„Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild’ ich einen Arbeitskreis …!“ – ergebnisloser Flüchtlingsgipfel als Alibiveranstaltung – Mit welchen Forderungen geht NRW in die nächste Ministerpräsidentenkonferenz?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1497

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 09.03.2023

„Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild’ ich einen Arbeitskreis …!“ – ergebnisloser Flüchtlingsgipfel als Alibiveranstaltung Mit welchen Forderungen geht NRW in die nächste Ministerpräsidentenkonferenz?

„Flüchtlingsgipfel wird zur Luftnummer“, so titelte die BILD im Nachgang des mit großen Erwartungen verknüpften sogenannten „Flüchtlingsgipfels“.1 Am Donnerstag, den 16. Februar waren zu dem Spitzengespräch zur Migrationskrise u.a. Landräte und Vertreter von Kommunen mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zusammengekommen. Statt effektivem Grenzschutz, wie immer wieder von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) gefordert, oder der groß angekündigten, ominösen, aber bisher nicht sichtbaren Rückführungsoffensive der Ampel bzw. der NRW-Landesregierung wurden notwendige Maßnahmen für die in den Kommunen deutlich spürbaren Probleme erneut aufgeschoben.

Der Bund plant 70 000 weitere Unterbringungsmöglichkeiten bereitzustellen, was nicht einmal den fortwährenden Zugang eines Quartals auffangen würde.

Vier Arbeitskreise wurden eingerichtet, die bis Ostern Lösungen anbieten sollen, die doch bereits heute deutlich identifizierbar sind. Die vier Bereiche sind: „Unterbringung/Finanzen“, „Entlastung der Ausländerbehörden und Verschlankung der Prozesse“, „Integration“ (Sprachkurse, Schule/Kita/Arbeitsmarkt) und „Begrenzung irregulärer Migration/Rückführung“.

Auch zur Begrenzung der „irregulären“ Migration sollen also Vorschläge erarbeitet werden. Dabei verkennt man bewusst, erneut verbunden mit einem geschickten Framing, dass es sich eben nicht um „irreguläre“, sondern um illegale Migration handelt. Das wird auch von der DPolG deutlich so benannt, inklusive des erforderlichen Maßnahmenpakets, welches von der Bundesregierung allerdings konsequent ignoriert wird. Über neue Finanzmittel vom Bund will man erst wieder Ostern sprechen. Bis dahin lässt man die Kommunen an der langen Leine im Regen stehen.

Immerhin soll ein sogenanntes „digitales Migrations-Dashboard“ erstellt werden. Dort sollen Daten der aktuellen Situation auf Bundes-, Landes- und auf Landkreisebenen gebündelt werden. Das lindert die bekannten Probleme zwar nicht, schafft aber ggf. immerhin einen Überblick über die verworrene Lage.

Innenministerin Faeser kündigte zudem an, sich für „eine stärkere europäische Verteilung“ der ukrainischen Flüchtlinge einzusetzen. Diese Forderung ist richtig und entspricht auch den Vorgaben der EU-Massenzustromrichtlinie. Die Erfahrungen der Jahre 2015 ff. haben allerdings gezeigt, dass die europäische Solidarität spätestens bei der Aufnahme endlich ist. Zudem ist eine Umsetzung bei gleichzeitiger Visa-Freiheit innerhalb des Schengenraums kaum umsetzbar. Es zeigt sich erneut, dass bei vielen EU-Mitgliedsländern berechtigte nationale Interessen stärker sind als aufoktroyierte Vorgaben nach dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS).

Wie die BILD richtigerweise bemerkt, wurden die wichtigsten Probleme vertagt: „Die Frage, wie illegale Migration begrenzt werden kann, kommt erst an Ostern wieder auf den Tisch! Nach diesem „Luftnummer-Gipfel“ gibt es weder konkrete Sofort-Maßnahmen, um illegale Migration zu begrenzen und um schneller abzuschieben, noch kommt mehr Geld für Unterkünfte und Integration. Damit werden die Länder und Kommunen finanziell teils allein gelassen, denn das Geld reicht bald nicht mehr aus.“2

Olaf Gericke (56, CDU), Landrat in Warendorf (Nordrhein-Westfalen), bemerkte gegenüber der BILD: „Die wichtigen Finanzierungsfragen bleiben erneut ungelöst. Da kann man nur sagen: Außer Spesen nicht viel gewesen … Kanzler übernehmen Sie endlich!“3

