Antragder AfD-Fraktion vom 30.03.2022
Auch die Landesregierung muss die Realitäten endlich anerkennen – Umgestaltung der Landesinitiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“
I. Ausgangslage
Wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervorgeht, fällt der Erfolg der Landesinitiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ bisher wohl eher bescheiden aus.1 Als Erfolg wäre dabei insbesondere die eigentliche Vermittlung einer zuvor arbeitslosen Person in Ausbildung und Arbeit, möglichst ohne weiteren, anschließenden Unterstützungsbedarf, zu bewerten.
Mit Stand Juli 2021 lebten insgesamt 23.600 Personen, die zur Zielgruppe dieser Initiative gehören, also Geduldete und Gestattete im Alter von 18 bis 27 Jahren, in NRW.2 Zum Stand 30. Juni 2021 konnten zwar 5.268 Personen (22 Prozent) durch die Initiative unterstützt werden, das Resultat dieser Bemühungen ist allerdings ernüchternd.
So hatten bis zu diesem Zeitpunkt 363 Personen das Programm verlassen, davon aber nur 103 Personen in „Ausbildung und Arbeit“. Die 55 Austritte in Arbeit verteilen sich dabei noch auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, auf selbständige Tätigkeiten sowie auf lediglich geringfügig Beschäftigte.
48 Personen haben die Initiative auf Grundlage der Vermittlung in einen Ausbildungsplatz bzw. in eine Fortbildungsmaßnahme verlassen. Dies hat allerdings zunächst einmal keine Aussagekraft über den angestrebten, erfolgreichen Abschluss der Ausbildung sowie über die anschießende, angestrebte Vermittlung in Arbeit.
Zur Undurchsichtigkeit bei einer notwendigen Qualitätskontrolle der Initiative trägt insbesondere bei, dass laut Aussage der Landesregierung nicht generell erfasst wird, ob die Teilnehmer bei Eintritt in die Initiative bereits in einem Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis standen oder erst im Rahmen der Initiative in ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis vermittelt werden konnten.
Somit lässt sich nicht sauber differenzieren zwischen denjenigen Personen, die berufstätig bzw. in Ausbildung sind und z.B. an einer Fortbildungsmaßnahme teilnehmen, und denjenigen Personen, die erst im Rahmen der Initiative in Ausbildung und Arbeit vermittelt wurden. Zudem kann die Betreuung auch nach der Aufnahme einer Beschäftigung bzw. Ausbildung noch anhalten. Lediglich der Austritt aus der Initiative wird statistisch erfasst.
Außerdem ist es verwunderlich, dass gemäß aktueller Aussagen des MAGS eine spezielle Ausrichtung der Maßnahmen zur Vorbereitung auf eine Rückkehr in die Heimatländer nicht mehr vorgesehen ist.3 In einem Bericht des MKFFI vom 08. Dezember 2020 hieß es dazu noch:
„Bisher hatten sie kaum oder nur begrenzten Zugang zu Angeboten, die entweder ihre Integrations- und Teilhabechancen hier verbessern oder ihnen ermöglichen, Qualifikationen zu erlangen, die ihnen bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsländer dort neue Chancen eröffnen.“4
Beim Blick auf die Zielgruppe lässt den Betrachter diese neue – jetzt einseitige – Ausrichtung erst recht ratlos zurück. So handelt es sich überwiegend zum einen um „Gestattete“, also gem. § 55 Asylgesetz um Personen, die um Asyl nachsuchen und denen lediglich zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist. Es steht folglich zum einen bei gestatteten Personen überhaupt noch nicht fest, ob für sie ein Schutzanspruch besteht. Geduldete Personen sind zum anderen grundsätzlich ausreisepflichtig, kommen dieser Pflicht aber nicht nach. Die folgerichtige Abschiebung ist lediglich aus unterschiedlichen Gründen, etwa gem. § 60a Aufenthaltsgesetz, momentan ausgesetzt.
