Kleine Anfrage 298
des Abgeordneten Christian Loose vom 08.08.2022
Wie stark ist die Stabilität des Stromnetzes durch den Einsatz von Heizlüftern im Vergleich zum Laden von Elektroautos gefährdet?
Zum hochsommerlichen Verkaufsschlager im Jahr 2022 entwickeln sich nicht etwa Gerätschaften, deren Gebrauch Abkühlung in Aussicht stellen – nein, vielmehr sind Heizgeräte gefragt. Deren explodierende Verkaufszahlen zeigen eindrucksvoll, wie wenig Vertrauen die Bevölkerung in die Gasbeschaffungs- und Krisenmanagementaktivitäten der Regierenden setzt:
„Pools, Ventilatoren und Klimaanlagen sind mitten im Sommer die Ladenhüter. Das berichten Baumärkte von Ostwürttemberg bis Oberschwaben. Heizgeräte hingegen sind ausverkauft. Die Angst vor Gas-Engpässen bewegt die Menschen. Um für einen eventuellen Gas-Stopp gewappnet zu sein und im Winter nicht frieren zu müssen, werden Heizlüfter und Öl-Radiatoren zuhause gebunkert. … Baumärkte erleben derzeit einen Ansturm auf alles, was heiß macht: Brennholz und Kaminöfen würden boomen, heißt es auf Anfrage. Strombetriebene Heizlüfter sind in einigen Geschäften sogar ausverkauft.“1
Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens GFK wurden so in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 in Deutschland 600.000 Elektroheizungen verkauft, was einer Umsatzsteigerung von 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht.
Der Leiter des Fachbereichs „Erzeugung und Speicherung elektrischer Energie“ der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ETG) kommentiert diese Entwicklung mit den Worten: „Wir sehen die aktuelle Entwicklung mit einiger Sorge, da unsere Stromversorgung für eine derartige gleichzeitige Zusatzbelastung nicht ausgelegt ist“.2 Ihm sekundiert Frau Ramona Pop, Vorsitzende des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, mit den Worten: „… die Gefahr, dass die Stromverteilnetze überlastet werden, wenn massig Heizlüfter angeworfen werden.“3
Allein diese im Jahr 2022 neu angeschafften 600.000 Elektroheizgeräte würden im Falle ihres gleichzeitigen Betriebs einen Strombedarf von rund 1,2 Gigawatt verursachen, was der Leistung eines Kernkraftwerkes entsprechen würde. Sollte nur in jedem zehnten Haushalt in Nordrhein-Westfalen bereits ein solches Gerät vorhanden sein, könnten im Falle eines Falles allein dort 860.000 solche Heizgeräte eingeschaltet werden, die nach rund 1,7 Gigawatt Leistung verlangen.
Die Landesregierung verfolgt als Ziel, Autos mit einem Verbrennermotor durch rein elektrisch betriebene Fahrzeuge zu ersetzen. Es besteht somit die Möglichkeit, dass langfristig mehr als 10 Millionen4 mit Benzin oder Diesel betriebenen PKWs durch E-Autos ersetzt werden. Würden allein 1 Millionen PKWs gleichzeitig mit einer nicht genehmigungspflichtigen Wallbox mit einer Leistung von 11 kW geladen, ergäbe sich eine zusätzliche Last von 11 Gigawatt Leistung. Bei Schnellladesäulen mit 55 kW oder mehr vervielfältigt sich der Bedarf entsprechend.
Angesprochen auf mögliche Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung mit Strom hat die Landesregierung in der Vergangenheit stets darauf verwiesen, Deutschland sei Teil des europäischen Verbundnetzes, das nach Meinung der Landesregierung also offenbar stets ausreichende Mengen an Strom bereitstellen würde.5 Eine Gefahr durch die zunehmende Beanspruchung des Stromnetzes auf örtlicher Ebene durch die vermehrte Inanspruchnahme für Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen erkannte sie ebenfalls nicht.
