Wie viele Angriffe auf israelische Flaggen gab es in NRW seit 2015 bis heute?

Kleine Anfrage
vom 30.10.2023

Kleine Anfrage 2809

der Abgeordneten Markus Wagner und Enxhi Seli-Zacharias AfD

Wie viele Angriffe auf israelische Flaggen gab es in NRW seit 2015 bis heute?

In der Nacht auf Montag, den 16. Oktober 2023, kam es in mehreren Städten in NRW zu Schändungen von israelischen Landesflaggen. In der Nähe des Aachener Hauptbahnhofes wurde beispielsweise eine solche Flagge von ihrem Mast beim Verwaltungsgebäude des Kommunalverbandes entfernt und schließlich verbrannt. Mitarbeiter bemerkten dies am Montagmorgen gegen sieben Uhr und verständigten daraufhin die Polizei. Nun ermittelt der Staatsschutz. Auch in Wickede wurde eine Israel-Flagge vom Mast des Rathauses entfernt und später von einem Autofahrer gefunden. Der Hausmeister bestätigte, dass die Flagge vor dem Rathausgebäude fehlte. Nun ermittle die Polizei „wegen der Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten“1.

Neben den Vorfällen in Wickede und Aachen wurde in eben jener Nacht gegen zwei Uhr die israelische Fahne vor dem Dienstgebäude der Bezirksregierung in Münster entfernt und zerrissen, wobei auch der Fahnenmast aus seiner Verankerung gelöst und letztendlich auf die Straße auf dem Domplatz gelegt wurde. Dadurch wurde der Busverkehr behindert, weshalb ein Busfahrer, der den Mast bemerkte, die Polizei informierte. Allerdings sei der öffentliche Raum rund um das Regierungsgebäude nicht durch Videokameras überwacht. Eine Polizeistreife konnte in etwa 200 Meter Entfernung zum Gebäude die in drei Teile gerissene Fahne finden. Der Regierungspräsident Andreas Bothe meldete sich aufgrund der Vorfälle zu Wort und bezeichnet die Sicherheit des jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen sowie des israelischen Volkes im generellen als „deutsche Staatsräson“.2 Des Weiteren sprach er sich gegen Israel-Hass und Antisemitismus im Allgemeinen aus und veranlasste, dass bereits am Mittag eine neue Flagge gehisst wurde.3

Nach Informationen von T-Online vom 21. Oktober 2023 wurden seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 allein in Nordrhein-Westfalen 30 israelische Flaggen entwendet, zerstört oder verbrannt worden.4

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu den oben beschriebenen Vorfällen? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
  2. Wie viele Verfahren „wegen der Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten“ hat es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW gegeben? (Bitte nach Jahr, Ort, Land des verletzten Hoheitszeichens sowie Tätermerkmalen wie Alter und Geschlecht aufschlüsseln.)
  3. Wie viele Verfahren „wegen der Verletzung von israelischen Flaggen und Hoheitszeichen“ hat es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW gegeben? (Bitte nach Jahr, Ort sowie Tätermerkmalen wie Alter und Geschlecht aufschlüsseln.)
  4. Welche Nationalität haben die für die in den Fragen 2 und 3 abgefragten Straftaten verantwortlichen Tatverdächtigen? (Bitte bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  5. Was plant die Landesregierung konkret, um die Angriffe speziell auf israelische Staatsflaggen zu verhindern bzw. zu minimieren?

Markus Wagner

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-6612

 

1 https://www.bild.de/regional/koeln/koeln-aktuell/aachen-und-wickede-israel-flaggen-gestohlen-und-verbrannt-85761440.bild.html.

2 Ebenda.

3 Ebenda.

4 Vgl. https://www.t-online.de/region/koeln/id_100264272/israel-gaza-30-israel-flaggen-in-nrw-entwendet-teils-zerrissen-und-verbrannt.html.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2809 mit Schreiben vom 6. Dezember 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheit­lich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Ent­scheidungen richten.
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerk­male, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsor­gane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben.
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen aus­wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
  • gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebene oder tatsächlichen politischen Hal­tung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorur­teilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religi­onszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten kön­nen sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Objekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftli­chen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) o­der sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.

Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie Straftaten nach dem Völker- strafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt für das Jahr 2023 ist noch nicht abge­schlossen und die in diesem Bericht angegebenen Fallzahlen mit Stand 16. November 2023 sind als vorläufige Zahlen zu betrachten.

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Er­mittlungen zu den oben beschriebenen Vorfällen? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächti­gen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Aachen hat dem Ministerium der Justiz unter dem 06.11.2023 unter anderem berichtet, bei seiner Behörde sei seit dem 07.10.2023 kein dem Gegenstand der Kleinen Anfrage entsprechendes Verfahren anhängig. Ergänzend hat der Lei­tende Oberstaatsanwalt in Aachen am 08.11.2023 berichtet, der in der Kleinen Anfrage be­zeichnete Vorfall vom 16.10.2023 in Aachen sei Gegenstand eines polizeilichen Ermittlungs­vorganges, der dort noch nicht eingegangen sei.

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Arnsberg hat dem Ministerium der Justiz unter dem 06.11.2023 im Wesentlichen berichtet, bei seiner Behörde sei zu dem in der Kleinen Anfrage aufgeführten Vorfall in Wickede wegen des Verdachts der Verletzung von Flaggen eines aus­ländischen Staates gemäß § 104 des Strafgesetzbuches (StGB) ein Verfahren geführt worden. Das Verfahren sei mit Verfügung vom 03.11.2023 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessord­nung (StPO) eingestellt worden, da nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht von einer Straf­tat, sondern von einem witterungsbedingten Abgang der Flagge auszugehen sei. Entspre­chende Schäden hätten an der Flagge festgestellt werden können.