Auch der Präsident des Deutschen Landkreistages, Landrat Reinhard Sager, hat den Flüchtlingsgipfel als enttäuschend bezeichnet. „Bei den Themen Begrenzung der irregulären Migration und Rückführung abgelehnter Asylbewerber müssen den Worten nun Taten folgen, denn den Landkreisen steht vor Ort das Wasser bis zum Hals.“4 Im Rahmen der abschließenden Pressekonferenz bemerkte er, dass der Druck auf die Kommunen und Landkreise durch die wachsenden Migrantenzahlen von Tag zu Tag und Woche zu Woche größer werde.

Gegenüber der BILD zog Präsident Sager nach dem Gipfel eine verheerende Bilanz: „Wir haben mehr Flüchtlinge als 2015/16, die Situation ist also dramatischer als damals. Trotzdem erhalten die Kommunen viel weniger Geld als damals. Die Bundesinnenministerin hat eben nicht die Kompetenz, über Finanzfragen zu entscheiden.“ […] „Es ist immer gut, miteinander zu sprechen […]. Aber die Ergebnisse sind wirklich mau. Was wir jetzt brauchen, sind eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen und schnelle finanzielle Hilfen. Der Bundeskanzler ist jetzt gefordert. Er muss die Flüchtlingskrise zur Chefsache machen.“ Im Januar kamen rund 30 000 Flüchtlinge aus Drittstaaten zu uns. Wenn es so weitergeht, werden wir in diesem Jahr deutlich über dem Wert von 2022 liegen. Ich verstehe nicht, warum unsere Rufe im Kanzleramt bislang verhallen.“ Sie [die Bundesregierung] muss sich viel stärker dafür einsetzen, die EU-Außengrenzen zu schützen. Zudem brauchen wir eine bessere Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Und wir brauchen eine Rückführungsoffensive für abgelehnte Flüchtlinge.“5

Für einen kleinen „Eklat“ während der Pressekonferenz sorgte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke, der in Bezug auf Ausführungen des Hamburger Innensenators Grote „Heuchelei“ rief und protestierend den Saal verließ.6

Die FAZ kommentierte: „Seit dem ersten Gipfel im Oktober 2022 hat sich im Ergebnis nichts geändert. Eine Begrenzung des Zustroms gibt es nicht, im Gegenteil, die Zahlen gehen wohl weiter hoch. Die Bundesregierung sucht stattdessen schon das zweite Mal den Ausweg über Bundesliegenschaften. Das ist eine kleine Hilfe bei der Unterbringung, aber ein Ausweg aus der Wohnungsnot ist es nicht, aus der Krise schon gar nicht. […] Auf die Kommunen müssen solche Girlanden, Vertagungen und Banalitäten wie Hinhaltetaktik wirken. In allen wichtigen Punkten ist keine Bewegung zu erkennen. Der Bund lehnt es beharrlich ab, mit den Kommunen über Geld zu reden. Auf EU-Ebene zeichnet sich keinerlei Erfolg Berlins ab, eine gerechtere Verteilung zu erreichen. Mit einer Verbesserung der Rückführungen ist vorerst nicht zu rechnen, da Verhandlungen mit wichtigen Herkunftsländern erst jetzt anlaufen.“7

Bereits im Vorfeld des Gipfels gab es deutliche Kritik aus der kommunalen Familie, so von Landrat Kai Zwicker (CDU) aus dem Westmünsterland: „Es gibt – unabhängig von der weiteren Frage der Möglichkeiten von Beschulung und Kinderbetreuung – einfach zu wenige Wohnungen. […] Es kann nicht sein, dass die Kommunen auf Kosten hängenbleiben, weil Bund und Länder sich nicht einig werden. […] Auch weil die europäische Solidarität – sprich die sogenannten Dublin-Verfahren – faktisch nicht funktioniert, muss der Bund dringend anpacken, um die Kommunen an dieser Stelle zu entlasten. […] Beim Asylrecht läuft einiges schief. […] Von der angekündigten Abschiebe-Offensive ist nichts zu sehen. Stattdessen werden falsche Botschaften ausgesendet, etwa durch das Bürgergeld oder Erleichterung bei der Einbürgerung. Das ist quasi eine Einladung zur Migration, ein ganz klarer Pull-Faktor.“8

