Offener Brief: Bergleute stellen falsche Behauptungen richtig – und werden kaum gehört

Nach dem verständlichen Aufruhr im Landtag melden sich die Bergleute mit einem offenen Brief zu Wort. Darin räumen sie mit den zahlreichen, aus Altparteienkreisen verbreiteten Falschdarstellungen auf. Während teils abenteuerliche Vorwürfe allerdings weit gestreut wurden, stößt die Richtigstellung nun bloß auf wenig Interesse. Jetzt den kompletten Brief der Bergleute lesen:

„Sehr geehrter Präsident des Landtags NRW Herr André Kuper,

hiermit möchten wir, alle von der RAG gekündigten Bergleute, uns für den Vorfall bei der 62. Plenarsitzung am 10.07.2019 offiziell und in aller Form für „unser“ emotionales, ungebührliches Verhalten entschuldigen. Weder die Tragweite, noch die Bedeutung unseres Verhaltens war uns bewusst. Wir wollen folgendes voranstellen: Wir sind Bergleute. Für unser Fehlverhalten werden wir, „ohne Wenn und Aber“ Ihnen gegenüber, sehr geehrter Herr Landtagspräsident, geradestehen. Trotzdem möchten wir unser Verhalten erklären, weiteren „wilden“ Spekulationen vorbeugen und diesen entgegentreten. Abschließend erlauben wir uns gleichwohl noch eine Bitte an Sie heranzutragen. Wir kamen zu Ihnen in der Hoffnung, Zuspruch und Hilfe zu bekommen und nicht, um Sie zu verärgern oder, wie vereinzelt mitgeteilt worden ist, bedrohlich auf Sie zu wirken. Wir haben uns nach längerer Abwägung für einen offenen Brief entschieden.

Seit Jahrzehnten wurde der Satz postuliert, dass kein Bergmann ins Bergfreie fällt. Gewerkschaft, RAG und Politik haben uns ein verbindliches Versprechen gemacht. Wir haben der Gewerkschaft, der RAG und vor allem der Politik vertraut. Viele von uns wählen seit Jahrzehnten die SPD und andere die CDU. Nur wenige Wochen nach den pompösen Abschiedsfeiern wurde das Versprechen gebrochen. Erstmals nach über 50 Jahren wurden Bergleute ins „Bergfreie“ gekündigt. Hierzu gab das Unternehmen, die Gewerkschaft und der Betriebsrat immer wieder bekannt, man habe alles Erdenkliche für uns getan, aber wir hätten alles abgelehnt, so dass wir unsere Kündigung selbst erzwungen hätten. Das ist schlicht und ergreifend unwahr! Es wurde behauptet, man habe uns allen „passgenaue Jobs zu besseren Konditionen mehrfach angeboten“. Auch diese Behauptung ist einfach unwahr! Hierauf haben wir immer wieder hingewiesen. Ohne auch nur ein einziges Mal mit uns gesprochen zu haben, erklärte unsere Gewerkschaft öffentlich „es sei fahrlässig die angebotenen Jobs nicht anzunehmen“, wir hätten schließlich Verantwortung für unsere Familien. Als ob uns das nicht bewusst wäre. Aber wenn wir keine Angebote bekommen, können wir sie nicht annehmen. Jetzt wird auch der Betriebsrat auf die Bühne geholt, der die unwahren Behauptungen wiederholt. Da man die Tatsachen einfach hinter der pauschalen Behauptung „wir haben alles getan“ versteckt, haben wir unseren Anwalt „überredet, dass wenigstens er den wirklichen Sachverhalt an die Politik heranträgt. Kopien der mit uns abgestimmten Schreiben haben wir Ihnen per Email geschickt und fügen diese diesem Schreiben bei.

Entgegen der Darstellung der RAG läuft der Rückbau aller Betriebsanlagen noch Jahre. Die aktuellen Planungen gehen jetzt schon bis ins Jahr 2030! Nur Teile des Bergwerkes Prosper Haniel wurden eingestellt. Die Behauptung, wir seien die letzten 200 Bergleute ist also falsch. Anstatt uns weiter zu beschäftigen werden aber Drittfirmen über Werkverträge beauftragt. Hierbei handelt es sich nur um wenige Spezialaufgaben. Es handelt sich überwiegend um Laufende betriebliche Aufgaben. Bei der Auswahl der Mitarbeiter auf dem Bergwerk Prosper Haniel wurde nur nach dem Geburtsjahr (Anpassungsgeldberechtigung) entschieden. Eine Sozialauswahl fand gar nicht statt. Die Gekündigten wurden bewusst auf dem Bergwerk Prosper Haniel gelassen und nicht in die verbleibenden Bereiche der RAG verlegt, um ihnen kündigen zu können. In Vorbereitung hierfür wurde der tarifliche Kündigungsschutz für langjährig Beschäftigte mit Zustimmung der Gewerkschaft IG BCE im Jahr 2015 extra ersatzlos gestrichen.

