Anzahl der Drogentoten in NRW explodiert – Welche Konzepte bietet die Landesregierung?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1278

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias, Dr. Martin Vincentz und Markus Wagner vom 07.02.2023

Anzahl der Drogentoten in NRW explodiert Welche Konzepte bietet die Landesregierung?

Wie aus einem Bericht der WAZ hervorgeht, wurden im Jahr 2021 alleine in NRW 693 Drogentote gezählt. Dies sei der höchste Wert seit 30 Jahren. Der Anstieg liege zudem weit über dem Bundesschnitt. Gemessen am Bevölkerungsanteil liege die Zahl der Drogentoten in NRW inzwischen fast um das Doppelte über dem bundesweiten Niveau. Die Zahl der Drogentoten habe sich in NRW innerhalb von vier Jahren mehr als verdreifacht.1 Die WAZ beruft sich dabei auf das aktuelle Lagebild des Landeskriminalamts (LKA) NRW zur Rauschgiftkriminalität.2

Wie die WAZ weiter berichtet, vermutet das NRW-Gesundheitsministerium einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, da niedrigschwellige Suchthilfeangebote zeitweise nur eingeschränkt verfügbar waren und auch die Zahl der Entgiftungsplätze vorübergehend reduziert war.

Die mit Abstand häufigste Todesursache waren seinerzeit Langzeitschädigungen.

Wie fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie hat sich die Anzahl der Drogentoten in NRW zwischen 2010 und 2022 entwickelt? (Bitte die Gesamtzahl je Jahr angeben und jeweils nach Kommune aufschlüsseln)
  2. Welches waren nach jetzigem Stand im Jahr 2022 die häufigsten Todesursachen? (Bitte die Todesursachen analog zur Auflistung im Lagebild Rauschgiftkriminalität 2021 nennen)
  3. Welche lokalen Schwerpunkte gibt es im Zusammenhang mit den Drogentoten in NRW? (Bitte für die Jahre 2020–2022 die Anzahl der Drogentoten je Kommune angeben und dabei nach Alter, Nationalität, Geschlecht, Art der Droge sowie Todesursache in Verbindung mit der Droge differenzieren)
  4. Wie erklärt sich die Landesregierung den – im Verhältnis zu anderen Bundesländern – überproportionalen Anstieg der Todesfälle in NRW?
  5. Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung dem erschreckenden Trend entgegenwirken?

Enxhi Seli-Zacharias
Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner

 

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1 Vgl. http s : / / www. W a z .de/politik/landes p o l i t i k /nrw-zahl-der-d r o g e n toten-hat-sich-ver drei facht -id 2 3 74 6 67 43.h t m l

2 Vgl. hat t ps : / / ka.p o l i z e i.nrw/sites/default/files/2 0 2 2 – 11/2022-10-24%2 0LK A%20NRW _%20LB%20Rauschgift%202021.p d f


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1278 mit Schreiben vom 7. März 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.

  1. Wie hat sich die Anzahl der Drogentoten in NRW zwischen 2010 und 2022 entwi­ckelt? (Bitte die Gesamtzahl je Jahr angeben und jeweils nach Kommune auf­schlüsseln)

Die Gesamtzahl der Rauschgifttoten in Nordrhein-Westfalen je Jahr ist der Anlage 1 zu ent­nehmen.

Eine Aufschlüsselung der Rauschgifttoten nach Kommunen war in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die in der Anlage 1 dargestellten Tabellen stellen eine Aufschlüsselung entsprechend der sachbearbeitenden Kreispolizeibe­hörden für die Jahre 2010 bis 2016 sowie 2017 bis 2022 dar (zwei Tabellen).

  1. Welches waren nach jetzigem Stand im Jahr 2022 die häufigsten Todesursachen? (Bitte die Todesursachen analog zur Auflistung im Lagebild Rauschgiftkriminalität 2021 nennen)

Eine Darstellung der Todesursachen bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen. Zur Einordnung der Zahlen wurde hier ein Vergleich zum Jahr 2021 vorgenommen.

  1. Welche lokalen Schwerpunkte gibt es im Zusammenhang mit den Drogentoten in NRW? (Bitte für die Jahre 2020–2022 die Anzahl der Drogentoten je Kommune an­geben und dabei nach Alter, Nationalität, Geschlecht, Art der Droge sowie Todes­ursache in Verbindung mit der Droge differenzieren)

Eine aussagekräftige Benennung lokaler Schwerpunkte bedarf einer umfassenden Analyse vielfältiger Einflussfaktoren, wie Einwohnerzahl, Humangeographie, Infrastruktur und der örtli­chen Kriminalitätsentwicklung. Dieses Wirkungsgeflecht kann in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht hinreichend valide analysiert werden.

Der Anlage 3 sind Daten zu den Kreispolizeibehörden zu entnehmen, in denen im Jahr 2022 mehr als 40 Rauschgifttodesfälle verzeichnet wurden. Es handelt sich hierbei um die Kreispo­lizeibehörden, die einen zahlenmäßigen Schwerpunkt bildeten. Eine differenziertere Aufstel­lung nach Kommunen (s. auch Antwort zu Frage 1), Art der Drogen sowie Todesursachen in Verbindung mit den Drogen ist in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

  1. Wie erklärt sich die Landesregierung den – im Verhältnis zu anderen Bundeslän­dern – überproportionalen Anstieg der Todesfälle in NRW?

