Antrag der Fraktion der AfD – Nordrhein-Westfalens Verantwortung für die Weltgesundheit ernst nehmen – Antibiotikaresistenzen in den Fokus rücken

Antrag
vom 20.02.2018

Antrag der Fraktion der AfD vom 20.2.2018

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I. Ausgangslage

Bakterielle Infektionen stellten lange eine große Gefahr für die Menschheit dar:

  • 25 Millionen Menschen und damit ein Drittel der europäischen Bevölkerung fielen zwischen 1346 und 1353 einer Variante des Pesterregers Yersinia pestis zum Opfer.
  • Die Syphilis breitete sich seit 1492 in Europa so verheerend aus, dass selbst im Jahr 1948, als die Weltgesundheitsorganisation gegründet wurde, noch immer rund 20 Millionen Menschen an ihr starben.
  • Die Cholerapandemie zwischen 1852–1860 verzeichnete alleine in Russland mehr als eine Millionen Todesfälle. Dadurch kamen im Krimkrieg (1853–1856) bei allen Konfliktparteien mehr Soldaten durch die Cholera als in Kampfhandlungen ums Leben.
  • Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt durch Bakterien verursacht (Durchfall, Lungenentzündung, Tuberkulose, etc.). Die meisten Opfer waren unter fünf Jahre alt.

Erst Antibiotika haben die meisten, einst tödlichen bakteriellen Infektionen zu „Bagatellen“ gemacht. Heute sterben in der industrialisierten Welt an Infektionskrankheiten nur noch weniger als fünf Prozent der Menschen.

An Krankheiten wie beispielsweise der bakteriellen Hirnhautentzündung (Meningitis) starben ohne Antibiotika weit über 90 Prozent der daran Erkrankten. Heute, wo hochpotente Antibiotika zur Verfügung stehen, sinkt die Letalität auf drei bis zehn Prozent.

Doch schon 1945 warnte Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, vor möglichen Gefahren eines breiten, unsachgemäßen Einsatzes von Antibiotika. In einem Interview mit der „New York Times“ mahnte er: „Die Folgen sind kaum auszudenken, wenn Patienten Antibiotika zur Selbstmedikation in die Hand bekommen und sie dann zu schwach dosieren. Statt dass man die Infektion ausmerzt, hat man dann penicillinresistente Erreger. Falls die aber auf andere Menschen übertragen werden und jemand, der sie beherbergt, eine Lungenentzündung oder eine Sepsis bekommt, hilft kein Penicillin mehr.“

Heute gehört die weltweite Zunahme von solchen Antibiotikaresistenzen nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den größten Gefahren für die menschliche Gesundheit und hat dramatische Konsequenzen für die Behandlung von Infektions­krankheiten: Schon jetzt sind in manchen Fällen die Therapeuten ebenso machtlos wie vor der Ära der Antibiotika. Angaben der WHO zufolge sterben jährlich bis zu 700.000 Menschen durch die Folgen von Antibiotikaresistenzen. Bis 2050 könnte die Zahl Schätzungen zufolge auf 10 Millionen Tote pro Jahr steigen.

Dies ist vor allem Folge eines zu häufigen und oft unsachgemäßen Antibiotikagebrauchs sowohl in der Human- als auch und Veterinärmedizin. Stündlich werden auf unserem Planeten 20 Tonnen Antibiotika hergestellt.

Außerdem hat ein weiterer Faktor das Problem der Antibiotikaresistenzen verschärft: Bei der Antibiotikaforschung tritt ein klassisches Marktversagen auf – das sogenannte Antibiotika-Dilemma. Von der Grundlagenforschung bis zum zugelassenen neuen Antibiotikum ist es ein sehr langer und kostspieliger Weg, während die Ertragsaussichten für solche Präparate schlecht sind. Denn als Reserveantibiotika sollen sie möglichst wenig zum Einsatz kommen, man kann mit ihnen also erst – wenn überhaupt – deutlich später einen kostendeckenden Umsatz erzielen.

