Wie erklärt sich die Landesregierung die Häufung der Übergriffe auf Rettungskräfte?

Kleine Anfrage
vom 16.01.2018

Kleine Anfrage 716
des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz AfD

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Anlage 1 als PDF laden

Seit geraumer Zeit liest man fast täglich Schlagzeilen, dass es immer stärker und häufiger zu Übergriffen auf Rettungskräfte kommt. Mittlerweile existiert auch schon ein Kurzfilm der Feuerwehr gegen Gewalt gegen Rettungskräfte.1

Die bundesweit offenbar zunehmende Gewalt gegen Rettungs- und Einsatzkräfte schlägt sich z.B. auch in Münster negativ nieder. Für das vergangene Jahr verzeichnete die Stadtverwaltung bislang 60 gemeldete Gewaltvorfälle gegenüber Mitarbeitern, „exakt eine Verdoppelung“ im Vergleich zu 30 Fällen 2016.2

Lust an Gewalt und Gruppendynamiken sind der Grund für die Attacken auf Rettungskräfte in der Berliner Silvesternacht, sagt Konfliktforscher Andreas Zick zu den Übergriffen auf Rettungskräfte in der Berliner Silvesternacht.3

Quellen:

1 https://rtlnext.rtl.de/cms/respekt-ja-bitte-gewalt-gegen-rettungskraefte-kurzfilm-der-
feuerwehr-soll-aufruetteln-4138795.html

2 http://www.wn.de/Muenster/3119651-Gewalt-gegen-Retter-Mehr-Angriffe-auf-
Einsatzkraefte

3 http://www.taz.de/!5472581/

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Zu wie vielen Übergriffen auf Rettungs- und Einsatzkräfte – Hauptberufler und Ehrenamtler (Notärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute) kam es in Nordrhein-Westfalen im 2. Halbjahr 2017?
  2. Um welche Personen/Personengruppen handelt es sich bei den Tätern (Zustand z.B. alkoholisiert, Geschlecht, Alter, Herkunft, Gruppe oder Einzeltäter)?
  3. Um was für Taten handelte es sich hierbei (bitte aufschlüsseln nach körperlicher Gewalt, Beleidigungen, Sachbeschädigung am Einsatzmaterial (z.B. Defibrillator etc.), Diebstahl von Einsatzmaterial?
  4. Wie erklärt sich die Landesregierung die Häufung der Übergriffe auf Rettungskräfte?
  5. Was gedenkt die Landesregierung zu tun um die Rettungskräfte und Polizei vor solchen Übergriffen zu schützen?

Martin Vincentz

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung und im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantworte ich die Kleine Anfrage 716 wie folgt:

Vorbemerkung

Datenbasis für die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 der Kleinen Anfrage 716 ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die Erfassung von Fällen, Tatverdächtigen und Opfern in der PKS erfolgt nach bundeseinheitlichen, jährlich mit den beteiligten Gremien abgestimmten Richtlinien.

Die PKS ist eine Jahresstatistik. Die Darstellung unterjähriger Entwicklungen in der PKS besitzt lediglich eine eingeschränkte Validität. Die Zählregeln zur echten Tatverdächtigenzählung und die Regularien

zur Darstellung von Nationalitäten, Altersklassen sowie Änderungen im Berichtsjahr verhindern die Möglichkeit der Aufsummierung einzelner zeitlicher Abschnitte zu einem gültigen Gesamtergebnis.

In der PKS werden Opferinformationen ausschließlich zu definierten Straftaten erfasst. Dabei handelt es sich um Straftaten, die sich gegen höchstpersönliche Rechtsgüter wie das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit, die Ehre und die sexuelle Selbstbestimmung richten. Unter anderem weist die PKS neben allgemeinen Opferdaten auch die Opfer-Spezifik aus. Darunter fallen neben weiteren die Spezifika „Feuerwehr“ und „Sonstige Rettungsdienste“. Eine weitere Unterteilung sehen die Richtlinien nicht vor. Die Fragen 1 bis 3 der Kleinen Anfrage 716 beantworte ich daher unter Betrachtung der beiden genannten Spezifika.

Zu Frage 1:                                                                                   

Zu wie vielen Übergriffen auf Rettungs- und Einsatzkräfte — Hauptberufler und Ehrenamtler         (Notärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute) kam es in Nordrhein-Westfalen im 2. Halbjahr 2017?

Insgesamt wurden in der PKS im 2. Halbjahr 2017 204 Fälle erfasst, in denen Mitarbeiter der Feuerwehr oder sonstiger Rettungskräfte Opfer von Straftaten wurden. In der Anlage habe ich die Anzahl der Fälle zum Nachteil von Rettungskräften, unterteilt in Feuerwehr und sonstige Rettungskräfte, sowie die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen detailliert abgebildet.

