Kleine Anfrage 4075
der Abgeordneten Dr. Martin Vincentz und Enxhi Seli-Zacharias AfD
Ausbreitung der Droge Fentanyl jetzt auch in NRW? Wie begegnet die Landesregierung der Gefahr?
Wie aus einem Bericht des WDR hervorgeht, taucht die Droge Fentanyl neuerdings auch in NRW auf. Das ergaben Schnelltests in Drogenkonsumräumen in Düsseldorf, Wuppertal und Münster. Weiter heißt es: „Experten gehen davon aus, dass die Zahlen in Zukunft weiter steigen werden. Denn nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan sinkt dort die Heroinproduktion. Davon ist auch Deutschland betroffen, das Angebot wird kleiner. Bei der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA geht man davon aus, dass viele Konsumenten deshalb umsteigen könnten – auf synthetische Opioide wie Fentanyl.“1
Der Ursprung der Droge war der Missbrauch des Schmerzmittels OxyContin des Unternehmens Purdue Pharma in den USA. Begleitet durch ein aggressives Marketing wurden Opioide auch bei alltäglichen, lediglich vorübergehenden Schmerzen verschrieben. Bei vielen Patienten stellte sich eine gefährliche Abhängigkeit ein. Ohne Rezept stiegen in der Folgezeit viele Betroffene auf die auf dem Schwarzmarkt illegal erhältlichen, kostengünstigen Opioide Heroin (Diacetylmorphin) und Fentanyl um.2 „Das Center for Disease Control and Prevention CDC verzeichnete allein im Jahr 2021 107.000 Drogentote in den USA, wovon 71.000 an synthetischen Opioiden starben – in den meisten Fällen also an Fentanyl.“3 Ein Überschwappen der Droge auf Deutschland wäre folglich mit erheblichen Gefahren verbunden.
„Fakt ist, dass Fentanyl bereits in Europa ist, extrem potent ist und als unmittelbare Bedrohung behandelt werden muss“, sagte Jürgen Stock, Generalsekretär von Interpol, WELT AM SONNTAG. Es sollte zur Regel werden, alle Beschlagnahmungen systematisch auf Fentanyl zu überprüfen – dies sei eine der Lektionen, die Europa von den USA lernen könne. „Selbst kleine Mengen dieser Droge können für die Konsumenten tödlich sein, aber gleichzeitig sehr profitabel für die kriminellen Netzwerke, die hinter dem Vertrieb stehen“, warnt Stock.4 Laut Interpol wird Fentanyl in allen Regionen der Welt, einschließlich Europa, vertrieben oder hergestellt. Laut Recherchen der WELT sind im Jahr 2022 in Deutschland 1.990 Menschen an Drogen verstorben, bei 73 von ihnen gab es eine Vergiftung mit Fentanyl, teils gemischt mit anderen Drogen.5
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Drogentote gab es in den Jahren 2015 bis 2023 sowie im ersten Halbjahr 2024 in NRW? (Bitte differenziert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit listen)
- Wie viele dieser Todesfälle standen nach Kenntnis der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Konsum von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden? (Bitte differenziert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit listen)
- In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2015 bis 2023 sowie im ersten Halbjahr 2024 in NRW bei (Schnell-)Tests, u. a. in Drogenkonsumräumen, Spuren von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden festgestellt? (Bitte differenziert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit listen)
- Was unternimmt die Landesregierung gegen die illegale Einfuhr von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden oder deren chemischen Bestandteilen sowie gegen eine Herstellung der Droge in NRW?
- Was unternimmt die Landesregierung gegen einen Missbrauch von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden, die eigentlich ausschließlich als schweres Schmerzmittel z. B. für Krebspatienten dienen sollen?
Dr. Martin Vincentz
Enxhi Seli-Zacharias
1 Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/fentanyl-droge-deutschland-100.html
2 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Opioidkrise_in_den_Vereinigten_Staaten
3 https://www1.wdr.de/nachrichten/fentanyl-droge-deutschland-100.html
5 Ebd.
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4075 mit Schreiben vom 5. August 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Inneren beantwortet.
