Asylbewerber lehnen Arbeitsgelegenheiten ab und werden sanktioniert – Wie oft kam es zu entsprechenden Maßnahmen in NRW?

Kleine Anfrage
vom 17.07.2024

Kleine Anfrage 4168

der Abgeordneten Christian Loose und Enxhi Seli-Zacharias AfD

Asylbewerber lehnen Arbeitsgelegenheiten ab und werden sanktioniert Wie oft kam es zu entsprechenden Maßnahmen in NRW?

Wie Focus Online berichtet, hat der Landrat von Mansfeld-Südharz nach dem Hochwasser der Helme 64 Asylbewerber zum Aufräumen beordert. Für 80 Cent pro Stunde sollten die beorderten Personen helfen. Doch von den 64 Menschen sind 15 nicht erschienen. Das führte zu Konsequenzen: Elf Arbeitsunwillige aus Syrien, Afghanistan, Mali, Albanien und dem Niger bekommen nun die Sozialleistungen gestrichen. Bei Alleinstehenden wird der Regelsatz von 460 Euro um 232 Euro gekürzt, bei Verheirateten von 413 Euro um 207 Euro. Ähnlich konsequent ging man in ähnlichen Fällen offenbar im Saale-Orla-Kreis in Thüringen sowie im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt vor.1

In der Bild heißt es im entsprechenden Bericht: „Weniger Geld für Drückeberger – Erste Landkreise kürzen Flüchtlingen die Stütze“.2 Im Kreis Mansfeld-Südharz sollten Asylbewerber 20 Stunden pro Woche Sandsäcke schleppen, um sich so bis zu 64 Euro im Monat hinzuzuverdienen. Im Burgenlandkreis sollten die Asylbewerber “unter anderem Parkanlagen von Totholz beräumen, Gras mähen, Schutzhütten reparieren oder Moos und Unkraut von Wegen kratzen. 60 der dort eingeteilten Flüchtlinge blieben bisher der Arbeit fern. Gegen 32 verhängte der Landkreis Sanktionen, 22 Verfahren sind noch in Prüfung. Bei sechs Flüchtlingen wurden die Gründe anerkannt (z. B. Krankheit).“3

Der dortige Landrat „hatte BILD bereits im März erklärt, dass es darum geht, die Menschen an den regulären Arbeitsmarkt heranzuführen, ihrem Tag eine Struktur zu geben. ‚Wer über viele Monate zum Warten und Nichtstun gezwungen ist, verliert Fähigkeiten, die für die Aufnahme von sozialversicherungspflichtiger Arbeit nötig sind‘, so Ulrich. Außerdem sei es gut für die Akzeptanz, wenn Flüchtlinge zeigen, dass sie der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. Alle verpflichtenden Arbeitsangebote im Burgenlandkreis sind kombiniert mit Sprachkursen.“4

Im Saale-Orla-Kreis (Thüringen) verweigerten laut BILD 7 Personen die Arbeit – mit ähnlichen Konsequenzen: Stütze auf 242 Euro gekürzt!

Somit wird andernorts die entsprechende Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) offenbar konsequent umgesetzt. Unter Absatz 4 heißt es dort:

„Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Bei unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit besteht nur Anspruch auf Leistungen entsprechend § 1a Absatz 1. Der Leistungsberechtigte ist vorher entsprechend zu belehren.“

Im AsylbLG ist zudem ausdrücklich die Zielgruppe definiert. Unter Absatz 5, Satz 2 heißt es: „§ 61 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) sowie asyl- und ausländerrechtliche Auflagen über das Verbot und die Beschränkung einer Erwerbstätigkeit stehen einer Tätigkeit nach den Absätzen

1 bis 4 [Arbeitsgelegenheiten] nicht entgegen.

§61 Abs. 1 AsylG beschreibt das Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die Dauer des verpflichtenden Aufenthalts in einer Aufnahmeeinrichtung. Die Verpflichtung zur Aufnahme einer angebotenen Arbeitsgelegenheit ist hiervon folglich nicht berührt.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie oft wurde im Jahr 2023 sowie bisher im Jahr 2024 in den Landeseinrichtungen des Landes NRW von der oben geschilderten Möglichkeit der Sanktionierung Gebrauch gemacht?
  2. Wie viele Personen waren davon insgesamt betroffen?
  3. Sollte es bisher zu keinen Sanktionen gekommen sein: Inwiefern wird die Landesregierung zukünftig dem geschilderten Vorgehen in Mansfeld-Südharz, im Burgenlandkreis sowie im Saale-Orla-Kreis folgen?
  4. Inwiefern wird die Landesregierung im Rahmen des Controllings und der Haushaltsführung des Ministeriums für Flucht und Integration zukünftig geleistete und verrechnete Arbeitsgelegenheiten konsequent erfassen – sprich die geleisteten Stunden je Unterbringungseinrichtung sowie die an Asylbewerber ausgezahlten Beträge?
  5. Im Burgenlandkreis betonte der Landrat die Bedeutung, wonach mit Hilfe der Arbeitsgelegenheiten dem Tag eine Struktur gegeben wird. Außerdem sei es wichtig der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ministerin Paul dagegen bewertete in ihrer Rede zum Thema Bezahlkarte am 04.07.20245 das Thema Arbeitsgelegenheiten eher kritisch und war in diesem Zusammenhang erneut nicht in der Lage konkrete Zahlen zu nennen. Warum misst die Ministerin dem Thema „Arbeitsgelegenheiten“ offenbar eine eher untergeordnete Rolle zu?