Damit ist er weiter in der Diskussion als Ministerpräsident Wüst (CDU), der die Lösung scheinbar nur in höheren Transferleistungen des Bundes sieht.9 Damit folgt er seinem Amtskollegen Weil (SPD) aus Niedersachsen.10

Andreas Roßkopf, bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zuständig für die Bundespolizei, forderte Fortschritte bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber ein. „Die bisherige Koordination der Behörden untereinander, etwa zwischen Ausländer- und Strafverfolgungsbehörden ist katastrophal“, sagte er der Mediengruppe Bayern. Die Polizei scheitere bei der Rückführung häufig an diesem Zuständigkeitsgerangel.11

Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, und der Bundespolizei-Präsident Dieter Romann führten nach Informationen der WELT aus, wie sich die Migrationsbewegungen entwickeln. „Die Dramatik verschärfe sich offenbar, sagte im Anschluss ein Teilnehmer. Neben dem Zugang über den Westbalkan nehme auch die Zuwanderung über Belarus wieder zu.“ Mehrere Innenminister kritisierten angeblich die Weiterreise unregistrierter Migranten innerhalb der EU.12

Fakt ist, dass die bisher avisierten Bundesmittel nur ca. ein Fünftel der Flüchtlingskosten abdecken. Das Thema „Flüchtlingsunterbringung“ soll daher auch bei der nächsten Ministerpräsidenten-Konferenz am 16. März in Berlin eine zentrale Rolle spielen.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Welche Forderungen wurden im Rahmen des Flüchtlingsgipfels von Seiten der NRW-Landesregierung an die Bundesinnenministerin gerichtet?
  2. Welche Lösungsansätze – abgesehen von höheren Transferleistungen des Bundes – sieht die Landesregierung zur Bewältigung der Migrationskrise?
  3. Welche Lösungsansätze sieht die Landesregierung zur Lösung der Grenzschutzkrise, wie sie beispielsweise permanent von der Deutschen Polizeigewerkschaft eingefordert wird?
  4. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels, insbesondere in Bezug auf in diesem Zusammenhang vorgebrachte eigene Forderungen?
  5. Mit welchen Forderungen zur Bewältigung der Migrations- und der Grenzschutzkrise geht die Landesregierung in die anstehende Ministerpräsidentenkonferenz am 16. März in Berlin?

Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. https:// www .bild.de/politik/inland/politik-inland/fluechtlingsgipfel-wird-zur-luftnummer-landraete-sauer-auf-faeser-82925220.bild.html

2 Ebd.

3 Ebd.

4 Vgl. https:// www .landkreistag.de/presseforum/pressemitteilungen/3291-fluechtlingsgipfel-keine-konkreten-zusagen?fbclid=IwAR3LF0vQwfAOjRJH3IMw_fgT5araconEMRuuUOUx1Bit6OTqgsunMqm2QFk

5 Vgl. https:// www .bild.de/politik/inland/politik-inland/landraete-chef-nach-gipfel-flop-fluechtlings-situation-ist-dramatischer-als-2015-82936060.bild.html

6 Ebd.

7 Vgl. https:// www .faz.net/aktuell/politik/inland/fluechtlingsgipfel-ohne-bewegung-in-allen-wichtigen-punkten-18684218.html?fbclid=IwAR2nquJDzJGDQNwGcHclsMGWJ3fR-bxFnz-Z45XqX-fj5zFBYRZC4Lmmyrc

8 Vgl. https:// www .cicero.de/innenpolitik/deutsche-fluchtlingspolitik-asylsystem-fluchtlingsgipfel-kommunen-landrate

9 Vgl. https:// www .zdf.de/nachrichten/politik/wuest-verbleib-gefluechtete-100.html

10 Vgl. https:// www .welt.de/politik/deutschland/plus243853591/Migration-Absolut-vorrangige-Aufgabe-Zahl-der-Fluechtlinge-deutlich-zu-verringern.html

11 Vgl. https:// www .welt.de/politik/deutschland/article243800735/Fluechtlingsgipfel-Deutscher-Staedtetag-enttaeuscht-Eklat-bei-Pressekonferenz.html?source=puerto-reco-2_ABC-V20.C_SSO

12 Vgl. https:// www .welt.de/politik/deutschland/plus243810341/Migration-Nach-Faesers-Fluechtlingsgipfel-ruft-der-Kommunalvertreter-Heuchelei.html?source=puerto-reco-2_ABC-V20.C_SSO


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1497 mit Schreiben vom 20. April 2023 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit dem Ministerpräsidenten beantwortet.