- Wie viele Drogentote gab es in den Jahren 2015 bis 2023 sowie im ersten Halbjahr 2024 in NRW? (Bitte differenziert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit listen)
Die Zahl der Drogentoten für das erste Halbjahr 2024 liegt noch nicht qualitätsgesichert vor. Die differenzierten Daten zu den Drogentoten in den Jahren 2015 bis 2023 sind der Anlage 1 zu entnehmen.
- Wie viele dieser Todesfälle standen nach Kenntnis der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Konsum von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioi-den? (Bitte differenziert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit listen)
Die erbetenen Daten sind der Anlage 2 zu entnehmen.
- In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2015 bis 2023 sowie im ersten Halbjahr 2024 in NRW bei (Schnell-)Tests, u. a. in Drogenkonsumräumen, Spuren von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden festgestellt? (Bitte differenziert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit listen)
Bis zum Inkrafttreten des § 10b des Betäubungsmittelgesetzes im Juli 2023 bestand keine bundesgesetzliche Grundlage für die Durchführung von Drug-Checking-Angeboten. Somit konnten bis dahin keine Testungen durchgeführt werden. Im Übrigen wird auf den Bericht der Landesregierung in der 29. Sitzung des Innenausschusses (Vorlage 18/2383) verwiesen.
- Was unternimmt die Landesregierung gegen die illegale Einfuhr von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden oder deren chemischen Bestandteilen sowie gegen eine Herstellung der Droge in NRW?
Grundlegende Erkenntnisse über die Herkunft oder mögliche Täterinnen und Täter im Zusammenhang mit der Herstellung und dem illegalen Handel mit Fentanyl liegen der Landesregierung, auch aufgrund der legalen Verfügbarkeit als Medikament, nicht vor.
Für die Herstellung von Fentanyl werden Chemikalien – sogenannte Grundstoffe – benötigt, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln missbraucht werden und dem Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen (Grundstoffüberwachungsgesetz – GÜG) unterliegen. Nach diesem Gesetz ist jeglicher Umgang – wie etwa der Handel, die Ein- und Ausfuhr, der Besitz, der Transport oder die Herstellung – mit Grundstoffen verboten, die zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden sollen. Verstöße gegen dieses Verbot stellen Straftaten nach dem GÜG dar. Eine wichtige Säule der Bekämpfung dieser Be-täubungsmittelkriminalität ist daher die Grundstoffüberwachung.
Neben der Gemeinsamen Grundstoffüberwachungsstelle des Zollkriminalamtes und des Bundeskriminalamtes ist auch beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen ein Teildezernat eingerichtet, welches für die Bearbeitung von verdächtigen Vorgängen im Zusammenhang mit Grundstoffen zuständig ist.
Die Polizei Nordrhein-Westfalen verfolgt bei der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem neben Maßnahmen der Kriminalprävention auch die konsequente Anwendung repressiver Maßnahmen eine hohe Bedeutung hat. Eine wirksame Reduzierung des Angebots illegaler Drogen lässt sich vor allem mit der Bekämpfung des organisierten Betäubungsmittelhandels erreichen. Hierbei spielt aufgrund der geografischen Lage und der Erkenntnis, dass Betäubungsmittel regelmäßig auf dem Seeweg nach Europa verschifft werden, die internationale Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit mit den Zoll-fahndungsdienststellen eine herausragende Rolle.
Auch die Bekämpfung des gewerbsmäßigen Straßen- und Kleinhandels sowie die Erschwerung des Erwerbs von illegalen Suchtstoffen zum Konsum hat hohe Bedeutung.
- Was unternimmt die Landesregierung gegen einen Missbrauch von Fentanyl oder anderen synthetischen Opioiden, die eigentlich ausschließlich als schweres Schmerzmittel z. B. für Krebspatienten dienen sollen?