Ich frage die Landesregierung:
- Inwieweit hält die Landesregierung die örtlichen Verteilnetze für ausreichend dimensioniert, um zusätzliche Lastspitzen durch den Betrieb zahlreicher solcher Heizgeräte bewältigen zu können?
- In welchem Umfang müssten Trafostationen auf Ortsebene ausgebaut und aufgerüstet werden, um diese Belastungen bewältigen zu können?
- Wodurch ist gewährleistet, dass insbesondere Frankreich und Polen in ausreichendem Maße Strom bereitstellen werden, um Engpässe der Stromversorgung in der Bundesrepublik Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen auszugleichen?
- Was veranlasst die Landesregierung zu der Annahme, dass insbesondere Frankreich und Polen bei eigener Stromknappheit der Bundesrepublik Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen ausreichend viel Strom liefern?
- Inwiefern hält die Landesregierung das Stromnetz in NRW dafür gerüstet, beispielsweise die zusätzliche Leistung für das gleichzeitige Laden von 1 Millionen E-Autos mit einer Ladeleistung von 11 kW auch in den sonnenarmen und eher windschwachen Wintermonaten Januar oder Februar dauerhaft zu gewährleisten?
Christian Loose
1 Vgl. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/ulm/ansturm-auf-alternative-heizmethoden-100.htm l, abgerufen am 03.08.2022.
2 Vgl. https://www.vde.com/de/presse/pressemitteilungen/2022-07-27-boom-bei-heizluefter, abgerufen am 03.08.2022.
3 Vgl. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/heizluefter-warnung-101.html, abgerufen am 03.08.2022.
4 Der aktuelle Bestand liegt bei etwa 10,4 Millionen PKWs in NRW. Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/255185/umfrage/bestand-an-pkw-in-nordrhein-westfalen/. Abgerufen am 04.08.2022
5 Vgl. beispielsweise die Antwort der Landesregierung (Drs-Nr 17/10765) auf die zweite Frage der AfD-Anfrage in Drs-Nr 17/10375. Zitat: „Auch möglichen Versorgungsengpässen (z. B. Dunkelflauten) würde damit durch entsprechende Ausgleichsmaßnahmen im europäischen Stromverbund und nicht ausschließlich im deutschen bzw. nordrhein-westfälischen Kraftwerkspark begegnet.“ https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-10765.pdf , abgerufen am 04.08.2022.
Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat die Kleine Anfrage 298 mit Schreiben vom 2. September 2022 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die elektrischen Energieversorgungsnetze Deutschlands zählen zu den zuverlässigsten und sichersten der Welt. Durch die wiederkehrenden Netzausbau- bzw. Netzentwicklungsplanun-gen auf Übertragungs- und Verteilnetzebene werden die elektrischen Netze regelmäßig an künftige Anforderungen angepasst. Dennoch gibt es denkbare bzw. modellierbare Fälle, welche die Möglichkeiten einer langfristigen Netzplanung und die Möglichkeiten der Netzbetreiber im Netzbetrieb (z. B. Netzengpassmanagement, Inanspruchnahme von Regelenergien, Reserven) übersteigen können. Der in dieser Kleinen Anfrage beschriebene hypothetische Fall einer Verwendung elektrischer Heizlüfter durch signifikant große Anteile der Bevölkerung im kommenden Winter kann grundsätzlich zu einer kurzfristigen Überlastung der elektrischen Netze in Deutschland führen. Durch die geschaffenen Möglichkeiten eines Netzbetriebs im Verbund mit benachbarten Netzregionen im In- und im Ausland wurde die Resistenz der elektrischen Energieversorgung gegen solche Fälle jedoch erheblich gesteigert. Die elektrischen Netze in Europa sind grenzübergreifend zu einem Verbundnetz zusammengeschaltet. Daher findet der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage elektrischer Energie sowohl zwischen den deutschen Netzgebieten als auch grenzüberschreitend im Austausch mit den Netzgebieten anderer europäischer Länder statt. Auch möglichen Versorgungsengpässen wird daher durch entsprechende Ausgleichsmaßnahmen im europäischen Verbund begegnet.