Christian Loose

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-10029

 

1 Vgl. https://www.focus.de/politik/deutschland/wer-nicht-erscheint-bekommt-weniger-erste-landkreise-kuerzen-arbeitsunwilligen-fluechtlingen-das-geld_id_260120513.html

2 Vgl. https://www.bild.de/politik/inland/weniger-geld-fuer-drueckeberger-landkreise-kuerzen-fluechtlingen-stuetze-668b9331f1ecf047a933f454

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Vgl. Plenarprotokoll 18/10; Top 10


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 4168 mit Schreiben vom 2. September 2024 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie oft wurde im Jahr 2023 sowie bisher im Jahr 2024 in den Landeseinrichtungen des Landes NRW von der oben geschilderten Möglichkeit der Sanktionierung Ge­brauch gemacht?
  2. Wie viele Personen waren davon insgesamt betroffen?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beant­wortet. Der Landesregierung ist kein Fall bekannt, in dem angebotene Arbeitsgelegen­heiten abgelehnt wurden, sodass sich hier die Frage nach einer Sanktionierung nicht stellt.

  1. Sollte es bisher zu keinen Sanktionen gekommen sein: Inwiefern wird die Landes­regierung zukünftig dem geschilderten Vorgehen in Mansfeld-Südharz, im Burgen-landkreis sowie im Saale-Orla-Kreis folgen?

In den Landeseinrichtungen für Geflüchtete in Nordrhein-Westfalen werden grundsätzlich nur Arbeiten angeboten, die einen unmittelbaren Bezug zur jeweiligen Einrichtung haben. Im Üb­rigen wird auf die Beantwortung der Fragen 1 und 2 Bezug genommen.

  1. Inwiefern wird die Landesregierung im Rahmen des Controllings und der Haus-
    haltsführung des Ministeriums für Flucht und Integration zukünftig geleistete und verrechnete Arbeitsgelegenheiten konsequent erfassen – sprich die geleisteten Stunden je Unterbringungseinrichtung sowie die an Asylbewerber ausgezahlten Beträge?

Die geleisteten Stunden je Unterbringungseinrichtung sowie die Aufwendungen je abgelaufe­nem Kalenderjahr werden durch die jeweils zuständige Bezirksregierung erfasst.

Aus den nunmehr vorliegenden Daten ergeben sich die folgenden Aufwendungen (in Euro) für das Vorjahr 2023:

Bezirksregierung 2023
BezReg Arnsberg 282.928
BezReg Detmold 132.838
BezReg Düsseldorf 393.224
BezReg Köln 324.369
BezReg Münster 143.983
Gesamt (ohne Kommunen) 1.277.342

 

  1. Im Burgenlandkreis betonte der Landrat die Bedeutung, wonach mit Hilfe der Ar­beitsgelegenheiten dem Tag eine Struktur gegeben wird. Außerdem sei es wichtig der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ministerin Paul dagegen bewertete in ihrer Rede zum Thema Bezahlkarte am 04.07.2024 das Thema Arbeitsgelegenheiten e­her kritisch und war in diesem Zusammenhang erneut nicht in der Lage konkrete Zahlen zu nennen. Warum misst die Ministerin dem Thema „Arbeitsgelegenheiten“ offenbar eine eher untergeordnete Rolle zu?

Arbeitsgelegenheiten, insbesondere in den Landesunterkünften, unterstützen den Bereich der tagesstrukturierenden Maßnahmen. Mit Blick auf eine schnelle Arbeitsmarktintegration Ge­flüchteter spielen Arbeitsgelegenheiten eine untergeordnete Rolle. Daher bewertet die Lan­desregierung Arbeitsgelegenheiten als eine sinnvolle Ergänzung der Angebote der tagesstruk­turierenden Angebote. Laut den Ergebnissen des Expertise-Berichts „Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten und Migrant*innen“ der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrations­forschung aus Mai 2024 wirken sich Arbeitsgelegenheiten langfristig nicht positiv auf die Ar­beitsaufnahme einer regulären Beschäftigung und das Verlassen der Grundsicherung aus. Die Herstellung der Beschäftigungsfähigkeit und die Heranführung an das Arbeitsleben wird durch die angebotenen Arbeitsgelegenheiten anhand der Studienlage nur selten erreicht.5

 

MMD18-10496

 

5 Vgl. Martina Sauer, Expertise Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten und Migrant*innen- Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung, S. 36