Die Landeskampagne „Sucht hat immer eine Geschichte“ bildet den Kern der nordrhein-westfälischen Strategie zur Suchtvorbeugung. Der Leitsatz „Sucht hat immer eine Geschichte“ steht für die ursachenorientierte Sucht- und Drogenpolitik des Landes, die nicht das einzelne Suchtmittel im Vordergrund sieht. Das heißt, der Ansatz der Präventionsarbeit in Nordrhein-Westfalen ist suchtmittelübergreifend. Hierdurch soll für die Gefährdung durch sowohl legale wie illegale Suchtstoffe, aber auch durch Verhaltenssüchte sensibilisiert werden und gleichzeitig Optionen für ein suchtfreies Leben aufgezeigt werden.
Darüber hinaus werden für bestimmte Zielgruppen spezielle Aktionen und Maßnahmen angeboten. Hierzu gehört auch das Modul „Stark bleiben. Suchtfrei alt werden“ der Landeskam-pagne. Ziel dieses Moduls ist es, den bewussten Umgang mit (verschreibungspflichtigen) Medikamenten zu fördern. Schwerpunktmäßig richtet sich das Modul an Erwachsene im fortgeschrittenen und Rentenalter, aber auch an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Pflege, medizinischen Versorgung und Suchthilfe. Besonders hervorzuheben ist der Fokus auf im Alter häufig verschriebene Medikamente mit erhöhtem Abhängigkeitspotenzial. Dazu gehören zum Beispiel Benzodiazepine, Opiate und auch Psychopharmaka.
Polizeiliche Prävention der Betäubungsmittelkriminalität zielt insbesondere darauf ab, delinquentes Verhalten in Form von Erwerb, Besitz oder Konsum illegaler Betäubungsmittel zu verhindern. Daneben ist es Ziel der Polizei, die Begehung von Straftaten unter Einfluss von legalen und illegalen Drogen zu verhindern bzw. zu reduzieren. Dies stellt ein gesamtgesellschaftliches Ziel dar. Hauptzielgruppe ist aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit weiterhin die Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Dabei findet vor allem der Jugendschutz im Rahmen der polizeilichen Präventionsarbeit Berücksichtigung.
Die spezifischen Erkenntnisse zur Prävention der Rauschgiftkriminalität für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen vermittelt die Polizei vorrangig an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wie Eltern und Lehrkräfte und erhöht dadurch deren Sach- und Handlungskompetenz.
Darüber hinaus informiert die Polizei Nordrhein-Westfalen z. B. auch im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit über rechtliche Aspekte, Verbreitungswege und Konsequenzen der Betäu-bungsmittelkriminalität. Sie unterstützt die originär zuständigen Präventionsträger, um die Entstehung von Sucht und möglicherweise damit verbundene Straftaten zu verhindern. Die Kriminalkommissariate Kriminalprävention und Opferschutz (KK KP/O) der Kreispolizeibehörden fördern auf kommunaler bzw. bezirklicher Ebene die Zusammenarbeit insbesondere mit Schulen, Einrichtungen der Suchtprävention und Suchthilfe sowie Gesundheits- und Jugendämtern. Sie wirken in kriminalpräventiven Gremien und Netzwerken der Sucht- und Drogenprävention mit. Zu den Kooperationspartnern gehört u. a. die Suchtkooperation Nordrhein-Westfalen. Die Polizei Nordrhein-Westfalen tauscht sich regelmäßig eng mit den Kooperationspartnern aus, um frühzeitig Phänomene und Trends zu erkennen und diesen durch gezielte Präventions-maßnahmen gemeinsam entgegenwirken zu können.
Zwischen dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen und den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern der KK K/PO der 47 Kreispolizeibehörden findet ein regelmäßiger Austausch in Form von Dienstbesprechungen zu aktuellen Themen der Kriminalprävention im Zusammenhang mit Rauschgiftkriminalität statt.
Um einer möglichen Zunahme von Fentanyl und Fentanyl-Derivaten frühzeitig begegnen zu können, wurde zudem durch die Kommission Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes im Jahr 2023 die Projektgruppe „Drogenprävention mit Schwerpunkt auf NPS“ eingerichtet. Zu den NPS (neue psychoaktive Stoffe) zählen u.a. Fentanyl-Derivate. Zu den derzeit geplanten Maßnahmen der Projektgruppe zählen auch das Monitoring des Phänomens, Sensibilisierung und Aufklärungsarbeit sowie Social-Media-Kampagnen.