Dieser Personenkreis profitiert nur über einen eingeschränkten Zugang zu Unterstützungsangeboten der Arbeitsmarktförderung, da die dauerhafte Integration bzw. Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt bei dieser Personengruppe grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Entgegen dieser Prämisse hat die Landesregierung im Jahre 2019 die Initiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ mit einem Fördervolumen von insgesamt 50 Mio. Euro (für alle Förderbausteine) ins Leben gerufen. Der Umsetzungszeitraum wurde zwischenzeitlich bis zum 30. Juni 2023 verlängert.
Eine statistische Auswertung der Initiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ für den Berichtszeitpunkt 30. Juni 2021 durch die Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (GIB.NRW) gibt erste Aufschlüsse darüber, warum wir nach einer wissenschaftlichen Analyse der Vorqualifikation der Teilnehmer nicht einmal ansatzweise über eine qualifizierte Zuwanderung zum Wohle des Wirtschaftsstandorts NRW reden sollten.5
So konnten bei Aufnahme in das durch die Initiative angebotene Programm 54,4 Prozent, also mehr als die Hälfte der Personen, kein Sprachzertifikat vorlegen (weitere 17,7 Prozent nur A1 oder A2; 12,9 Prozent ohne Angabe; B2 oder höher: 2,9 Prozent).
79 Prozent der Personen verfügten bei Aufnahme in das Programm über keine formale Berufsausbildung. Weitere 13,4 Prozent machten hierzu keine Angaben. 44,1 Prozent der Personen haben die Schule ohne Abschluss verlassen bzw. verfügten bei Aufnahme in das Programm über keinen Schulbesuch. Weitere 13 Prozent machten hierzu keine Angaben.
83 Prozent der Personen, die in das Programm aufgenommen wurden, sind (teils deutlich) vor 2019 nach Deutschland „eingereist“, was bei den vorgenannten Zahlen die Frage nach den bisherigen, persönlichen Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt aufwirft. Unklar bleibt zudem, welche Zahlen sich für den Personenkreis ergeben würden, der zwar zur Zielgruppe der Initiative gehört aber nicht an dieser teilnimmt. Das Ziel des Förderbausteins 4, die Wiederherstellung der Studierfähigkeit, erscheint auf Basis der vorhandenen Indikatoren überwiegend illusorischer Natur zu sein.
Vor dem Hintergrund der in diesem Bericht aufgeführten Zahlen erscheint es fast unmöglich, aus dieser Gruppe, trotz umfangreicher, wenn auch wahrscheinlich gut gemeinter Bemühungen, in großem Umfang (hoch-) qualifizierte Fachkräfte zu generieren.
Es zeigt sich erneut, dass es sich bei der Vermischung von Schutz auf Zeit und qualifizierter Zuwanderung auf Dauer, also bei der „Spurwechsel-Politik“ der Landesregierung, grundsätzlich um einen Irrweg handelt. Das belegt auch die Tatsache, dass mit dem Förderbaustein 3 der Erwerb eines Hauptschulabschlusses bezweckt werden soll mit dem weiteren Ziel, den Einstieg in Ausbildung und Beschäftigung überhaupt erst zu ermöglichen.
