Antragder AfD-Fraktion vom 14.01.2020
„Get Brexit done!“ – NRW muss schnell und entschlossen auf das britische Wahlergebnis reagieren und Mehrkosten für den deutschen Steuerzahler verhindern!
I. Ausgangslage
Nachdem die Erteilung der Zustimmung zu einem Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich im britischen Unterhaus mehrfach gescheitert ist, wurde am 29. Oktober 2019 mit 438 zu 20 Stimmen ein Gesetz für vorgezogene Neuwahlen am 12. Dezember 2019 verabschiedet.1
Deutschsprachige Medien beschworen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Oppositionsführer Jeremy Corbyn, welcher den Wählern ein zweites Referendum versprach, und Premierminister Boris Johnson, der ankündigte, im Falle eines Wahlsiegs den Brexit mit dem von ihm ausgehandelten Austrittsabkommen umzusetzen. Entgegen den hierzulande besonders ausgeprägten Erwartungen haben die Briten das Ergebnis des Brexit-Referendums von 2016 nicht revidiert. Im Gegenteil: Premierminister Boris Johnson wurde ein klares Mandat erteilt, um die im Brexit-Referendum getroffene Entscheidung endlich zu implementieren.
Die Konservativen errangen einen klaren Sieg und gewannen 365 der 650 Sitze im britischen Unterhaus. Labour erlitt dagegen eine historische Niederlage und konnte lediglich 202 Sitze erringen, das schlechteste Wahlergebnis für die Partei seit 1935. Auch in absoluten Zahlen setzten sich die Torys mit fast 14 Millionen Wählerstimmen klar gegen die rund 10 Millionen Stimmen für Labour durch. Bemerkenswert war am Wahlsieg Johnsons vor allem, dass die Konservativen im Norden Englands zahlreiche Wahlkreise, die seit Jahrzehnten als Labour-Hochburgen galten, für sich gewinnen konnten.
Mit dieser Strategie haben die Konservativen die absolute Mehrheit im Unterhaus errungen und können nun nach einer Vielzahl von Blockadeversuchen das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union führen. Nach rund dreieinhalb Jahren wird der ausdrücklich in einem Referendum bekundete Wille des britischen Volkes in die Tat umgesetzt. Das Wahlergebnis gab hierzu einen eindeutigen Auftrag.
Dementsprechend stimmte das Unterhaus am 9. Januar 2020 abschließend mit 330 zu 231 für das Brexit-Gesetz, das Premierminister Johnson ihm vorgelegt hatte.
Das Vereinigte Königreich wird daher mit Ablauf des 31. Januar 2020 die Europäische Union verlassen. Damit beginnt laut Abkommen aber lediglich eine elfmonatige Übergangsphase, in der ein umfassendes Vertragswerk über die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU erarbeitet werden soll. Insbesondere sind in diesem sehr engen Zeitfenster die Handelsbeziehungen zwischen den Protagonisten zu regeln.
Dieser Zeitplan ist ausgesprochen ambitioniert, und im Falle eines Scheiterns droht erneut ein harter Brexit, den Boris Johnson im Gegensatz zu seiner Vorgängerin und seinen Wettbewerbern bei der Unterhauswahl nicht ausgeschlossen hat.
Für Nordrhein-Westfalen hätte ein solcher Austritt nach WTO-Regeln erhebliche negative Folgen, da für viele Exportgüter plötzlich Zölle anfallen würden. Davon wäre beispielsweise die Automobilindustrie besonders stark betroffen: Nach Zahlen des Verbands der Automobilhersteller (VDA) importierte Großbritannien im vorvergangenen Jahr mehr deutsche Automobile als Nord- und Südamerika zusammen und kaum weniger als sämtliche asiatischen Länder.2
Großbritannien ist seit Jahren unter den fünf wichtigsten Absatzmärkten für deutsche Erzeugnisse, und das Industrieland Nordrhein-Westfalen wäre von disruptiven Entwicklungen in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in besonderem Maße betroffen. Hier ist Großbritannien sogar der viertwichtigste Handelspartner.3
Aber nicht nur ökonomische Motive sprechen dafür, sich weiterhin um gute und freundschaftliche Beziehungen zu bemühen. Das Vereinigte Königreich hat Nordrhein-Westfalen mitgeprägt und ist mit uns traditionell eng verbunden. Zumindest im Koalitionsvertrag von CDU und FDP aus dem Jahre 2017 wird dies auch anerkannt. So heißt es dort:
„Die Bande zwischen Großbritannien und Nordrhein-Westfalen sind besonders eng. Großbritannien stand Pate bei der Gründung unseres Landes 1946, fast 30.000 Briten leben in Nordrhein-Westfalen. Die Freundschaft zwischen Nordrhein-Westfalen und Großbritannien ist heute – nach dem Brexit – wichtiger denn je. Wir werden die engen und vertrauensvollen Beziehungen zu Großbritannien deshalb weiter pflegen und intensivieren.“
Außerdem heißt es:
„Christdemokraten und Freie Demokraten eint der Anspruch, Nordrhein-Westfalen wieder zu einer treibenden Kraft in der Europapolitik und einem wichtigen Akteur bei der künftigen Ausgestaltung der Europäischen Union zu machen.“
Gemessen an diesen Vorgaben ist die Zwischenbilanz der Landesregierung ausgesprochen unerfreulich. Der Europaminister Dr. Holthoff-Pförtner beschränkte sich während des gesamten Verhandlungsprozesses darauf, „eine gemeinsame Verhandlungslinie“ einhalten zu wollen, auf die er keinerlei Einfluss nahm. Er versuchte es nicht einmal.
