Zum Ausmaß des ÖPNV-Chaos in NRW während der EM 2024

Kleine Anfrage
vom 17.07.2024

Kleine Anfrage 4169

des Abgeordneten Klaus Esser AfD

Zum Ausmaß des ÖPNV-Chaos in NRW während der EM 2024

Entgegen beschwichtigender Aussagen der Landesregierung im Rahmen eines schriftlichen Berichtes auf Antrag der AfD-Fraktion NRW im Verkehrsausschuss des Landes am 5. Juni 2024 zum erwartbaren Chaos bei der Bahn und zu den im Vorfeld der EM 2024 von der Bahngewerkschaft EVG geäußerten erheblichen Sorgen, die u. a. von „sehr viel Drängelei in den S-Bahnen“ und einer „Reihe schwieriger Vorfälle“ ausgingen,1, kam es ab dem 14. Juni 2024 tatsächlich zu gravierenden Vorkommnissen im ÖPNV in NRW. All das kam nicht unerwartet. Presseberichte im Vorfeld der EM wiesen erneut auf „Baustellen und Personalmangel“ und gleichzeitig hohe Passagierauslastungen hin.2 Die Probleme waren so massiv, dass selbst die New York Times unter dem Artikel „In Germany, a Tournament Runs Smoothly, but the Trains Do Not“ schrieb: „Vergesst alles, was ihr über deutsche Effizienz je gehört und geglaubt habt.“3

Der Artikel ist eine Generalabrechnung mit dem deutschen ÖPNV – mit der deutschen Organisation vor den Stadien, mit dem Transport zu den Stadien, mit den S-Bahnen, die manchmal kommen, manchmal auch nicht, die manchmal in dem Abschnitt halten, wo sie halten sollen, manchmal aber auch nicht, die manchmal in umgekehrter Wagenreihung abfahren, die manchmal auch gar nicht fahren. Stattdessen gibt es dann: „Schienenersatzverkehr“.

Was sich in NRW vor und nach dem Spiel der Engländer gegen Serbien in Gelsenkirchen zutrug, wird in der US-amerikanischen Zeitung beispielhaft dargelegt. Von einem Verkehrskollaps und Stau auf der Straßenbahnlinie vom Bahnhof zur Arena wird berichtet, so dass viele Fans den gesamten Weg lieber zu Fuß zurücklegten – etwa anderthalb Stunden vom Hauptbahnhof der Stadt. Die Zeitung zitiert ferner englische Fans, die von gefährlichen Situationen am Bahnhof nach dem Spiel berichteten. Jemand hätte „sein gesamtes Körpergewicht einsetzen“ müssen, um nicht von der Menschenmasse auf die Gleise gestoßen zu werden. Es habe dort keine Maßnahmen gegeben, um die Menge zu kontrollieren.4

Im Rahmen der Vorrundenspiele wird bemängelt, dass die Verkehrssicherheit u. a. am Spielort Köln vollkommen unzureichend war, und „wenn sich daran nichts ändere, sei es nur eine Frage der Zeit, bis ein Unfall passiere.“5

Wenige Tage vor Ende der EM zieht der VDV am 11. 07.2024 ebenfalls Bilanz: „Das System stößt vielfach an seine Kapazitätsgrenzen, der schlechte Zustand der Infrastrukturen sorgt bei punktuell erhöhter Nachfrage für ein störungsanfälliges Gesamtangebot. Es fehlt an Fahrzeugen und Personal.“6

Daher frage ich die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung rückblickend die Verkehrs- bzw. Verkehrssicherheitslage, insbesondere im Umfeld der EM-Stadien Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Köln?
  2. Wie viele Zugausfälle ereigneten sich im Zeitraum 14. Juni 2024 bis einschließlich 10. Juli 2024 in NRW?
  3. Wie viele Straftaten in Bahnhöfen, Zügen, Straßenbahnen bzw. Bussen wurden im Zeitraum 14. Juni 2024 bis einschließlich 10. Juli 2024 registriert? (Bitte aufschlüsseln nach Ort, Delikt und Herkunft der Tatverdächtigen)
  4. Sind Verletzungen von Passagieren bekannt geworden, die durch Quetschungen oder Stürze im Gedränge in übervollen Zügen, Bahnen bzw. Bussen des ÖPNV im unmittelbaren Zeitraum der EM 2024 verursacht wurden?
  5. Wie viel zusätzliches Personal für Service bzw. Sicherheit haben die Verkehrsbetriebe in NRW im Zeitraum der EM 2024 rund um die Spielorte in Nordrhein-Westfalen eingesetzt?