Infolge fehlender Marktaussichten haben die Neuentwicklungen von Antibiotika seit den 1970er Jahren stark abgenommen. Die letzten neuen Antibiotika, die sehr erfolgreich eingesetzt wurden, sind die sogenannten Chinolone und stammen aus den 1980er-Jahren. Seit dem Jahr 2000 sind gerade einmal fünf neue Antibiotika auf dem Markt zugelassen worden, wobei keines der neuen Medikamente gegen die hochresistenten gram-negativen Bakterien wirkt.

Wegen der offensichtlich mangelnden Wirtschaftlichkeit für die forschenden Firmen bei aber überaus hohem öffentlichen Interesse ist die Verwendung öffentlicher Gelder erforderlich. Zwischen 2007 und 2013 wurden in der gesamten europäischen Union allerdings gerade einmal 147 Millionen Euro in die Entwicklung neuer Antibiotika investiert, die USA investierten im selben Zeitraum 234 Millionen. Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums kostet durchschnittlich 200 Millionen Euro, kann aber auch bis zu 1,5 Milliarden Euro teuer sein.

Ist es dann gelungen einen neuen Stoff zu entdecken, vergehen zudem von der Idee bis zum anwendbaren Medikament durch verschiedene Hemmnisse und wegen fehlender Strukturen oft an die 15 Jahre.

Die offensichtliche Verschärfung der Notlage wegen der Zunahme von Infektionen durch mehrfach resistente Bakterien einerseits und dem Rückgang der Entwicklung neuer Antibiotika andererseits könnte zur postantibiotischen Ära führen. Der Rückfall ins „Vorpenizillin-Zeitalter“ ist ein sehr reales Horror-Szenario. Die Weltgemeinschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen. Antibiotika sind für die medizinische Versorgung unersetzlich.

Das Problem lässt sich nur lösen oder zumindest abmildern, wenn alle Möglichkeiten genutzt werden, dass Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft regional, national und international miteinander agieren und vielfältige, aufeinander abgestimmte Ansätze in Forschung und Entwicklung verfolgen. Europa, Deutschland, aber auch Nordrhein-Westfalen tragen eine Mitverantwortung für die globale Gesundheit, der wir gerecht werden müssen.

Hinzutreten müssen ein rationalerer Umgang mit Antibiotika, auch beim Einsatz in der Tiermast, die Einhaltung persönlicher Hygienemaßnahmen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie die konsequente Isolierung infizierter Personen als effektivste Methode zur Eindämmung der Resistenzverbreitung.

Doch all diese Maßnahmen können Resistenzentwicklungen allenfalls verlangsamen, aber keinesfalls verhindern. Es müssen neue, wirksame Antibiotika entwickelt werden, die wieder gegen die bislang multiresistenten Bakterien wirken, und deren Zulassung muss dringend vereinfacht werden, z.B. indem sie anders als bislang einen anderen Mechanismus, aber nicht eine Überlegenheit gegenüber bisherigen Mitteln erweisen müssen. Das hätte den Vorteil, dass man unterschiedliche Substanzklassen von Antibiotika mit ähnlicher Wirkung parallel auf den Markt bringen könnte und man bei auftretenden Resistenzen sofort zu alternativen Antibiotika wechseln könnte.

Auf Bundesebene stellte die 2015 beschlossene “Deutsche Antibiotika-Resistenz-Strategie (DART)“ einen ersten Schritt dar. Bedauerlicherweise fehlen die erforderliche finanzielle Untersetzung, eine feste Zeitschiene sowie die Kontrolle und Evaluation der angekündigten Maßnahmen, sodass der Erfolg von vielen Fachleuten angezweifelt wird. Damit eine gemeinsame und möglichst breite Strategie gegen Antibiotikaresistenzen entwickelt werden kann, müssten im Humanbereich beispielsweise auch andere Berufsgruppen und Gesundheitseinrichtungen aktiv miteinbezogen werden, vor allem Pflegeeinrichtungen, Apotheken, Rettungsdienste oder Zahnarztpraxen, doch das versäumte die Bundesregierung bei DART.

