Wie häufig kommt es in Nordrhein-Westfalen zu einer Vergewaltigung?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1536

der Abgeordneten Markus Wagner und Enxhi Seli-Zacharias vom 15.03.2023

Wie häufig kommt es in Nordrhein-Westfalen zu einer Vergewaltigung?

Eine Vergewaltigung stellt für jede Frau eine massive Verletzung ihrer Persönlichkeit und ihrer körperlichen Unversehrtheit dar. Dem Opfer wird der Wille einer anderen Person mit Gewalt aufgezwungen – und dies in dem sehr sensiblen Bereich ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Dabei erleben Mädchen und Frauen in dieser Situation einen völligen Kontrollverlust über ihren Körper und ihren Willen. Sie fühlen sich ohnmächtig, hilflos und der Willkür einer anderen Person ausgesetzt. Vergewaltigungsopfer befinden sich nach der Tat in einem psychischen Zustand, der mit einem Schock vergleichbar ist. Dieser dauert häufig mehrere Tage bis Monate an. Die meisten Mädchen und Frauen durchleben eine Zeit der Desorientierung.1

Vergewaltigungen sind ein weltweites Phänomen und begrenzen sich nicht nur auf bestimmte Länder oder Regionen dieser Welt. Selbst in vermeintlich hochentwickelten Staaten der westlichen Hemisphäre sind Vergewaltigungen schon seit vielen Jahren ein großes Problem. Das beschauliche Schweden beispielsweise zählt knapp 10,5 Millionen Einwohner und gilt dennoch in Europa als das Land, das den schlechtesten Ruf bei der Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Frauen genießt. So sind in keinem anderen Land Europas mehr Frauen sexueller Gewalt und Vergewaltigung ausgesetzt. Seit 2011 nahm die Anzahl der Vergewaltigungen um 44 Prozent zu. Für das Jahr 2020 wurden etwa 25.000 Frauen Opfer sexueller Übergriffe, worunter sich 9.360 Vergewaltigungsfälle befanden.2

Auch wenn in Nordrhein-Westfalen bisher noch keine schwedischen Zustände vorherrschen, so ist dennoch die Anzahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und sexuellen Übergriffe im besonders schweren Fall im Jahre 2021 auf 2.565 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dies ist ein Anstieg um knapp 2,3 Prozent.3 Für das Jahr 2022 ist ein weiterer, diesmal erschreckend hoher Anstieg im Bereich der Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuelle Übergriffe im besonders schweren Fall zu verzeichnen. So liegen hier die bekannt gewordenen Fälle bei 3.219, was einen Anstieg zu 2021 von unglaublichen 25,5 Prozent ausmacht.4

Zu den tausenden oben genannten Fällen zählt auch die brutale und abscheuliche Gewalttat im vergangenen Jahr in den frühen Abendstunden des 1. Novembers, bei der eine 29 Jahre alte Frau im Lüdenscheider Stadtwald spazieren ging, von einem Mann weggezogen und vergewaltigt wurde.5 Die Polizei und Staatsanwaltschaft gehen mittlerweile sogar von einem versuchten Tötungsdelikt aus. Von dem Verdächtigen fehlt bisher jede Spur.6

Ein weiteres Vergewaltigungsdelikt, das die Polizei derzeit unter anderem beschäftigt, ist beispielsweise der Fall des B. Dieser soll nach Angaben der Polizei an einer schweren Vergewaltigung am 15. November 2022 in Herten beteiligt gewesen sein. Mittlerweile hat die Polizei Recklinghausen seit dem 9. Januar 2023 eine Öffentlichkeitsfahndung nach dem 28 Jahre alten Tatverdächtigen eingeleitet.7

Ein besonders abscheuliches Sexualverbrechen sind Gruppenvergewaltigungen. Wie die Zeit bereits Anfang September 2021 berichtete, geschieht in Nordrhein-Westfalen statistisch gesehen an jedem zweiten Tag eine solche Tat. Für das Jahr 2020 wurden insgesamt 185 Gruppenvergewaltigungen registriert, bei denen der Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen bei 46 Prozent liegt.8

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Vergewaltigungen wurden in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis heute polizeilich erfasst? (Bitte nach Monaten und Jahren aufschlüsseln und prozentuale Veränderungen angeben.)
  2. Wie viele Tatverdächtige begangener Vergewaltigungen hat es in diesem Zeitraum gegeben? (Bitte nach Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit sowie Mehrfachstaatsangehörigkeit aufschlüsseln.)
  3. Wie viele Opfer begangener Vergewaltigungen hat es in diesem Zeitraum gegeben? (Bitte nach Geschlecht, Alterskohorten und Staatsangehörigkeit sowie Mehrfachstaatsangehörigkeit aufschlüsseln.)
  4. Wie verteilen sich die in Frage 1 abgefragten Vergewaltigungen in Nordrhein-Westfalen? (Bitte nach Kreisen und kreisfreien Städten aufschlüsseln sowie Veränderungen in Prozenten angeben.)
  5. Wie viele Gruppenvergewaltigungen gab es vom 1. Januar 2021 bis heute in Nordrhein-Westfalen? (Bitte Tatverdächtige nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit sowie Mehrfachstaatsangehörigkeit aufschlüsseln.)

Markus Wagner
Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. h t t p s: / / w w w .fhf-stormarn.de/frauen-fachberatungsstelle/gewalt-gegen-frauen/vergewaltigung/.

2 Vgl. h t t p s: / / ww w . t r t d eutsch.com/news-europa/sexuelle-gewalt-gegen-frauen-rekordanstieg-in-skandinavischen-landern-6850160.