Klaus Esser

 

MMD18-10030

 

1 https://rp-online.de/wirtschaft/em-2024-in-nrw-regionalzuegen-und-s-bahnen-droht-das-chaos_aid-114247771

2 https://www.ksta.de/koeln/regionalverkehr-zugausfaelle-im-grossraum-koeln-auf-rekordniveau-809490

3 https://www.nytimes.com/2024/06/23/world/europe/germany-trains-euro-2024.html

4 https://www.derwesten.de/politik/em-deutschland-bahn-us-id301014415.html

5 https://www1.wdr.de/nachrichten/em-euro-kritik-an-bahn-fan-reaktionen-100.html

6 https://www.vdv.de/presse.aspx?id=41e6ba8f-4aed-4635-ad38-c883ae0cf8aa&mode=detail


Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 4169 mit Schrei­ben vom 23. August 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.

  1. Wie bewertet die Landesregierung rückblickend die Verkehrs- bzw. Verkehrssi-cherheitslage, insbesondere im Umfeld der EM-Stadien Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Köln?

Zur EURO 2024 vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 ist im engen Schulterschluss zwischen den Verkehrsunternehmen, den Aufgabenträgern, der UEFA sowie der Bundes- und Landes­polizei unter Beteiligung des Ministeriums des Innern und des Ministeriums für Umwelt, Natur­schutz und Verkehr ein umfangreiches Maßnahmenpaket für die Lenkung der Fanverkehre erarbeitet worden. Insbesondere durch die EM-Sonderlinie und den verstärkten Einsatz von Personal im SPNV verliefen die Fanverkehre zu insgesamt 20 Turnierspielen in NRW über­wiegend ruhig und friedlich. Aus den Einsatzberichten der Sicherheitsteams in Nordrhein-Westfalen und aus den Einträgen der landesweiten Sicherheitsdatenbank für den SPNV wur­den während der EURO 2024 bisher keine Zwischenfälle bekannt, die nicht auch im normalen Regelbetrieb vorkommen; dies trotz einiger parallellaufender größerer Veranstaltungen wie bspw. das Bochum Total Festival, das Summer Jam Festival in Köln, die Beecker Kirmes in Duisburg oder der AfD Bundesparteitag in Essen.

Im Nahverkehr auf der Schiene starteten die konkreten Vorbereitungen auf die Fußball-Euro­pameisterschaft bereits im Sommer 2022.

Ein Schwerpunkt war die Einrichtung einer EM-Sonderlinie durch die zuständigen SPNV-Auf-gabenträger zur Entlastung des SPNV-Betriebs zwischen den vier Spielorten Köln, Düsseldorf, Gelsenkirchen und Dortmund. Dafür hatten die Aufgabenträger insgesamt 118.500 Zugkilo­meter bei DB Regio NRW und den auf Sonderverkehre spezialisierten Unternehmen Train Rental International und Centralbahn bestellt. So konnten vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 täglich 32 zusätzliche Zugfahrten (16 pro Richtung) zwischen den vier Spielorten angeboten werden. Die EM-Sonderlinie fügte sich ins vorhandene System ein und entzerrte an vielen Stellen das zusätzliche Fahrgastaufkommen, insbesondere beim Zu- und Ablauf von und zu den Spielstätten.

Eine Ausweitung von SPNV-Bestandsverkehren in Form von Kapazitätsstärkungen und zu­sätzlichen Fahrten in Spätlagen hat ebenfalls zur Entlastung des Gesamtsystems beigetragen. So hatte National Express an den Spieltagen das Leistungsangebot der zentralen RRX-Linien erweitert, Züge in Dreifachtraktion eingesetzt oder zusätzliche Halte eingerichtet, um einen reibungslosen An- und Abreiseverkehr zu gewährleisten. An Spieltagen in Köln verlängerte DB Regio NRW zudem die S 12.