  1. Welche Forderungen wurden im Rahmen des Flüchtlingsgipfels von Seiten der NRW-Landesregierung an die Bundesinnenministerin gerichtet?
  2. Welche Lösungsansätze – abgesehen von höheren Transferleistungen des Bun­des – sieht die Landesregierung zur Bewältigung der Migrationskrise?

Die Fragen 1 und 2 werden im Sachzusammenhang beantwortet.

Die Landesregierung hat im Rahmen des Flüchtlingsgipfels folgende Forderungen an den Bund gestellt, die zugleich Lösungsansätze zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen bei der Aufnahme und Unterbringung Geflüchteter und ihrer Integration darstellen:

– Bereitstellung einer Zugangsprognose, zu der der Bund gemäß § 44 Abs. 2 AsylG ver­pflichtet ist

– Benennung und Bereitstellung geeigneter Liegenschaften und Beteiligung an deren Her­richtung über die bloße Kostenerstattung hinaus

– Auszahlung der durch den Bund im November 2022 zugesagten Mittel für 2023

– Strukturelle und verstetigte finanzielle Beteiligung des Bundes im Asylbereich anstelle von Einmalzahlungen; Beteiligung des Bundes an den Vorhaltekosten der Länder und Kommunen

– Verstetigung der Finanzierung der Integrationskosten durch eine Neuauflage der Integ­rationspauschale

– Pragmatischer Ausbau von Sprach- und Integrationskursangeboten, beispielsweise durch vorübergehende Absenkung der Qualifikationsanforderungen an die Lehrkräfte und organisatorischer Standards

– schnellere Arbeitsmarktintegration

– Entlastung der kommunalen Ausländerbehörden

– Strukturelle und verstetigte finanzielle Beteiligung des Bundes bei den Kosten für die Unterbringung von aus der Ukraine geflüchteten Personen im Rechtskreis Sozialgesetz­buch (SGB)

  1. Welche Lösungsansätze sieht die Landesregierung zur Lösung der Grenzschutz-krise, wie sie beispielsweise permanent von der Deutschen Polizeigewerkschaft eingefordert wird?

Der Schutz der EU-Außengrenzen liegt nicht in der Zuständigkeit des Landes Nordrhein-West­falen.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels, insbe­sondere in Bezug auf in diesem Zusammenhang vorgebrachte eigene Forderun­gen?

Die Landesregierung vermisst konkrete Ergebnisse insbesondere mit Blick auf die Benennung und kurzfristige Bereitstellung geeigneter Bundesliegenschaften und kritisiert die ablehnende Haltung des Bundes zu einer Beteiligung an den asyl- und integrationsbedingten Kosten.

Der im Nachgang zum Flüchtlingsgipfel implementierte Arbeitsprozess in sog. Bund-Länder-Kommunen-Arbeitsgruppen wird grundsätzlich begrüßt. Das Land ist in allen vier Arbeitsclus­tern

– AG 1 Unterbringung und Finanzierung

– AG 2 Entlastung der Ausländerbehörden und Verschlankung der Prozesse

– AG 3 Integration, Arbeitsmarktintegration, Maßnahmen für Kitas und Schulen, Sprach­kurse

– AG 4 Beschränkung irregulärer Migration / Rückführung

vertreten. Der Arbeitsprozess ist noch nicht abgeschlossen, so dass eine Bewertung zum jet­zigen Zeitpunkt nicht möglich ist.

  1. Mit welchen Forderungen zur Bewältigung der Migrations- und der Grenzschutz-krise geht die Landesregierung in die anstehende Ministerpräsidentenkonferenz am 16. März in Berlin?

Die Position der Landesregierung ergibt sich aus dem in der Anlage beigefügten Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 16. März 2023, der auf Grund­lage eines von Nordrhein-Westfalen eingebrachten Beschlussvorschlags gefasst wurde.

 

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