Wer prüft die Standsicherheit der Windindustrieanlagen?

Kleine Anfrage
vom 19.07.2023

Kleine Anfrage 2136

des Abgeordneten Christian Loose AfD

Wer prüft die Standsicherheit der Windindustrieanlagen?

In Gescher ist am 04.07.2023 ein Windrad eingestürzt. Die Anlage war in etwa 20 Metern Höhe abgebrochen, die Trümmer des Turms, der Generatorkopf und auch die Rotorblätter lagen danach auf einem Wirtschaftsweg und in einem Maisfeld. Die Anlage war nach WDR-Informationen schon 22 Jahre alt und soll Anwohnern zufolge schon einmal beschädigt gewesen sein. Es waren Bolzen gerissen, mit denen die Elemente des Turms verbunden waren. Das Windrad war mit 90 Metern Höhe und einer Leistung von 600 kW eher klein.1

Modernere Anlagen mit einer Gesamthöhe von ca. 230 Metern wurden bspw. an der Autobahn A46 im Kreis Heinsberg errichtet; die letzte dort genehmigte Anlage wird nur 600 Meter entfernt von durchgehender Wohnbebauung des Ortsteils Houverath stehen. Der WDR stellt fest: „Das könnte nun ein Präzedenzfall sein. […] Einen Mindestabstand zur Ortschaft gibt es nicht mehr. Anwohner müssen die Nachteile zugunsten der Energiewende in Kauf nehmen.“2

Einstürze solcher Windindustrieanlagen und die damit einher gehende Gefährdung sind keine Seltenheit. Schwachstellen in bestimmten Spannbeton-Teilen des Turmes hatten in Haltern zu einem ähnlichen Unglück geführt. Einen Tag bevor ihre Einweihung direkt unter der Anlage gefeiert werden sollte, brach diese zusammen. 18 baugleiche Anlagen wurden daraufhin sofort außer Betrieb genommen.3

Die Möglichkeit solcher Zusammenbrüche wiegt umso schwerer, als dass die Anlagen immer näher auch an dichten Wohnbebauungen gebaut werden dürfen. Es stellt sich die Frage, wie die Standsicherheit dieser Windindustrieanlagen unabhängig geprüft und überwacht wird – die vorbeschriebenen Havarien lassen einen Handlungs- und Überprüfungsbedarf erkennen. Nach dem Jahr 2004 errichtete Anlagen müssen laut den geltenden Richtlinien zwar alle zwei Jahre überprüft werden. Allerdings können die Betreiber diesen Zeitraum auf vier Jahre verlängern, wenn sie die Anlage regelmäßig warten. In der Praxis führt das dazu, dass die Sicherheit der neueren Windräder nur alle vier Jahre von unabhängiger Seite überprüft wird.4

Deshalb frage ich die Landesregierung:

  1. Inwieweit erachtet die Landesregierung das Baurecht als ausreichende Maßgröße für die Gewährleistung der Standsicherheit einer Windindustrieanlage?
  2. Womit rechtfertigt sich für die Landesregierung der Umstand, dass bspw. eine in einem Windindustrieanlagenturm eingebaute Aufzugsanlage im Rhythmus von zwei Jahren von der DEKRA, dem TÜV oder einer anderweitig zugelassenen Überwachungsstelle überprüft werden muss, die Windenergieanlage aber nicht?
  3. Wie bewertet die Landesregierung die Forderung einer verpflichtenden technischen Überwachung für Windindustrieanlagen auf Basis der Betriebssicherheitsverordnung, wie sie der Verband der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV) bundesweit einheitlich fordert und wie sie auch für andere Industrieanlagen besteht?
  4. Welche regelmäßigen behördlich überwachten Überprüfungsmaßnahmen hält die Landesregierung für Anlagen mit Errichtung vor dem Jahr 2004 erforderlich, um insbesondere die Standsicherheit von älteren Anlagen zu gewährleisten?
  5. Wann wird die Landesregierung ein Störfallregister einführen, um solche Havarien systematisch erfassen und bewerten zu können?

Christian Loose

 

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1      Vgl. https:// www .tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-windrad-in-gescher-eingestuerzt-100.html, abgerufen am 06.07.2023.

2 Vgl. https:// www1 .wdr.de/nachrichten/rheinland/windrad-a46-erkelenz-darf-gebaut-werden-100.html, abgerufen am 06.07.2023.

3 Vgl. https:// www1 .wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/ursache-einsturz-windrad-haltern-100.html, abgerufen am 06.07.2023.

