Kleine Anfrage 416
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner vom 07.09.2022
Wie der Herr, so’s Gescherr? Sachstandsabfrage behördlich erfasster Hunde und ihrer Halter in NRW
Mit der Corona-Krise stieg nicht zuletzt die Anzahl gehaltener Hunde in Deutschland und damit auch in NRW. Zum Stichtag 31.12.2021 zählte das Umweltministerium NRW 1.018.149 Hunde.1 Wie hoch dabei die Dunkelziffer der nichtangemeldeten Hunde liegt, ist unbekannt; sie dürfte aber nach Schätzungen von Städten und Kommunen bis zu 30 Prozent betragen.2 Es ist also davon auszugehen, dass mehrere hunderttausend Hunde im Land nicht angemeldet sind. Damit gehen unmittelbar zwei negative Folgen einher: Zum einen entgehen den Kommunen Steuergelder. Zum anderen kann eine Einhaltung der geltenden Bestimmungen zur Haltung bestimmter Hunderassen nach dem Landeshundegesetz nicht garantiert werden.
Mit der Anzahl der Hunde steigt nämlich potenziell auch die Anzahl der Beiß- und weiterer Vorfälle.3 Im Jahr 2020 waren in NRW 936.372 Hunde registriert und es kam insgesamt zu 939 Beißvorfällen, bei denen Menschen verletzt wurden, 1.215 Beißvorfällen, bei denen ein anderes Tier verletzt wurde, sowie 4.265 Ordnungswidrigkeiten. 2021 hingegen lag die Zahl der Beißvorfälle, bei denen Menschen verletzt wurden, bei 1.125, bei 1.375 Vorfällen wurde ein anderes Tier verletzt und 3.985 Mal kam es zu einer Ordnungswidrigkeit. Damit ergeben sich gerade bei den Beißvorfällen erschreckende Steigerungsraten.
Besonders interessant ist in dieser Hinsicht, dass eine Vielzahl der Beißvorfälle nicht auf sogenannte Listenhunde entfällt. In NRW zählen zu diesen gefährlichen Hunden laut LHundG „die Rassen Pittbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier und deren Kreuzungen untereinander sowie deren Kreuzungen mit anderen Hunden. Kreuzungen nach Satz 1 sind Hunde, bei denen der Phänotyp einer der dort genannten Rassen deutlich hervortritt. In Zweifelsfällen hat die Halterin oder der Halter nachzuweisen, dass eine Kreuzung nach Satz 1 nicht vorliegt.“4 Bei diesen Hunden wird die Gefährlichkeit durch das Gesetz pauschal vermutet. Des weiteren können auch im Einzelfall weitere Hunde als gefährlich eingeschätzt werden.
Dies sind
„1. Hunde, die entgegen § 2 Abs. 3 mit dem Ziel einer gesteigerten Aggressivität ausgebildet, gezüchtet oder gekreuzt worden sind,
2. Hunde, mit denen eine Ausbildung zum Nachteil des Menschen, zum Schutzhund oder auf Zivilschärfe begonnen oder abgeschlossen worden ist,
3. Hunde, die einen Menschen gebissen haben, sofern dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah,
4. Hunde, die einen Menschen in Gefahr drohender Weise angesprungen haben,
5. Hunde, die einen anderen Hund durch Biss verletzt haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, oder die einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben,
6. Hunde, die gezeigt haben, dass sie unkontrolliert Wild, Vieh, Katzen oder andere Tiere hetzen, beißen oder reißen.“5
Laut Landeshundestatistik waren in NRW im Jahr 2020 6.463 gefährliche Hunde gemeldet. Diese waren für 15 Beißvorfälle verantwortlich, bei denen Menschen, und für 45 Beißvorfälle, bei denen Tiere verletzt wurden. Im Jahr 2021 waren 6.508 gefährliche Hunde Urheber von 32 Beißvorfällen, bei denen Menschen verletzt wurden, und von 54 Beißvorfällen, bei denen Tiere zu Schaden kamen. Bei den Hunden bestimmter Rassen, für die laut LHundG NRW ebenfalls höhere Auflagen bei der Haltung gelten, fielen die Zahlen nicht geringer aus. So waren 2020 9.096 Hunde dieser Kategorie für 30 Beißvorfälle beim Menschen sowie 51 Beißvorfälle bei Tieren verantwortlich. 2021 lagen die Zahlen für 9.097 Tiere bei 40 Verletzungen von Menschen und 69 von Tieren. Bei generell als große Hunde definierten Tieren (Körpergewicht mindestens 20 Kilogramm oder Widerristhöhe mindestens 40 Zentimeter)6 sind die Zahlen der Vorfälle pro Tier ungleich geringer. So gingen 2020 von 565.886 solcher Hunde 772 Beißvorfälle bei Menschen und 1.013 Beißvorfälle bei Tieren aus. 2021 lagen die Zahlen für 600.461 Tiere bei 877 und 1.131.