Zudem verschenkte sie die Chance, durch die Erprobung bzw. Etablierung von Personalbemessungsverfahren zumindest für Stationen mit erhöhtem Risiko wie Intensivstationen, Frühgeborenenabteilungen oder Gefäß- bzw. Herzchirurgie den Hygienestandard tatsächlich auszubauen.

Auch in Bezug auf die Veterinärmedizin bleibt der wichtigste Aspekt zur Vermeidung von Resistenzbildung bei DART unerwähnt: Oberstes Ziel innerhalb einer solchen Strategie sollte es sein, durch eine maximale Tiergesundheit Erkrankungen und damit den Antibiotikaeinsatz zu vermeiden. Eine artgerechte Tierhaltung mit niedrigen Besatzdichten, angemessenem Leistungsniveau mit mehr Auslauf, Platz, Sonnenlicht, Beschäftigung sowie intensiver Bestandsbetreuung fördert bekanntlich die Tiergesundheit.

Die DART 2020 weist also in manchen Bereichen Lücken auf und läßt außerdem bei vielen Maßnahmen die Verbindlichkeit zur Umsetzung vermissen. Nordrhein-Westfalen kann hier nachbessern und mit gutem Beispiel vorangehen.

Im Oktober 2015 wurde auf dem G7-Gesundheitsministertreffen eine Erklärung zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen verabschiedet. Im September 2016 vereinbarten die UN in einem High-Level-Meeting regionale, nationale und internationale Maßnahmen zu unternehmen. Nordrhein-Westfalen muss seinen Teil dazu beitragen.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Antibiotikaresistenzen sind ein ernst zu nehmendes Problem nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern auch für die globale Gesundheit.
  2. Nordrhein-Westfalen kommt als bedeutendem Chemiestandort in Deutschland mit seiner Erfahrung und Kompetenz in der Entwicklung und Herstellung von Medikamenten ein wichtiger Anteil an der internationalen Verantwortung zur Entwicklung neuer Antibiotika zu.
  3. Die Kooperation zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen muss verbessert werden.

III. Der Landtag fordert deshalb von der Landesregierung:

  1. Die DART 2020 Leitlinien sind in besonderer Würdigung der Erfordernisse Nordrhein-Westfalens weiterzuentwickeln.
  2. Das Thema „Antibiotikatherapie und -resistenzen in NRW“ ist unter Beteiligung aller Versorgungsbereiche in gemeinsamer Anstrengung anzugehen.
  3. Bei der Aufstellung des Haushaltsplans 2019 sind Förderprogramme zur Antibiotikaentwicklung vorzusehen.
  4. Derzeit schon bestehende Projekte müssen analysiert werden, um NRW als Forschungsstandort zu profilieren und zu stärken.
  5. Bei Innovationen neuer Antibiotika müssen die Strukturen und Rahmenbedingungen, unter denen die Forschung auf diesem Gebiet betrieben wird, neu gedacht und weiterentwickelt werden. Dazu sollen Kompetenzen und Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen strukturell zusammengeführt und gemeinschaftlich konkrete Strategien zur Bekämpfung von Infektionen entwickelt werden.
  6. Es sind gezielt Räume für interdisziplinäre Forschung zu schaffen, da neue Lösungen nur durch enge Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Technologieentwicklern, medizinischen Anwendern und Unternehmen entstehen können. Hierfür sind interdisziplinäre Zusammenarbeit, standardisierte Prozesse sowie innovative Konzepte des Forschungsmanagements anzustreben. Neben der Erforschung neuer Technologien müssen auch Fragen zur klinischen Validierung und Zertifizierung in den Vordergrund rücken. Bisher vorhandene Lücken in der Innovationskette müssen strukturell und damit grundsätzlich überwunden werden.
  7. Es ist sicherzustellen, dass Hygiene und die Eindämmung von multiresistenten Keimen in der neuen Krankenhausbedarfsplanung eine gebührende Rolle zukommen wird.

Dr. Martin Vincentz

Iris Dworeck-Danielowski

Helmut Seifen

Andreas Keith

und Fraktion