Auch die Aussage, dass man Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen wolle,
„die zur Folge haben könnten, dass ganze Gruppen von Menschen erneut abgehängt werden, ohne Zugang zum Arbeitsmarkt am Rande unserer Gesellschaft leben und ihre Potenziale vergeudet werden“ ,
geht sowohl in der Grundannahme als auch in der Analyse und Schlussfolgerung fehl, da beim angesprochenen Personenkreis entweder über ein Bleiberecht noch gar nicht entschieden wurde oder die Personen (geduldet) sowieso ausreisepflichtig sind.6
Aus diesem Grund entbehrt auch die Begründung, dass man „die Chancen dieser Menschen auf nachhaltige Integration erhöhen wolle, damit diese mittel- und langfristig ihren Lebensunterhalt [in Deutschland] selbst bestreiten können“, jeglicher Grundlage.7
Aufschlussreich und geradezu grotesk erscheint es zudem, wenn die Landesregierung offen zugibt, dass „es grundsätzlich Schwierigkeiten gibt, die Zielgruppe für eine längerfristige und freiwillige Teilnahme an der Initiative zu gewinnen.“ Dafür bedürfe es „in der Regel aufsuchender Sozialarbeit und persönlicher Gespräche“.8
Schaut man auf die Hauptherkunftsländer der Teilnehmer an der Initiative, so stammen 36 Prozent aus Syrien, Irak, Iran oder Afghanistan. Das sind zugleich die Länder, die bei einer Betrachtung der außereuropäischen Regelleistungsberechtigten weit vorne liegen. So stammen mit Stand Mai 2021 von 1.565.717 Regelleistungsberechtigten in NRW 262.024 Personen oder 16,7 Prozent allein aus diesen vier Ländern.9
Vor diesem Hintergrund verwundert allerdings die Bewertung der Initiative durch den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Karl-Josef Laumann, der ausführte:
„Von der Initiative profitieren zudem die Unternehmen, die unbürokratischere Möglichkeiten zur Deckung des Fachkräftebedarfs erhalten. Außerdem können Kommunen den ihnen zugewiesenen jungen Geflüchteten Wege aufzeigen, ihren Lebensunterhalt selbständig zu sichern – unabhängig von Transferleistungen.“ 10
Ungeklärt bleibt bei dieser Bewertung insbesondere die Frage nach dem konkreten Arbeitskräftebedarf im vermutlich eher unteren Lohnsegment. Hier gibt es zudem bereits eine erhebliche Konkurrenz durch heimische Arbeitskräfte, aber auch durch Unionsbürger, die im Rahmen der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit nach NRW kommen, durch Arbeitskräfte, die im Rahmen der Westbalkanregelung in NRW tätig werden oder rein faktisch auch durch außereuropäische Zuwanderer auf Grundlage des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes.
So besteht in den Ballungsräumen, insbesondere im Ruhrgebiet mit Städten wie Gelsenkirchen, Duisburg, Herne oder Dortmund ein erhebliches, bisher nicht ausgeschöpftes Arbeitskräftepotential von Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die teils bereits seit Generationen unter uns leben. Das betrifft teilweise auch Gastarbeiter der zweiten oder dritten Generation – darunter zahlreiche EU-Bürger.
Mit Stand Februar 2022 gab es 663.530 Arbeitslose in NRW, darunter 131.632 Bürger aus europäischen Herkunftsländern. Die Top-5-EU-Herkunftsländer – mit zusammen 45.638 Personen – sind hierbei Bulgarien, Polen, Italien, Rumänien und Griechenland. Weitere 46.513 Personen waren türkischer und 8.350 Personen serbischer Herkunft.11 Auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit zeigt, wie groß das bisher ungenutzte Potential für den Arbeitsmarkt ist. NRW-weit betrug die Arbeitslosenquote bei den 15-25-Jährigen im Jahre 2021 5,8 %.12
Für all diese Gruppen generiert die Landesregierung, mit unverhältnismäßig hohem finanziellem Einsatz, als Nebeneffekt der Initiative zusätzliche vermeintliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.
II. „Fit4Return“ statt „Gemeinsam klappt´s“
Mit Stand vom 31. Dezember 2021 befanden sich 73.926 ausreisepflichtige Personen in NRW, davon 64.176 Personen mit einer Duldung.13 14.240 ausreisepflichtige Personen (19,26 %) stammten aus Bosnien-Herzegowina, Serbien, Albanien, Kosovo oder Nordmazedonien, allesamt sichere Herkunftsstaaten gemäß § 29a Asylgesetz. Zumindest in diesen Fällen stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Notwendigkeit bzw. Berechtigung von Ausbildungsmaßnahmen, da es insbesondere mit der Westbalkanregelung eine legale Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme in Deutschland gibt.
Auch in anderen Fällen gilt es den konkreten Bedarf im Einzelfall zu ermitteln, um die Personen zielgerichtet und den Umständen nach angemessen bei ihrer Rückkehr zu unterstützen. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, Unterstützungsleistungen an eine freiwillige Ausreise zu koppeln, welche einer zwangsweisen Abschiebung immer vorzuziehen ist.