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Münster hat dem Ministerium der Justiz unter dem 08.11.2023 unter anderem berichtet, bei seiner Behörde werde ein Ermittlungsverfahren ge­gen Unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen aus­ländischer Staaten gemäß § 104 StGB geführt. Zum Tathergang hat er im Wesentlichen aus­geführt, am Abend des 15.10.2023 zwischen 22.35 und 23.05 Uhr sei ein vor dem Gebäude der Bezirksregierung Münster befindlicher Fahnenmast aus der Bodenhülse herausgenom­men, die daran befestigte israelische Flagge heruntergenommen und zerrissen auf einer Ne­benstraße zurückgelassen worden. Erfolgversprechende Ermittlungsansätze gebe es zurzeit nicht.

  1. Wie viele Verfahren „wegen der Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen aus­ländischer Staaten“ hat es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW gegeben? (Bitte nach Jahr, Ort, Land des verletzten Hoheitszeichens sowie Tätermerkmalen wie Alter und Geschlecht aufschlüsseln.)

Die Fragestellung bezieht sich auf Straftaten nach §104 StGB, die als absolutes Staatsschutz-delikt ausschließlich im KPMD-PMK erfasst werden. Bei einer Erfassung im KPMD-PMK wird nur das sogenannte Zähldelikt, also das Delikt mit der höchsten Strafandrohung, erfasst.

Der § 104 StGB tritt als niederrangiges Delikt in der Regel hinter anderen in Tateinheit began­genen Delikten (z.B. § 242 StGB Diebstahl) zurück. Die aufgeführten Sachverhalte stellen also nur einen Teil der tatsächlich polizeilich erfassten Straftaten nach § 104 StGB dar. Eine valide Darstellung aller erfassten Delikte ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Ver­fügung stehenden Zeit nicht möglich.

Seit 2015 wurden bislang insgesamt 17 Straftaten im Sinne des § 104 StGB im KPMD-PMK erfasst. Weitergehende Daten zu diesen Strafverfahren bitte ich der Anlage zu entnehmen.

Darüber hinaus wurden seit den Terroranschlägen gegen den Staat Israel am 07.10.2023 im Rahmen einer Sonderauswertung bislang insgesamt 41 Straftaten im Sinne des § 104 StGB (Stand 17.11.2023) erfasst. Diese sind aufgrund der Aktualität noch nicht im KPMD-PMK er­fasst und die Daten somit nicht valide.

Im Rahmen der bundesweit abgestimmten Anordnungen über die Erhebung von statistischen Daten in Straf- und Bußgeldsachen (StPO/OWi-Statistik) sowie bei den Staats- und Amtsan­waltschaften (StA-Statistik) werden Straftaten nach § 104 StGB wegen der Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz nicht gesondert erhoben. Vielmehr werden diese Verfahren statistisch – neben verschie­denen weiteren Delikten – unter dem Sachgebiet 11 „Politische Straftaten“ erfasst.

Für die Ermittlung statistischer Daten zu § 104 StGB wäre daher eine Auswertung aller in Betracht kommender Verfahrensakten der Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen erfor­derlich. Dies ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht möglich.

  1. Wie viele Verfahren „wegen der Verletzung von israelischen Flaggen und Hoheits­zeichen“ hat es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW gegeben? (Bitte nach Jahr, Ort sowie Tätermerkmalen wie Alter und Geschlecht aufschlüsseln.)

Ich verweise auf die Antwort zur Frage 2.

  1. Welche Nationalität haben die für die in den Fragen 2 und 3 abgefragten Straftaten verantwortlichen Tatverdächtigen? (Bitte bei Deutschen die Mehrfachstaatsange­hörigkeit extra ausweisen.)

Ich verweise auf die Antwort zur Frage 2.

  1. Was plant die Landesregierung konkret, um die Angriffe speziell auf israelische Staatsflaggen zu verhindern bzw. zu minimieren?

Die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen erheben fortwährend sicherheits­relevante Erkenntnisse. Diese sind die Grundlage für die Beurteilung der Gefährdungslage und darauf basierender Schutzmaßnahmen.

Die Beurteilung der Gefährdungslage wird von den Kreispolizeibehörden vorgenommen. Hie­rin fließt neben den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes auch die regionale Sicherheitslage ein. Vor dem Hintergrund der Terroranschläge gegen den Staat Israel wird die aktuelle Lageentwicklung in Israel durch alle Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen sehr genau beobachtet, um bei spontanen antiisraelischen und antise­mitischen Aktionen gegen Israelis, Jüdinnen und Juden sowie gegen jüdische und israelische Einrichtungen und Symbole unmittelbar und konsequent reagieren zu können.

Polizeiliche Maßnahmen des Personen- und Objektschutzes werden auf der Grundlage der bundeseinheitlichen Regelungen der Polizeidienstvorschrift „Personen- und Objektschutz“ durchgeführt. Danach umfasst der Personen- und Objektschutz alle Maßnahmen, die zur Ver­hinderung oder Abwehr von Angriffen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, Wil­lens- und Handlungsfreiheit von gefährdeten Personen beziehungsweise gegen gefährdete Objekte getroffen werden. Straftaten gegen Flaggen fließen zwar in die Gesamtbewertung mit ein, stellen jedoch alleine noch keinen Grund für Maßnahmen im Sinne des Personen- und Objektschutzes dar.

 

MMD18-7266