Damit stellt sich die Frage, ob die Einteilung der Hunderassen in gefährliche, bestimmte und große Hunde generell sinnvoll ist. Diese Frage wird seit Jahrzehnten in der Wissenschaft kritisch diskutiert. Communis opinio ist hier immer stärker die Annahme, dass es weniger die Rasse als vielmehr der Mensch am anderen Ende der Leine ist, der für ein aggressives Verhalten und daraus resultierende Bisse verantwortlich ist.7
Wir fragen daher die Landesregierung,
- Wie viele der in den Jahren 2017–2021 behördlich erfassten Hunde waren nicht angemeldet? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Hunderasse und Grund der Erfassung)
- Welche dieser Hunde verstießen gegen § 5 des Landeshundegesetzes NRW? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Hunderasse und Grund der Erfassung)
- Wie viele Halter von in den Jahren 2017–2021 behördlich erfassten Hunden besaßen eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
- Wie viele Halter von in den Jahren 2017–2021 behördlich erfassten Hunden waren vorbestraft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
- Wie viele Halter verfügten in den Jahren 2017–2021 über mehrere Hunde, die behördlich erfasst wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner
1 Auswertung der Berichte über in Nordrhein-Westfalen behördlich erfasste Hunde (gemäß § 22 LHundG) 2020/21, online unter: https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/landwirtschaft/tierhaltung_tierschutz/landeshundestatistik_nr w_bericht_2020_2021.pdf (Abruf am 21.07.2022).
2 https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/duesseldorf-stadt-laesst-unangemeldete-hunde-suchen_aid-37014149 (Abruf: 25.07.2022); https://www.waz.de/staedte/duisburg/hundesteuer-so-spuert-duisburg-nicht-gemeldete-hunde-auf-id234664355.html (Abruf: 25.07.2022).
3 Dies gilt natürlich nicht zwingend für die Anzahl der registrierten Hunde, da möglicherweise die Quote an Vorfällen im Dunkelfeld höher ausfällt.
4 § 3 Absatz 2 LHundG NRW.
5 § 3 Absatz 3 LHundG NRW.
6 § 11 Absatz 1 LHundG NRW.
7 Beispielhaft Roiner, Kathrin, Beißvorfälle unter Berücksichtigung der Hunderassen in Deutschland und Umfrage bei Hundebisspatienten in vier Berliner Kliniken, Berlin 2016 (Diss.), S. 72: „Wird also gesetzlich versucht, Hundebisse über eine Reglementierung der Hunderassen zu reduzieren, wird man kein [sic!] Rückgang der Bisse erzielen. Die vorliegenden Ergebnisse konnten zeigen, dass es keine Hunderasse gibt, die statistisch mehr beißt im Vergleich zu allen anderen Hunderassen“; vgl. auch die neue Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, https://www.vetmeduni.ac.at/universitaet/infoservice/presseinformationen/presseinformationen-2019/hundegesetzgebung-studie-der-vetmeduni-vienna; https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.beissattacken-durch-hunde-sieben-fakten-ueber-gefaehrliche-hunde.07f89516-3c90-4e20-97b0-2c060c43141d.html.