Zu Frage 2:                      

Um welche Personen/Personengruppen handelt es sich bei den Tätern (Zustand z. B. alkoholisiert, Geschlecht, Alter, Herkunft, Gruppe oder Einzeltäter)?

Im 2. Halbjahr 2017 wurden 177 alleinhandelnde und 22 gemeinschaftlich agierende Tatverdächtige ermittelt. 119 der ermittelten Tatverdächtigen begingen die Tat unter Alkoholeinfluss, elf von diesen Tatverdächtigen waren zusätzlich unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Drei Tatverdächtige standen unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Diese Informationen sowie die Informationen über die Herkunft, das Geschlecht und die Altersgruppe der Tatverdächtigen habe ich ebenfalls in der Anlage dargestellt.

Zu Frage 3:

Um was für Taten handelte es sich hierbei (bitte aufschlüsseln nach körperlicher Gewalt, Beleidigungen, Sachbeschädigung am Einsatzmaterial (z. B. Defibrillator etc.), Diebstahl von Einsatzmaterial?

Zur Art der polizeilich insoweit erfassten Straftaten verweise ich auf die Vorbemerkung, zur Anzahl auf die Darstellung in der Anlage. Zu Sachbeschädigungen und Eigentumsdelikten liegen mir keine Informationen vor.

Zu Frage 4:

Wie erklärt sich die Landesregierung die Häufung der Übergriffe auf Rettungskräfte?

Zu Frage 5:

Was gedenkt die Landesregierung zu .tun um die Rettungskräfte und Polizei vor solchen Übergriffen zu schützen?

Die Fragen 4 und 5 werden wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.

Die Respektlosigkeit gegenüber und Gewalt gegen Amtsträger im Allgemeinen und der Polizei, Feuerwehr und Einsatzkräften im Rettungsdienst im Besonderen sind ein gesellschaftliches Problem, welches die Landesregierung nicht allein und die betroffenen Bereiche nur begrenzt lösen können. Ursachen und Bedingungen zu erkennen und positiv zu ändern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nur in einem langfristigen Prozess nachhaltig erreichbar.

Um diese Gewalt in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen und die Respektlosigkeit gegen Amtsträger besser zu erfassen und zur Fortentwicklung und Anpassung der bisher getroffenen Maßnahmen zur Begegnung von Aggressionen oder Gewalt, hat die Landesregierung seit Ende 2016 zusammen mit der Unfallkasse NRW und der komba Gewerkschaft eine Forschungsstudie der Ruhr-Universität Bochum unterstützt. Diese bezieht in die Betrachtung den Rettungsdienst, erstmals aber auch die Feuerwehren – gerade auch die vielen ehrenamtlichen Einsatzkräfte – ein.

Die Studie kann unter http://wwvv.kriminologie.ruhr-uni-bochum.de/images/stories/pdf/Abschlussbericht_Gewaltgegen_Einsatz kraefte.pdf

abgerufen werden.

Auf Basis der Studienergebnisse und Bewertung wird die Landesregierung dann mit den genannten Forschungsgebern sowie den kommunalen Spitzenverbänden, dem Verband der Feuerwehren und anderen Akteuren aus Feuerwehren und Rettungsdienst gezielt die mögliche Anpassung bestehender sowie weitere Maßnahmen zur Reduzierung bzw. Vermeidung von Gewalt gegen Einsatzkräfte vereinbaren. Angriffe auf diejenigen, die uns schützen und dienen, sind völlig inakzeptabel.

Die Träger des Rettungsdienstes haben bereits seit Längerem zur Vorbereitung auf Konfliktsituationen die Themen Deeskalation, Konfliktmanagement und Selbstverteidigung – auch auf verbale Art – für die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorzusehen.

In der Polizei Nordrhein-Westfalen ist im Umgang mit Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (PVB) bereits ein hoher Standard in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Betreuung, Nachbereitung und Ausstattung erreicht, der – falls erforderlich – der jeweiligen Gefahren- bzw. Gewaltlage angepasst wird. Gezielte Kommunikation und Deeskalation auf der einen Seite sowie konsequentes Einschreiten gegen Straftäterinnen und Straftäter auf der anderen Seite sind wesentliche Bausteine des Konzeptes.

Um die PVB bei ihrer täglichen Arbeit bestmöglich vor Gewalt zu schützen, hat das Innenministerium eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit umgesetzt. So wurden neben der persönlichen Unterziehschutzweste für alle operativ tätigen PVB, speziell für den Wachdienst u. a. Pfefferspray, neue Dienstwaffen, Einsatzschutzhelme sowie Einsatzmehrzweckstöcke beschafft. Körpernah getragene Aufnahmegeräte (sogenannte Bodycams) sollen der zunehmenden Gewalt gegen PVB entgegenwirken und so ebenfalls die Eigensicherung der Einsatzkräfte verbessern.

Mit freundlichen Grüßen

Herbert Reul