Wir haben uns an das Bundeskanzleramt und unseren Bundespräsidenten gewandt. Da auch die Kirche immer hinter uns Bergleuten stand, haben wir sogar die Bischöfe von Essen und Münster angeschrieben. Die Antworten fügen wir diesem Schreiben bei. Es folgte kein Hilfsangebot. Besonders verärgert waren wir über die Antwort unseres Ministerpräsidenten Armin Laschet, dem wir unsere Situation im Einzelnen erläuterten und der uns daraufhin „ermunterte“, die (nicht vorhandenen!) Angebote anzunehmen. Wir teilten ihm mit, dass wir uns verhöhnt fühlten. Eine Reaktion gab es nicht mehr. Auf einer Demonstration in Bottrop haben wir auf unsere Situation hingewiesen. Es erfolgte, trotz des großen medialen Echos, keine Reaktion. Weder von der Gewerkschaft, die sich doch hätte fragen müssen, was denn da los sei, noch von der Politik. Wir haben dann in Düsseldorf demonstriert. Letztendlich haben sich lediglich ein ehemaliger Bergmann, der jetzt Abgeordneter der AfD im Europaparlament ist, sowie sein Kollege im Landtag, für unsere Belange interessiert. Von ihnen wurden die Bergleute eingeladen und dieser „Strohhalm“ wurde unsererseits dankbar ergriffen.

Ferner möchten wir uns entschieden gegen die Aussage stellen, dass sich die Bergleute instrumentalisieren lassen für die Belange der AfD oder dass es sich um eine inszenierte Vorführung gehandelt haben soll! Alle Fraktionen wurden von uns lange vor dem 10.07. angeschrieben und um deren Hilfe gebeten, leider ohne Antworten! Auch unsere Versammlung am 28.06.2019 vor dem Landtag, in der wir alle Fraktionen lautstark zu uns gebeten haben, blieb erfolglos. Des Weiteren gibt es Berichte, dass die Bergleute auf den Zuschauertribünen im Landtag keine „echten“ Bergleute, sondern „gekaufte“ Statisten gewesen sein sollen. Dem widersprechen wir hiermit vehement! Bei allen Beteiligten handelte es sich um betroffene Bergleute, sowie vereinzelt um Familienmitglieder der Betroffenen. Mitglieder der MLPD haben sich, entgegen einiger Pressemeldungen, auch nicht darunter befunden!

Zum Tumult möchten wir folgende Erklärung abgeben: wir waren enttäuscht darüber, dass das tatsächliche Anliegen, nämlich die inständige Bitte, dass den gekündigten Bergleuten seitens der Politik solidarische Hilfe zugesagt wird, um das Versprechen „Keiner fällt ins Bergfreie“ wahr bleiben zu lassen, letztendlich gar nicht Diskussionsgegenstand der meisten Landtagsabgeordneten war und so der Antrag auf Solidarität abgelehnt wurde. Das war der Grund für die Wut und Verzweiflung. Es wurden von allen Parteien, außer der AfD, lediglich die Behauptungen der RAG und der IG BCE wiederholt und die AfD „verprügelt“, weil sie sich für uns einsetzt. Die Anwesenden fühlten sich hierdurch selbst wie verprügelt. Das war nicht mehr zu ertragen. Wir haben gehofft, dass endlich der Sachverhalt erörtert wird. Dabei haben sich die Fraktionen nur gegenseitig beschimpft und Vorwürfe gemacht. Über uns wurde nur von der AfD gesprochen. Wir haben viel Hoffnung in Sie gesetzt und waren über diese Debatte fassungslos und am Boden zerstört. Wir haben Ängste und fühlen uns verraten. Niemand hilft uns und alle decken, die unwahre Darstellung der RAG.

Dieser Umstand, sowie die räumliche Begrenzung und Wartezeit vor den Aufzügen, haben die Emotionen der Bergleute auf eine harte Probe gestellt, der nicht jeder Mensch gewachsen war. Dass in dieser Situation dem Unmut einiger mit Klopfen gegen die Scheiben und Äußerungen Luft gemacht wurde, war absolut nicht geplant und selbstverständlich auch nicht korrekt.

Wir fordern die Einhaltung des politischen Versprechens, dass „keiner ins Bergfreie“ fällt. Bis zur vollständigen Erfüllung dieses Versprechens werden wir unermüdlich weiterkämpfen.
Wir hoffen weiterhin auf die Unterstützung aller Fraktionen im Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit im Auslauf des subventionierten Steinkohlenbergbaues.

Mit freundlichen Grüßen,
die betroffenen Bergleute

Anlage (nur für den Präsidenten)
Liste aller heute anwesenden Kollegen“

 

➡️ Bisherige Richtigstellungen:
? WDR: https://bit.ly/2xPAyEY
? Bild: https://bit.ly/2XMhYYz
? WELT: https://bit.ly/2xObIF8
? WAZ: https://bit.ly/2Y7MEIe
? RTL: https://bit.ly/30B09Oe

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