Die Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 416 mit Schreiben vom 10. Oktober 2022 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Eingangs ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass die Einschätzung der Fragesteller, wonach mutmaßlich mehrere hunderttausend Hunde im Land Nordrhein-Westfalen nicht angemeldet seien, in der vom vormaligen Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz veröffentlichten Hundestatistik, die in der Einleitung zitiert wird, keine hinreichende Grundlage findet. Nach § 4 Absatz 1 und § 10 Absatz 1 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Lan-deshundegesetz NRW (LHundG NRW) ist für die Haltung gefährlicher Hunde und von Hunden bestimmter Rassen eine Erlaubnis bei der zuständigen örtlichen Ordnungsbehörde zu beantragen. Große Hunde sind nach § 11 Absatz 1 LHundG NRW bei der örtlichen Ordnungsbehörde anzuzeigen. Auf diesen Meldepflichten beruhen die Zahlen der behördlich erfassten gefährlichen Hunde, der Hunde bestimmter Rassen und von großen Hunden, die in die jährliche Hundestatistik einfließen. Für kleine Hunde sieht das Landeshundegesetz NRW hingegen keine Meldepflicht vor. Die in dieser Kategorie der Hundestatistik aufgeführten Zahlen beruhen auf freiwilligen Angaben der abgefragten örtlichen Ordnungsbehörden, die aus verschiedenen Quellen stammen können und mit hoher Wahrscheinlichkeit unvollständig sind. Insofern kann aus dieser Statistik keine belastbare Folgerung über die Zahl nicht angemeldeter Hunde gezogen werden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sämtliche in der Kleinen Anfrage angeforderten Daten bei den Ordnungsbehörden der Städte und Gemeinden nicht abrufbereit vorliegen und daher eigens recherchiert werden müssten. Dies wäre jedoch in dem kurzen Zeitraum, der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung steht, nur mit unvertretbar hohem Aufwand möglich. Um dennoch eine Aussage treffen zu können, wurden die kommunalen Spitzenverbände (Städtetag NRW und Städte- und Gemeindebund NRW) kurzfristig um eine Stellungnahme zum Sachverhalt gebeten.
Diese führten aus, dass sich die Kleine Anfrage auf Hintergrundinformationen zu Fällen beziehe, die in die Landeshundestatistik eingeflossen seien. Die Statistik wiederum werde in Umsetzung von Ziffer 22.1 VV LHundG auf Basis jährlicher Berichte der örtlichen Ordnungsbehörden erstellt. In den meisten Städten werden die Merkmale für die Erfassung in der Statistikmeldung jeweils bereits unterjährig, parallel zur eigentlichen Fallbearbeitung, erhoben. Die statistische Erfassung erfolge dabei anonym. Über den Zähler hinaus werden weder Namen noch weitere Angaben erfasst, so dass eine retrospektive Ermittlung der zugrundeliegen-den Fälle von der Statistikmeldung aus nicht möglich sei.
Darüber hinaus merken die kommunalen Spitzenverbände in der Sache an, dass gefährliche Hunde im Sinne des § 3 LHundG NRW in der Öffentlichkeit inzwischen eher selten geworden seien, deshalb allgemein stärker ins Auge fielen und dabei auch Anlass zu anlassunabhängigen ordnungsbehördlichen Überprüfungen böten. Diese Überprüfungen seien in den vergangenen Jahren erfahrungsgemäß ganz überwiegend unauffällig. Gleichzeitig gestalte sich die Haltung eines gefährlichen Hundes in der Öffentlichkeit, insbesondere im öffentlichen Straßenraum, schwer und sei daher für Hundehalterinnen und Halter nicht attraktiv. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit für einen ungenehmigten §3-Hund sei daher in den meisten Kommunen relativ hoch. Die kommunalen Spitzenverbände gehen daher davon aus, dass die Zahl unangemeldeter §3-Hunde bei nahe Null liegt. Diese Einschätzung wird von der Landesregierung geteilt.
- Wie viele der in den Jahren 2017–2021 behördlich erfassten Hunde waren nicht angemeldet? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Hunderasse und Grund der Erfassung)
- Welche dieser Hunde verstießen gegen § 5 des Landeshundegesetzes NRW? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Hunderasse und Grund der Erfassung)
- Wie viele Halter von in den Jahren 2017–2021 behördlich erfassten Hunden besaßen eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
- Wie viele Halter von in den Jahren 2017–2021 behördlich erfassten Hunden waren vorbestraft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
- Wie viele Halter verfügten in den Jahren 2017–2021 über mehrere Hunde, die behördlich erfasst wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 bis 5 gemeinsam beantwortet.
Wie aus den Ausführungen in der Vorbemerkung hervorgeht, liegen diese Informationen bei den zuständigen örtlichen Ordnungsbehörden nicht abrufbereit vor und könnten nur mit unvertretbar hohem Aufwand recherchiert werden, was in dem kurzen Zeitraum, der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung steht, nicht möglich ist.