Kleine Anfrage 6231der Abgeordneten Iris Dworeck-Danielowski und Dr. Martin Vincentz vom 15.12.2021
Auslastung der Kinder- und Jugendpsychiatrien in NRW
Am Ende des zweiten Jahres, das von den Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus außerordentlich geprägt ist, beklagen viele Experten weiter die extremen Belastungen von Kindern und Jugendlichen. Die Maßnahmen zum Infektionsschutz haben einen gravierend schlechten Einfluss auf die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Als Folge weisen sie unter anderem deutlich weniger Sprachkompetenzen auf, leiden häufiger an Adipositas oder leiden unter Problemen beim Aufbau von neuen Beziehungen. Hauptursachen sind die fehlenden sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen und die mangelnde Bewegung während den Lockdowns der vergangenen Jahre.1
Dieser Rückgang an sozialen Beziehungen verstärkt die Einsamkeit und führt zu Motivations- und Konzentrationsproblemen. Zudem ist der Drogenmissbrauch unter Jugendlichen während der Corona-Zeit angestiegen. Oftmals werden Medikamente in Kombination mit Alkohol und Cannabis eingenommen, dessen Konsum vor allem im Jugendalter die Gehirnentwicklungen schädigen kann. Kinder- und Jugendpsychiater warnen vor Hirnschädigungen selbst durch nur gelegentlichen Cannabis-Konsum, ganz abgesehen von dem möglichen Verfall in eine Sucht.2 Darüber hinaus beklagen die Therapeuten einen neuerlichen Medikamentenmissbrauch von Benzodiazepinen bei Jugendlichen. Die deutlich höheren Bildschirm- und Online-zeiten sind für die Kinder- und Jugendärzte ebenfalls besorgniserregend. Folglich ist die Nachfrage an Therapieplätzen in Kinder- und Jugendpsychiatrien im Jahr 2021 gestiegen – in einer Berliner Kinder- und Jugendpsychiatrie sogar um rund 30 Prozent.3
Auch in Bayern ist die Lage dramatisch. Denn hier nehmen sowohl die Nachfrage nach Therapieplätzen als auch die Aufnahme von Notfällen immer weiter zu. Mittlerweile müssen psychisch kranke Kinder mit mehreren anderen Kindern gemeinsam auf Matratzen auf dem Boden schlafen. In Stoßzeiten gab es 15 Notfälle in nur 24 Stunden. Als Folge müssen Kinder und Jugendliche verlegt oder früher als geplant entlassen werden, ohne den vollen Umfang der Therapie in Anspruch nehmen zu können.
Das Problem der fehlenden Betten, nicht nur in Bayern und Berlin, sondern in ganz Deutschland, ist bereits länger bekannt.4 Denn bereits vor Beginn der Corona-Zeit zeigte eine Studie der BARMER Krankenkasse5, dass sich psychotherapeutische Behandlungen in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben.
Kinder und Jugendliche mit psychischen Vorbelastungen sind besonders gefährdet unter den Eindämmungsmaßnahmen Schaden zu nehmen. Die zur Verfügung stehenden Kapazitäten sind offensichtlich nicht ausreichend und die Kliniken an ihrer Belastungsgrenze angekommen. So warnt auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin vor
„Corona-bedingten psychologischen Belastungen und damit vor einer Zunahme von psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien im Land sind überfüllt und neue Patienten können nur bei sehr schwerer Erkrankung oder nach langer Wartezeit aufgenommen werden“.6
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
- Wie viele stationäre Plätze im Rahmen kinder- und jugendpsychiatrischer Einrichtungen zur Akutbehandlung gibt es in NRW? (Bitte für die Jahre 2017 bis 2021 aufschlüsseln)
- Wie hoch ist die Auslastung der verfügbaren stationären Akut-Plätze in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen in NRW? (Nitte für die Jahre 2017 bis 2021 aufschlüsseln)
- Wie viele Kinder- und Jugendpsychiater sind in NRW niedergelassen? (Bitte für die Jahre 2017 bis 2021 und nach Kommune aufschlüsseln)
- Wie viele Psychotherapeuten (mit Kassenzulassung) mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugend-Psychotherapie sind in NRW niedergelassen? (Bitte für die Jahre 2017 bis 2021 aufschlüsseln)
- Wie hoch ist die durchschnittliche Wartezeit, um als neuer Patient in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung aufgenommen zu werden?
Iris Dworeck-Danielowski
Dr. Martin Vincentz
1 https://www.deutschlandfunkkultur.de/kinder-corona-impfung-102.html
3 https://www.inforadio.de/dossier/2021/coronavirus/interviews/584930.html
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 6231 mit Schreiben vom 7. Januar 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet.
- Wie viele stationäre Plätze im Rahmen kinder- und jugendpsychiatrischer Einrichtungen zur Akutbehandlung gibt es in NRW? (Bitte für die Jahre 2017 bis 2021 aufschlüsseln)
- Wie hoch ist die Auslastung der verfügbaren stationären Akut-Plätze in kinder-und jugendpsychiatrischen Einrichtungen in NRW (Nitte für die Jahre 2017 bis 2021 aufschlüsseln)
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Zur Angabe der Auslastungsdaten für die Jahre 2017 bis 2019 wurde die Krankenhausstatistik ausgewertet. Für das Jahr 2020 sind die von 13 Krankenhäusern für den teilstationären bzw. 14 Krankenhäusern für den vollstationären Bereich gelieferten Daten ausgewertet worden.