An den Spielorten der EURO 2024 wurden die Kapazitäten zentraler Linien erhöht und Takte verdichtet. Die Düsseldorfer Rheinbahn hatte ihr Stadtbahn-Angebot an den Spieltagen ver­dichtet. Linien wie die U 78 verkehrten teilweise im 3-Minuten-Takt. Die KVB in Köln hatte bis zu 32 Sonderzüge pro Spieltag im Einsatz. In Dortmund wurden im gesamten Zeitraum der Fußball-Europameisterschaft Stadtbahnen und NachtExpress-Busse zeitlich verlängert. In Gelsenkirchen unterstützten u.a. Verkehrsunternehmen aus den Nachbarstädten – z.B. die Ruhrbahn oder die Vestische – mit Fahrten für zusätzliche Anbindungen. Kommunale Sonder­verkehre zu den Spielorten Gelsenkirchen und Dortmund wurden im Nachgang zu den ersten Spieltagen punktuell zeitlich und zum Teil auch räumlich angepasst, um eine bessere An- und Abreise zu gewährleisten.

  1. Wie viele Zugausfälle ereigneten sich im Zeitraum 14. Juni 2024 bis einschließlich 10. Juli 2024 in NRW?

Zu den bestellten Fahrten der EM-Zubringerlinien liegen der Landesregierung folgende Daten vor:

Im vorgenannten Zeitraum war DB Regio NRW vertraglich verpflichtet, 336 Fahrten durchzu­führen; davon gab es zwei Komplett- und 12 Teilausfälle. Die Centralbahn sollte 434 Fahrten durchführen, davon gab es keinen Komplett-, aber 19 Teilausfälle und 18 Haltausfälle ohne Ersatzhalte. TRI hätte 210 Fahrten durchführen sollen; davon hatte das Unternehmen zwei Teilausfälle und zwei Komplettausfälle zu verzeichnen.

  1. Wie viele Straftaten in Bahnhöfen, Zügen, Straßenbahnen bzw. Bussen wurden im Zeitraum 14. Juni 2024 bis einschließlich 10. Juli 2024 registriert? (Bitte aufschlüs­seln nach Ort, Delikt und Herkunft der Tatverdächtigen)

Datenbasis für die Beantwortung von Fragen zur Kriminalitätsentwicklung ist die Polizeiliche Kriminalstatistik. Sie wird nach bundeseinheitlich jährlich festgelegten Richtlinien erstellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt häufig zu einem zeitlichen Versatz zwischen Bekanntwerden der Straftat und der statistischen Erfas­sung. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Jahresstatistik, die zu Jahresbeginn eines Folgejahres für das Vorjahr veröffentlicht wird. Bis zur Veröffentlichung führt das Landeskrimi­nalamt Nordrhein-Westfalen umfangreiche und aufwändige Prüfroutinen im Rahmen eines Qualitätssicherungsprozesses durch. Insofern liegen die Daten des Jahres 2024 noch nicht vor.

  1. Sind Verletzungen von Passagieren bekannt geworden, die durch Quetschungen oder Stürze im Gedränge in übervollen Zügen, Bahnen bzw. Bussen des ÖPNV im unmittelbaren Zeitraum der EM 2024 verursacht wurden?

Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.

  1. Wie viel zusätzliches Personal für Service bzw. Sicherheit haben die Verkehrsbe­triebe in NRW im Zeitraum der EM 2024 rund um die Spielorte in Nordrhein-West­falen eingesetzt?

Im SPNV NRW wurden mit ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfenden rund 600 zusätzli­che Personale speziell zur EURO 2024 eingesetzt. Neben den rund 3.000 Kundenbetreuerin­nen und Kundenbetreuern in den Nahverkehrsbahnen und dem Servicepersonal in den Kun­dencentern waren während der Fußball-Europameisterschaft speziell im ÖPNV 450 ehren­amtliche Helfende / UEFA-Volunteers als Ansprechpartner für Reisende im Einsatz. DB Regio NRW hatte außerdem an den Hauptbahnhöfen Köln, Düsseldorf und Dortmund Welcome Desks eingerichtet, die mit insgesamt 80 Reisendenlenkerinnen und Reisendenlenkern be­setzt waren. Personell gestärkt wurden insbesondere die Sicherheitsteams NRW, die mit 60 geschulten Kräften in 15 Viererteams die Mitarbeitenden im Fahrdienst und in der Kundenbe­treuung sowie das Sicherheitspersonal der einzelnen Nahverkehrsbahnen in rund 12.000 Ein­satzstunden unterstützten. Die Nahverkehrsbahnen hatten zudem Sicherheitskräfte externer Dienstleister bestellt.

 

MMD18-10382

Beteiligte:
Klaus Esser