Es gilt Perspektiven zu eröffnen, die zu einer hoffnungsvollen Rückkehr in die Heimatländer animieren, und bei Bedarf Fähigkeiten zu vermitteln, die der Heimatregion angepasst sind. Angepasste Qualifikationen sind als Einstieg in die Berufstätigkeit und Grundversorgung in den Heimatländern geeignete Maßnahmen zur Festigung der eigenen Existenz und stellen zugleich einen wertvollen Beitrag zur Zivilgesellschaft in den Herkunftsländern dar.14
Die „Spurwechsel-Politik“ der Landesregierung täuscht im Gegensatz dazu insbesondere Personen, die formal zur Ausreise verpflichtet sind, mit falschen Perspektiven und weckt falsche Hoffnungen. Auszunehmen von der Landesinitiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ sind ausnahmslos momentan lediglich gestattete Personen, da die Entscheidung des BAMF noch aussteht und deren weitere Einstufung (schutzberechtigt bzw. ausreisepflichtig) somit noch ungeklärt ist.
III. Der Landtag stellt fest,
- dass bei der Landesinitiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ Zielrichtung und Zielgruppe nicht zusammenpassen;
- dass die Landesinitiative eindeutig nicht dazu beitragen kann, einen etwaigen Fachkräftemangel in einzelnen Branchen entscheidend zu lindern;
- dass eine qualifizierte, berufsspezifische Vorbereitung auf die Rückkehr in das jeweilige Herkunftsland der Ausreisepflichtigen sowohl zum Nutzen der Rückkehrer als auch zum Nutzen des jeweiligen Herkunftslandes wäre und
- dass es ein bereits bestehendes erhebliches, bisher ungenutztes Arbeitskräftepotential in NRW gibt.
IV. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- die Landesinitiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ zwar abschließend, bis zum Ende des Umsetzungszeitraums am 30. Juni 2023, fortzuführen, allerdings dahingehend umzugestalten , dass die Zielgruppe zukünftig grundsätzlich auf die (bereits jetzt vorrangige) Gruppe der ausreisepflichtig Geduldeten beschränkt wird;
- die Transparenz dadurch zu erhöhen, dass beim Einstieg in das Programm konsequent erfasst bzw. nach Möglichkeit nacherfasst wird, ob die Teilnehmer bereits einer Beschäftigung oder Ausbildung nachgehen, da sich nur so der Erfolg der Maßnahme effizient messen lässt;
- sich in Abstimmung mit der Bundesregierung aktiv und auf allen Ebenen für eine Beseitigung von Abschiebehindernissen einzusetzen;
- den Fokus der Landesinitiative bis zum Ende des Umsetzungszeitraums primär auf eine Vorbereitung der Rückkehr, ausreisepflichtiger Personen in die jeweiligen Herkunftsländer zu richten („Fit4Return“);
- zu prüfen inwiefern Rückkehrprojekte analog zur „Brückenkomponente Albanien“ auch verstärkt aus Landesmitteln gefördert werden können, um die Akzeptanz der freiwilligen Rückkehr weiter zu erhöhen;
- das konkrete Erfordernis für unterstützende Maßnahmen im Einzelfall zu ermitteln, um die beschränkten Ressourcen zielgerichtet einsetzen zu können und
- sich bei Arbeitsmarktprogrammen mit einer der Landesinitiative „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ vergleichbaren Zielrichtung zukünftig auf Personen mit einem dauerhaften Bleiberecht, hier insbesondere auch auf arbeitsuchende bzw. arbeitslose Bürger aus EU- oder EFTA-Ländern, zu konzentrieren.
Dr. Martin Vincentz
Christian Loose
Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/15160
2 90 Prozent der Teilnehmer sind geduldet bzw. gestattet und im Durchschnitt 23,8 Jahre alt. (Vgl. Lt.-Vorlage 17/5854)
3 Ebenda
4 Vgl. Lt.-Vorlage 17/4367
5 Vgl. Lt.-Vorlage 17/5854
6 Vgl. Lt.-Vorlage 17/4367; S. 11
7 Vgl. Lt.-Vorlage 17/4672; S. 2
8 Vgl. Lt.-Vorlage 17/4672; S. 3
9 Vgl. Lt.-Drucksache 17/15299
10 Vgl. https://www.durchstarten.nrw/
13 Vgl. Lt.-Vorlage 17/6541
14 Vgl. Lt.-Drucksache 17/3021