Jahr |
kinder- und jugendpsychiatrisches Versorgungsan- gebot lt. Feststellungsbe- scheiden |
Auslastung der beste-henden Angebote |
||
vollstatio- näre Betten | teilstatio- näre Plätze | vollstatio-näre Betten | teilstationäre Plätze | |
2017 | 1.187 | 709 | 88,1* | 93,9* |
2018 | 1.197 | 735 | 89,0* | 82,2* |
2019 | 1.197 | 736 | 86,3* | 82,1* |
2020 | 1.213 | 728 | 76,0** | 79,2*** |
2021 | 1.218 | 758 | Daten liegen nicht vor | Daten liegen nicht vor |
* lt. Krankenhausstatistik ** Angaben von 14 Krankenhäusern *** Angaben von 13 Krankenhäusern
- Wie viele Kinder- und Jugendpsychiater sind in NRW niedergelassen? (Bitte für die Jahre 2017 bis 2021 und nach Kommune aufschlüsseln)?
Für die Beurteilung der vertragsärztlichen Versorgungssituation werden entsprechend der Be-darfsplanungs-Richtlinie die jeweiligen Planungsbereiche als Grundlage verwendet. Bei den Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und Kinder- und Jugendpsychiatern sind aufgrund der Zuordnung zur spezialisierten fachärztlichen Versorgung die sogenannten Raumordnungsregio-nen maßgeblich. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Aufschlüsselung der Daten für die Kinder-und Jugendpsychiaterinnen und Kinder- und Jugendpsychiater auf Grundlage der Raumord-nungsregionen und ausschließlich bezogen auf die vertragsärztliche Versorgung (ohne rein privatärztlich niedergelassene Leistungserbringer):
Westfalen Lippe | Anzahl vertragsärztlicher Kinder- und Ju-gendpsychiater (Vollzeitäquivalent) | ||||
Raumordnungs-region | Jahr 2017 | Jahr 2018 | Jahr 2019 | Jahr 2020 | Jahr 2021 |
Arnsberg | 5 | 5 | 5,5 | 6,5 | 6,5 |
Bielefeld | 14 | 14 | 12,5 | 13,5 | 14,5 |
Bochum Hagen | 16,5 | 16 | 16 | 16 | 15,5 |
Dortmund | 12 | 11,5 | 12,75 | 13,25 | 12 |
Emscher-Lippe | 15 | 15 | 15 | 15 | 15 |
Münster | 28,75 | 28,75 | 28,75 | 28,25 | 28,75 |
Paderborn | 4,5 | 4,5 | 3,5 | 3 | 4,75 |
Siegen | 4 | 4 | 4,5 | 4,5 | 4,5 |
Nordrhein | Anzahl vertragsärztlicher Kinder- und Ju-gendpsychiater (Vollzeitäquivalent) | ||||
Raumordnungs- region | Jahr 2017 | Jahr 2018 | Jahr 2019 | Jahr 2020 | Jahr 2021 |
Aachen | 17,2 | 17,2 | 15,1 | 18,6 | 17,75 |
Bonn | 17,2 | 18,1 | 17,05 | 17,4 | 16,7 |
Duisburg/Essen | 24,05 | 24,9 | 24,5 | 27 | 28,5 |
Düsseldorf | 31 | 29,8 | 30,95 | 33,15 | 34,2 |
Köln | 41,8 | 41,8 | 41,85 | 43,7 | 44,05 |
- Wie viele Psychotherapeuten (mit Kassenzulassung) mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendpsychiatrie sind in NRW niedergelassen? (Bitte für die Jahre 2017 bis 2021 aufschlüsseln)
Entsprechend der Datenerfassung im Rahmen der Bedarfsplanung werden die Daten in Bezug auf die vertragsärztliche Versorgung unterteilt nach psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die ausschließlich Kinder- und Jugendliche behandeln (KJP) sowie ärztlichen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (ÄKJP), die ausschließlich Kinder-und Jugendliche behandeln (ÄKJP). Die Darstellung erfolgt in Vollzeitäquivalenten:
Jahr | Anzahl KJP Westfalen- Lippe | Anzahl KJP Nordrhein | Summe NRW |
2017 | 316,5 | 491 | 807,5 |
2018 | 352,25 | 502,8 | 855,05 |
2019 | 374,25 | 531,5 | 905,75 |
2020 | 401,5 | 543,5 | 945 |
2021 | 409 | 571,5 | 980,5 |
Jahr | Anzahl ÄKJP Westfalen- Lippe | Anzahl ÄKJP Nordrhein | Summe NRW |
2017 | 0 | 2,7 | 2,7 |
2018 | 0 | 1,7 | 1,7 |
2019 | 0 | 1,5 | 1,5 |
2020 | 0 | 3 | 3 |
2021 | 0,5 | 2,5 | 3 |
- Wie hoch ist die durchschnittliche Wartezeit, um als neuer Patient in einer kinder-und jugendpsychiatrischen Einrichtung aufgenommen zu werden?
Diese Frage wurde bereits mit der Antwort auf die Frage 4 der Kleinen Anfrage 6014 vom 06.10.2021 (LT-Drucksache 17/15507) des Abgeordneten Alexander Langguth und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS beantwortet.