- Inwieweit hält die Landesregierung die örtlichen Verteilnetze für ausreichend dimensioniert, um zusätzliche Lastspitzen durch den Betrieb zahlreicher solcher Heizgeräte bewältigen zu können?
Setzen signifikant große Anteile der Bevölkerung im Winter elektrische Heizlüfter ein, dann können die dadurch hervorgerufenen zusätzlichen Lasten bzw. Lastspitzen eine Herausforderung für die elektrischen Netze darstellen. Dabei spielt sowohl die zu übertragende Leistung als auch die verfügbare elektrische Arbeit (Energiemenge) eine Rolle. Die in dieser Kleinen Anfrage eingangs dargestellte Situation eines Einsatzes von vielen Heizlüftern im elektrischen Netz im kommenden Winter könnte bei einer entsprechenden gesamtdeutschen Situation zu einer sehr hohen Belastung des Stromnetzes führen, besonders in den Niederspannungsebenen der Verteilnetze. Zusätzlich wäre der dauerhafte Einsatz von elektrischen Heizlüftern für die Nutzer, aufgrund der relativ hohen Anschlussleistung der Geräte, mit hohen Kosten verbunden.
- In welchem Umfang müssten Trafostationen auf Ortsebene ausgebaut und aufgerüstet werden, um diese Belastungen bewältigen zu können?
Der Umfang und die Auslegung der elektrischen Betriebsmittel in den elektrischen Energieversorgungsnetzen für bestimmte Betriebssituationen obliegt der Netzausbauplanung und damit der Verantwortung der Verteilnetzbetreiber und kann von der Landesregierung nicht pauschal beurteilt oder abgeschätzt werden.
- Wodurch ist gewährleistet, dass insbesondere Frankreich und Polen in ausreichendem Maße Strom bereitstellen werden, um Engpässe der Stromversorgung in der Bundesrepublik Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen auszugleichen?
- Was veranlasst die Landesregierung zu der Annahme, dass insbesondere Frankreich und Polen bei eigener Stromknappheit der Bundesrepublik Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen ausreichend viel Strom liefern?
Die Fragen 3 und 4 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Elektrische Energie wird in Europa über den Strommarkt bereitgestellt – sowohl zum Ausgleich der Grundlast als auch zum Ausgleich schwer kalkulierbarer zusätzlicher Netzlasten und Netzereignisse. Speziell für den zweiten Fall werden Reservekapazitäten bereitgehalten, welche z. B. kurz- und mittelfristig hinzukommende Netzlasten ausgleichen können (u. a. Kapazitätsreserve, Netzreserve, Regelleistung). Sowohl Regelleistung als auch Reservekapazitäten werden über den Markt im europäischen Verbund bereitgestellt. Ein möglicher Leistungs- bzw. Energieengpass in Deutschland lässt sich demnach nicht auf zwei europäische Nachbarn reduzieren.
- Inwiefern hält die Landesregierung das Stromnetz in NRW dafür gerüstet, beispielsweise die zusätzliche Leistung für das gleichzeitige Laden von 1 Millionen E-Autos mit einer Ladeleistung von 11 kW auch in den sonnenarmen und eher windschwachen Wintermonaten Januar oder Februar dauerhaft zu gewährleisten?
Der genannte Aspekt wurde in der Verteilnetzstudie NRW aus dem Jahr 2021 untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die Niederspannungsebene im besonderen Maße von der Sektorenkopplung betroffen ist. Insbesondere das gleichzeitige Laden von vielen Elektrofahrzeugen im Verteilnetz kann künftig zu Engpässen führen, wenn das Netz nicht dahingehend ertüchtigt wird. Dieser Aspekt ist langfristig gut absehbar, planbar und bereits Teil der Netzausbaupla-nung der Verteilnetzbetreiber.