Die möglichen schweren Folgen eines ungeregelten Brexits wurden von der Landesregierung offenbar billigend in Kauf genommen. Bemühungen, auch nur zurückhaltenden Einfluss zu nehmen, waren nicht erkennbar. Stattdessen beschwor man unablässig die unverbrüchliche Treue zu den Verhandlungsführern in Brüssel.
Die Ernennung von Friedrich Merz zum Brexit-Beauftragten der Landesregierung erwies sich leider als folgenlos4 und muss im Lichte nachfolgender Ereignisse eher als PR-Maßnahme angesehen werden. Merz sollte von Anfang an keinerlei gestalterischen Einfluss auf den Austrittsprozess nehmen, sondern lediglich verunsicherte Investoren nach NRW lotsen. Und selbst an diesem Maßstab gemessen kann seine Tätigkeit nicht als Erfolg gelten.
Auch die Enquetekommission zum Brexit, und damit eine umfassende parlamentarische und wissenschaftliche Begleitung des Austrittsprozesses, wurde erst 2018 und aus den Reihen der Opposition vorangetrieben, nachdem offenkundig war, dass die Landesregierung das Thema vernachlässigt hatte.
Die Verzögerungen im Brexit-Prozess, die in erster Linie durch die knappen Mehrheitsverhältnisse im britischen Unterhaus und durch die zunächst völlig unflexible Verhandlungsführung der EU bedingt waren, sind für Nordrhein-Westfalen daher fast ein Glücksfall, denn sie geben der Landesregierung erneut die Möglichkeit, ihre bisherigen Versäumnisse nachzuholen.
Im Zusammenhang mit dem Brexit wird es mindestens ebenso bedeutsam sein, Begehrlichkeiten der Brüsseler Haushaltspolitiker abzuwehren. Großbritannien war bisher mit 6,95 Milliarden Euro nach Deutschland (13,41 Mrd. Euro) der zweitgrößte Nettozahler innerhalb der EU.5
Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs entfällt folglich eine wichtige Einnahmequelle für die EU. Führende Repräsentanten der EU fordern schon jetzt, dass Deutschland dieses Defizit gänzlich oder größtenteils ausgleichen soll.
Der EU-Haushaltskommissar Hahn forderte mit den Worten „Jetzt müssen alle zeigen, was ihnen Europa wert ist.“ gegenüber der FUNKE MEDIENGRUPPE zusätzliche 6,3 Milliarden Euro für die EU aus dem Bundeshaushalt. Er halte dies für „verkraftbar“. 6 Damit würde Deutschland den bisherigen Nettobeitrag Großbritanniens fast vollständig übernehmen.
II. Der Landtag stellt fest:
1. Das britische Volk hat mit der Parlamentswahl am 12. Dezember 2019 erneut unmissverständlich seinen Willen zum Austritt aus der EU zum Ausdruck gebracht.
2. NRW muss sich endlich auf den Brexit vorbereiten.
4. Obwohl der britische Premierminister Johnson nun eine große Mehrheit für sein Austrittsabkommen hat, ist letztlich ein Hard Brexit nicht ausgeschlossen.
5. Die Einrichtung eines „Brexit-Beauftragten“ und die Ernennung von Friedrich Merz zu selbigem war ein Misserfolg.
6. Die Freundschaft zum Vereinigten Königreich genießt – unabhängig von den jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnissen – einen hohen Stellenwert für Nordrhein-Westfalen.
7. Der Austritt des Vereinigten Königreichs muss im EU-Haushalt auf der Ausgaben-und nicht auf der Einnahmenseite ausgeglichen werden.
III. Der Landtag beschließt:
1. Der Landtag respektiert das erneute demokratische Votum des britischen Volkes für den Austritt aus der EU.
2. Der Landtag bekennt sich zu unverbrüchlicher Freundschaft mit dem Vereinigten Königreich.
3. Die Landesregierung wird aufgefordert, unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Auswirkungen des Brexits auf die nordrhein-westfälische Wirtschaft zu minimieren.
4. Die Landesregierung wird aufgefordert, die eigenen Beziehungen zur Regierung des Vereinigten Königreichs zu intensivieren.
5. Die Landesregierung wird aufgefordert, sich bei den zuständigen Stellen auf Bundesebene und bei der EU für eine großzügige und faire Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Parteien stark zu machen.
6. Die Landesregierung wird aufgefordert, sich bei der EU für Sparsamkeit einzusetzen und höhere Beiträge des größten Nettozahlers Deutschland an die EU strikt abzulehnen.
Sven W. Tritschler
Dr. Martin Vincentz
Christian Loose
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Neuwahl am 12. Dezember, https://www.tagesschau.de/ausland/neuwahl-grossbritannien-113.html, abgerufen am 13. Dezember 2019.
2 https://www.vda.de/de/services/zahlen-und-daten/jahreszahlen/export.html, abgerufen am 13. Dezember 2019
3 https://www.regiomanager.de/rhein-wupper/themen/management/was-bedeutet-der-brexit-fuer-nrw, abgerufen am 13.Dezember 2019
4 Jessen, Jan, „Totalausfall“: Scharfe Kritik am Brexit-Beauftragten Merz, https://www.waz.de/poli-tik/totalausfall-scharfe-kritik-am-brexit-beauftragten-merz-id216879789.html, abgerufen am 13. De-zem ber 2019; Bialdiga, Kirsten, Merz ist eine Enttäuschung, https://rp-online.de/politik/deutschland/ko-lumnen/hier-in-nrw/brexit-beauftragter-merz-ist-eine-enttaeuschung-fuer-die-landesregierung-nrw_aid-35805073, abgerufen am 13. Dezember 2019.
5 Europäische Kommission, Angaben für das Jahr 2018.
6 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eu-haushalt-deutschland-101.html