3 Vgl. h t t p s: / / p o li z e i. nr w/sites/default/files/2022-08/PKS_Jahrbuch_2021.pdf.

4 Vgl. h t t ps : / / p ol iz e i . nr w/sites/default/files/2023-02/pks_2022_nordrhein-westfalen_t101.pdf.

5 Vgl. h t t p s: // w ww . derwesten.de/region/nrw-luedenscheid-news-polizei-stadtwald-feuerwehr-id300107163.html.

6 Vgl. h t t p s: / / w ww . come-on.de/luedenscheid/vergewaltigungs-fall-nurre-staatsanwaltschaft-ermittelt-in-alle-richtungen-92021841.html.

7 Vgl. h t t ps : / / ww w. ruhr24.de/nrw/recklinghausen-polizei-fahndung-herten-gladbeck-schwere-vergewaltigung-oeffentlich-nrw-taeter-92019025.html.

8 Vgl. h t t p s: // w w w. ze it.de/news/2021-09/07/jeder-zweite-tag-185-gruppenvergewaltigungen-in-nrw-erfasst.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1536 mit Schreiben vom 20. April 2023 na­mens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sowie mit dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Als Datenbasis für die Beantwortung der Fragen 1 bis 4 dient die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Sie wird nach bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien erstellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt dabei regelmäßig zu einem zeitlichen Versatz zwischen dem Bekanntwerden einer Straftat und deren statistischen Erfas­sung. Bei der PKS handelt es sich um eine Jahresstatistik.

Als Tatverdächtige werden alle Personen erfasst, die aufgrund des polizeilichen Ermittlungs­ergebnisses mindestens wegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben. Dazu zählen auch Personen, bei denen der Verdacht der Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe besteht. Bundesweit wird eine „echte“ Tatverdächtigen-zählung vorgenommen. Das bedeutet, dass eine Tatverdächtige oder ein Tatverdächtiger un­abhängig von der Anzahl der begangenen Straftaten im jeweiligen Statistikzeitraum je Delikt-sart nur einmal gezählt wird.

Eine Opfererfassung erfolgt in der PKS grundsätzlich bei Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung), soweit diese im Straftatenkatalog zur Opfererfassung als solche gekennzeichnet sind.

  1. Wie viele Vergewaltigungen wurden in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis heute polizeilich erfasst? (Bitte nach Monaten und Jahren auf­schlüsseln und prozentuale Veränderungen angeben.)

Im Jahr 2021 wurden in Nordrhein-Westfalen 2.355 Vergewaltigungen erfasst. Im Jahr 2022 betrug die Anzahl der erfassten Fälle 2.949.

  1. Wie viele Tatverdächtige begangener Vergewaltigungen hat es in diesem Zeitraum gegeben? (Bitte nach Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit sowie Mehrfach­staatsangehörigkeit aufschlüsseln.)

Im Jahr 2021 wurden 2.021 Tatverdächtige von Vergewaltigungen ermittelt, im Jahr 2022 wa­ren es 2.388 Tatverdächtige.

  1. Wie viele Opfer begangener Vergewaltigungen hat es in diesem Zeitraum gege­ben? (Bitte nach Geschlecht, Alterskohorten und Staatsangehörigkeit sowie Mehr­fachstaatsangehörigkeit aufschlüsseln.)

Im Jahr 2021 wurden im Deliktsbereich Vergewaltigung 2.385 Opfer erfasst. Im Jahr 2022 wurden 2.990 Opfer erfasst.

  1. Wie verteilen sich die in Frage 1 abgefragten Vergewaltigungen in Nordrhein-West­falen? (Bitte nach Kreisen und kreisfreien Städten aufschlüsseln sowie Verände­rungen in Prozenten angeben.)

Die Anzahl der in Nordrhein-Westfalen erfassten Fälle im Deliktsbereich Vergewaltigung – auf­geschlüsselt nach Kreispolizeibehörden Nordrhein-Westfalen – bitte ich der beigefügten An­lage zu entnehmen.

  1. Wie viele Gruppenvergewaltigungen gab es vom 1. Januar 2021 bis heute in Nord­rhein-Westfalen? (Bitte Tatverdächtige nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörig­keit sowie Mehrfachstaatsangehörigkeit aufschlüsseln.)

„Gruppenvergewaltigung“ ist weder ein feststehender juristischer Begriff, noch lässt sich die­sem Begriff eine bestimmte Strafvorschrift oder Tathandlung zuordnen. Das Strafgesetzbuch (StGB) kennt lediglich das Regelbeispiel einer gemeinschaftlichen Tatbegehung nach § 177 Absatz 6 Satz 2 Nummer 2 StGB. Dieses bezieht sich auf die Grundtatbestände von § 177 Absatz 1 und Absatz 2 StGB (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung) und erfasst demnach nicht nur Tathandlungen, die die Voraussetzungen einer Vergewaltigung nach § 177 Absatz 6 Satz 2 Nummer 1 StGB erfüllen. Hilfsweise wurde eine Sonderauswertung der PKS für den Schlüssel 111700 „Vergewaltigung § 177 Absatz 6, 7, 8 StGB“ erstellt. Hierfür war insbeson­dere folgende Rahmenbedingung maßgeblich:

Ob der oder die Tatverdächtige alleine handelte, wird direkt im Rahmen der Fallaufnahme erfasst. Wenn gemäß Ermittlungsergebnis sicher ist, dass an der Straftat mehr als eine Tat­verdächtige bzw. ein Tatverdächtiger beteiligt war, wird im Feld „TV alleinhandelnd“ „nein“ an­gegeben. Die Täterinnen bzw. Täter müssen nicht namentlich bekannt sein.

Aus der Sonderauswertung ergibt sich, dass im Jahr 2021 insgesamt 172 Fälle erfasst wurden. Für das Jahr 2022 wurden 246 Fälle erfasst.

 

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