Aus suchtfachlicher Sicht ist anzumerken, dass sich kaum beziffern lässt, wie viele Menschen schwer drogensüchtig sind, da sie aufgrund prekärer Lebensverhältnisse nur schwer mit den gängigen statistischen Methoden erfasst werden können. Verlässliche Daten zu in den einzel­nen Bundesländern lebenden schwer drogenabhängigen Menschen liegen daher nicht vor. Ohne diese Basisrate lässt sich nicht beurteilen, ob in Nordrhein-Westfalen im Ländervergleich mehr oder weniger drogenabhängige Menschen in Folge des Drogenkonsums versterben.

Um – unter ausdrücklichem Hinweis auf die vorgenannten Faktoren – eine Vergleichbarkeit trotzdem zu ermöglichen, wurden die vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Belastungszahlen3 für das Jahr 20214 (für das Jahr 2022 wurden diese bislang nicht veröffent­licht) herangezogen. Bezogen auf die 693 Rauschgifttoten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021, liegt die Belastungszahl demnach bei 3,9. Ausweislich der Angaben des Bundeskrimi­nalamtes liegt Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 damit an dritter Position nach Berlin (6,1) und Hamburg (4,1), gefolgt von Bremen (3,7), dem Saarland (2,8) und Schleswig-Holstein (2,0). Insgesamt ist festzustellen, dass Nordrhein-Westfalen mit großen Anteilen an dicht be­siedelter, städtischer Struktur weiterhin höhere Belastungszahlen als andere Flächenländer aufweist.

Der erneute Anstieg der Zahl der Rauschgifttoten im Berichtsjahr 2022 ist, wie im Vorjahr, hauptsächlich auf Todesfälle infolge konsumbedingter Gesundheitsschädigungen bei Lang­zeitkonsumenten zurückzuführen. Die Gesundheitsschädigungen werden hierbei durch einen jahrelangen missbräuchlichen Konsum von Betäubungsmitteln, Ausweichmitteln oder Ersatz­stoffen (auch in Verbindung mit Arzneimitteln) verursacht. Die Todesfälle bei Langzeitkonsu­menten machen 69,4 Prozent der Rauschgifttoten im Jahr 2022 aus. Das Durchschnittsalter der Rauschgifttoten ist von 44 Jahren im Jahr 2021 auf 43,8 Jahre im Jahr 2022 leicht gesun­ken.

Zu weiteren möglichen Ursachen für den Anstieg der Drogentodesfälle innerhalb Nordrhein-Westfalens im Zeitverlauf wird auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 305 (LT-Drs. 18/820) verwiesen.

  1. Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung dem erschreckenden Trend entgegenwirken?

Das Land Nordrhein-Westfalen verfügt über gute und flächendeckende Strukturen der Sucht­prävention und -beratung. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) steht über die Suchtkooperation NRW im Austausch mit den Akteurinnen und Akteuren der Sucht­hilfe, Suchtselbsthilfe und Suchtprävention in Nordrhein-Westfalen. So können fortlaufende Anpassungen an aktuelle Herausforderungen vorgenommen werden, zu denen auch Weiter­entwicklungen der vorhandenen Beratungs- und Hilfestrukturen gehören.

In Bezug auf Drogentodesfälle spielen Drogenkonsumräume eine wichtige Rolle. Neben einem hygienischen Raum für den Substanzkonsum und unverzüglicher Hilfe bei Konsumnotfällen bieten sie Beratung zum sicheren Konsum und zu Konsumalternativen. Das MAGS setzt sich daher für den Ausbau von Drogenkonsumräumen ein.

In den Drogenkonsumräumen ist ein gestiegener Konsum von Crack zu beobachten. Das MAGS plant daher im Mai 2023 einen Fachtag, bei dem mit den relevanten Akteurinnen und Akteuren diese Problematik und daraus möglicherweise resultierende notwendige Anpassun­gen der Hilfesysteme diskutiert werden.

Drug Checking ist für die Vermeidung von Drogentodesfällen eine Maßnahme, für deren Wirk­samkeit erste Evidenzen vorliegen. Bisher stehen einer Umsetzung bundesgesetzliche Rege­lungen grundsätzlich entgegen. Der Bund hat zwischenzeitig angekündigt, gesetzliche Mög­lichkeiten für Drug Checking schaffen zu wollen. Das MAGS beobachtet diese Entwicklungen mit Interesse.

 

Antwort samt Anlage als PDF

 

3 Die Belastungszahl gibt die Anzahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohner (Bevölkerung am 31.12.2021) an.

4 Vgl. Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2021, h t t ps : / / ww w.b k a . d e /D E / A kt u e ll eI nf o rmationen/StatistikenLa-gebilder/Lagebilder/Rauschgiftkriminalitaet/rauschgiftkriminalitaet_node.html