4 Vgl. https:// www .tuev-verband.de/anlagen/energie/windenergie, abgerufen am 06.07.2023.


Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung hat die Kleine An­frage 2136 mit Schreiben vom 16. August 2023 namens der Landesregierung im Einverneh­men mit der Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr be­antwortet.

  1. Inwieweit erachtet die Landesregierung das Baurecht als ausreichende Maßgröße für die Gewährleistung der Standsicherheit einer Windindustrieanlage?

Die Landesregierung erachtet das Baurecht der Landesbauordnung 2018 für die Gewährleis­tung der Standsicherheit der Türme und Gründungen von Windenergielagen als ausreichend, soweit die Standsicherheit einer Windenergieanlage nicht vollumfänglich durch CE-Kennzei-chen und Konformitätserklärung für Maschinen auf maschinenrechtlicher Grundlage (Produkt-sicherheitsrecht des Bundes zur Umsetzung der EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG bzw. Verordnung (EU) 2023/1230 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 14. Juni 2023 über Maschinen und zur Aufhebung der Richtlinie 2006/42/EG) gewährleistet wird.

  1. Womit rechtfertigt sich für die Landesregierung der Umstand, dass bspw. eine in einem Windindustrieanlagenturm eingebaute Aufzugsanlage im Rhythmus von zwei Jahren von der DEKRA, dem TÜV oder einer anderweitig zugelassenen Über­wachungsstelle überprüft werden muss, die Windenergieanlage aber nicht?

Wiederkehrende Prüfungen an Windenergieanlagen sind gemäß der Technischen Baubestim­mung „Richtlinie für Windenergieanlagen – Einwirkungen und Standsicherheitsnachweise für Turm und Gründung“ in regelmäßigen Intervallen durch Sachverständige an Maschine und Rotorblättern sowie an der Tragstruktur (Turm und zugängliche Bereiche der Fundamente) durchzuführen. Die Prüfintervalle hierfür ergeben sich aus den gutachterlichen Stellungnah­men zur Maschine. Sie betragen höchstens 2 Jahre, dürfen jedoch auf 4 Jahre verlängert werden, wenn durch von der Herstellerfirma autorisierte Sachkundige eine laufende (mindes­tens jährliche) Überwachung und Wartung der Windenergieanlage durchgeführt wird.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Forderung einer verpflichtenden techni­schen Überwachung für Windindustrieanlagen auf Basis der Betriebssicherheits-verordnung, wie sie der Verband der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV) bundesweit einheitlich fordert und wie sie auch für andere Industrieanlagen be­steht?

Eine technische Überwachung auf Basis der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) um­fasst vorrangig die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten bei der Ver­wendung von Arbeitsmitteln. Das Versagen von Windenergieanlagen ist nicht Teil des Anwen­dungsbereiches der BetrSichV. Die BetrSichV legt u. a. einen abschließenden Katalog über­wachungsbedürftiger Anlagen ausschließlich für die Gefahrenfelder Druck, Explosionsschutz und Absturz von Aufzugsanlagen sowie deren Überprüfungsintervalle fest. Der Bundesgesetz­geber hat die BetrSichV in den letzten Jahren mehrfach angepasst. Die Aufnahme von Windenergieanlagen in den Katalog überwachungsbedürftiger Anlagen wurde, u. a. aus den vorgenannten Gründen, nicht in Erwägung gezogen.

  1. Welche regelmäßigen behördlich überwachten Überprüfungsmaßnahmen hält die Landesregierung für Anlagen mit Errichtung vor dem Jahr 2004 erforderlich, um insbesondere die Standsicherheit von älteren Anlagen zu gewährleisten?

Die Landesregierung sieht im Nachgang zur Genehmigung und Errichtung von Windenergie­anlagen kein Erfordernis für regelmäßige behördlich überwachte Überprüfungsmaßnahmen, weil der Erhalt der Standsicherheit von älteren Windenergieanlagen durch wiederkehrende Prüfungen und die Weiterbetriebsprüfung zum Ablauf der Entwurfslebensdauer im Interesse der Anlagenbetreiber liegt.

  1. Wann wird die Landesregierung ein Störfallregister einführen, um solche Havarien systematisch erfassen und bewerten zu können?

Die Störfallverordnung des Bundesgesetzgebers (12. BImSchV) betrifft nur Betriebsbereiche bzw. Anlagen, in denen gefährliche Stoffe in Mengen oberhalb der darin formulierten Mengen­schwellen vorhanden sind. Dies ist bei Windenergieanlagen nicht der Fall.

Die Einführung einer systematischen Erfassung der Havarien von Windenergieanlagen ist von der Landesregierung aktuell nicht vorgesehen.

 

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Beteiligte:
Christian Loose