungen verdient gemacht hätte.“

Der Umstand, dass im Gegensatz dazu der Landesregierung keinerlei Informationen zum Islamischen Zentrum vorliegen, ist daher verwunderlich. Auf Nachfrage sagte Innenminister Herbert Reul im Rahmen der Sondersitzung des Innenausschusses vom 29.08.2024: „Diese Moschee, die da auftaucht. Die Moschee in Solingen, von der die Rede ist, ist bei uns nicht unter Beobachtung. Ich kann das auch mal genau sagen. Wir haben hinsichtlich der Aktivitäten dieser Moschee des Islamischen Zentrums in Solingen und hinsichtlich der Aktivitäten des VIKZ in der Konrad-Adenauer-Straße keine Informationen. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bewertung der genannten Moschee durch den Verfassungsschutz liegen nicht vor. Das schließt nicht aus, dass einzelne Personen darin verkehren, die einen solchen Verdacht nicht nur unterstützen, sondern ihn auch bestätigen.“3

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Welchen Einfluss auf die Radikalisierung des Attentäters von Solingen hatten nach derzeitigem Ermittlungsstand die Besuche des Islamischen Zentrums Solingen?
  2. Inwiefern sind den ermittelnden Behörden die in der Moschee aufgenommenen Videos bekannt und Teil der Ermittlungen?
  3. Inwiefern trifft es nach Ansicht der Landesregierung zu, dass die Moschee salafistisch geprägt ist?
  4. Wie bewertet die Landesregierung die im oben verlinkten Video4 gezeigten Aussagen in der Moschee?
  5. Wie begegnet die Landesregierung der Gefahr einer möglichen Radikalisierung weiterer Bewohner der angrenzenden Flüchtlingsunterkunft im Islamischen Zentrum Solingen?

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-10630

 

1 Vgl. https://apollo-news.net/aufruf-zur-vernichtung-krimineller-unglaeubiger-stadt-bewarb-moschee-in-der-sich-der-attentaeter-von-solingen-radikalisierte/

2 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=NMudAqpbsf4&t=9s

3 Vgl. Apr. 18/636

4 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=NMudAqpbsf4&t=9s


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4418 mit Schreiben vom 7. November 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Welchen Einfluss auf die Radikalisierung des Attentäters von Solingen hatten nach derzeitigem Ermittlungsstand die Besuche des Islamischen Zentrums Solin­gen?
  2. Inwiefern sind den ermittelnden Behörden die in der Moschee aufgenommenen Videos bekannt und Teil der Ermittlungen?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Das Ermittlungsverfahren wird nicht im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz, sondern durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof geführt. Die Informationshoheit liegt aufgrund dessen ausschließlich beim Generalbundesanwalt.

  1. Inwiefern trifft es nach Ansicht der Landesregierung zu, dass die Moschee salafis-tisch geprägt ist?
  2. Wie bewertet die Landesregierung die im oben verlinkten Video gezeigten Aussa­gen in der Moschee?

Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Das Video stellt sich als Zusammenschnitt verschiedener Aufnahmen dar, die allesamt unda­tiert sind. Über die Sprecher im Video ist nicht bekannt, in welcher Beziehung sie zur Moschee stehen.

Die gezeigten Ausschnitte lassen auf ein Religionsverständnis schließen, das mindestens in Teilen die Schwelle zum Islamismus überschreitet. Hinweise auf eine Jihadistische Ausrich­tung im Sinne der Terrororganisationen Al-Qaida oder des sogenannten Islamischen Staats (IS) finden sich nicht.

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bewertung der Moschee liegen nicht vor. Im Übrigen kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden, dass einzelne Personen der islamistischen Szene die Moschee als Anlaufstelle nutzen können.

  1. Wie begegnet die Landesregierung der Gefahr einer möglichen Radikalisierung weiterer Bewohner der angrenzenden Flüchtlingsunterkunft im Islamischen Zent­rum Solingen?

Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen bereits seit 2004 über ein Handlungskonzept zur Früherkennung islamistischer Terroristen verfügt, welches seither regelmäßig fortentwickelt und an die Gefährdungslage und die damit verbun­denen Herausforderungen angepasst wird.

Mit dem Anfang dieses Jahres umfassend überarbeiteten Handlungskonzepts zur Früherken­nung von Extremismus, Terrorismus und Politisch motivierter Kriminalität (PMK) werden in allen Phänomenbereichen der PMK nunmehr einheitliche und standardisierte Maßstäbe ge­setzt. Ziele des Handlungskonzeptes sind u. a. das frühzeitige Erkennen von Radikalisierun­gen und Anschlagsvorbereitungen sowie das Verhindern terroristischer Anschläge von gewalt­bereiten islamistisch motivierten Personen und Netzwerken.

Das Handlungskonzept setzt dabei auf eine niedrigschwellige umfassende Gefahrenver-dachtsgewinnung in enger Zusammenarbeit mit weiteren (Sicherheits-)Behörden. Wesentli­cher Bestandteil des Handlungskonzepts zur Früherkennung ist ein standardisierter Prüffall-prozess, um verdächtige Feststellungen und Hinweise professionell zu bearbeiten und eine abschließende Bewertung zum Vorliegen einer Radikalisierung oder eines Gefahrenverdachts vorzunehmen.

Zur Gewährleistung einer konsequenten Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verfügt der Po­lizeiliche Staatsschutz über Exekutivbefugnisse, die bei Vorliegen der rechtlichen Vorausset­zungen z. B. Festnahmen sowie Durchsuchungen von Personen, Sachen oder Wohnungen zulassen. In diesem Kontext wird der Polizeiliche Staatsschutz vor allem dann tätig, wenn eine konkrete Gefahr besteht.

Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wird künftig darüber hinaus im Rahmen des er­arbeiteten „Präventionskonzepts an Unterbringungseinrichtungen“ mit Bezirksbeamtinnen und -beamten sowie mit Jugendkontaktbeamtinnen und -beamten gezielt Flüchtlingsunterkünfte aufsuchen, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen und als Ansprechpartnerinnern und -partner zur Verfügung zu stehen. Zudem werden in den Kreispolizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen seit 20 Jahren Kontaktbeamtinnen und Kontaktbeamte für interkulturelle und –religiöse Angelegenheiten eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehören u. a. die Sicherstel-lung/Erhöhung der Ansprechbarkeit der Polizei in religiösen, kulturellen und postmigrantischen Gemeinschaften, die Früherkennung hinsichtlich religiös oder kulturell motivierter Radikalisie­rungen und sonstiger PMK sowie die Hinweisaufnahme/Früherkennung im Bereich Extremis­mus.

Bei potenziell erkannten Radikalisierungstendenzen steht weiterhin der Verfassungsschutz den Betreibern der jeweiligen Einrichtungen für Geflüchtete als direkter Ansprechpartner zur Verfügung.

Die Landesregierung hat darüber hinaus mit ihrem Maßnahmenpaket vom 10.09.2024 unter anderem beschlossen, die Angebote zur Hilfestellung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Flüchtlingseinrichtungen für den Fall einer möglichen islamistischen Radikalisierung, einer möglichen Zuwendung zu einer islamistischen Ideologie oder bei Distanzierungsprozes-sen einer Person zu evaluieren und anhand aktueller Wissensstände weiterzuentwickeln.

 

MMD18-11366