Das Geschäft mit der Jungfräulichkeit? Hymenrekonstruktion als Geschäftsmodell in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage
vom 23.01.2024

Kleine Anfrage 3192

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Dr. Martin Vincentz AfD

Das Geschäft mit der Jungfräulichkeit? Hymenrekonstruktion als Geschäftsmodell in Nordrhein-Westfalen

„Jungfernhäutchen wiederherstellen – Der diskrete Eingriff für Ihre Reinheit“, so wirbt die Aesthetix Düsseldorf GmbH, eine Praxis für plastische Chirurgie, für einen nicht notwendigen operativen Eingriff, der nur aus kulturellen Gründen durchgeführt wird. Auf der Website der Praxis heißt es dann auch folgerichtig weiter: „Ein intaktes Jungfernhäutchen (Hymen) ist in einigen Kulturen unbedingte Voraussetzung für eine Heirat oder Partnerschaft. Ist das Hymen bereits gerissen, stellt dies Frauen und Mädchen vor ernste familiäre Probleme, da nur ein intaktes Jungfernhäutchen Reinheit bedeutet. Die operative Wiederherstellung des Jungfernhäutchens hilft Ihnen, familiäre Konflikte zu vermeiden. Wir behandeln Sie absolut anonym. Durch einen einfachen Eingriff rekonstruieren wir die anatomische Jungfräulichkeit: Damit Sie Ihre Hochzeitsnacht als Jungfrau begehen können.“1

Was hier objektiv und professionell klingt, verschleiert die hinter dem Phänomen der Hymenrekonstruktion bzw. der Hymenoplastik oftmals stehende Realität: kulturell und religiös bedingte Unterdrückungsmechanismen einer patriarchalischen Gesellschaft. Diese Strukturen sind durch die massenhafte Zuwanderung gerade aus islamisch geprägten Ländern auch nach Deutschland gekommen. Die Folgen sind erschreckend, wie jüngst die Neue Zürcher Zeitung berichtete. Wenn Frauen vor der Hochzeit nicht die notwendige Jungfräulichkeit nachweisen können, drohen ihnen Ächtung, Verstoßung und manchmal sogar der Tod. In den 2010er Jahren tötete ein Vater seine Tochter, nachdem diese mit ihrem Freund Sex vor der Ehe gehabt hatte. 2015 wurden die Eltern zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.2

Eine Verurteilung wie diese ist selten, da sich das Phänomen vor allem im Dunkelfeld abspielt und die betroffenen Frauen durch eigene Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Jungfräulichkeit proaktiv handeln, sich aber täglich massivem sozialen Druck ausgesetzt sehen. Dabei steht hinter den überkommenen Ansichten zur Jungfräulichkeit nicht einmal eine medizinische Evidenz. Wie der NZZ zu entnehmen ist, ranken sich zahlreiche Mythen um das Hymen: Es ist kein Häutchen, das den Vaginaleingang verschließt; auch blutet nur jede vierte Frau beim ersten Geschlechtsverkehr.3 Solche Mythen bestehen anscheinend auch immer noch unter medizinischem Fachpersonal.4

Die Zahl der betroffenen Frauen lässt sich nicht sicher bestimmen oder schätzen, es dürften aber Tausende sein.5 Ein Teil der Medizin hat hier ein Geschäftsmodell identifiziert, mit dem sich aus dem Leid der Frauen Kapital schlagen lässt. Werbetexte wie der oben zitierte sind eher die Regel als die Ausnahme. Ärzte, die die Rekonstruktion des Hymen durchführen, lassen sich in Sekundenschnelle durch eine Suche im Internet finden. Der Eingriff selbst schlägt dann schnell mit mehreren tausend Euro Kosten zu Buche.6 Gegenüber der NZZ gaben zahlreiche Ärzte an, dass der Großteil der so behandelten Patientinnen muslimisch sei.7

Eine klinische Studie aus Amsterdam kam dabei zu dem Ergebnis, dass nur ein Drittel der Frauen, die eine Hymenrekonstruktion vorgenommen lassen hatten, ihre Jungfräulichkeit durch einvernehmlichen Geschlechtsverkehr verloren hatten. Bei einem weiteren Drittel erfolgte der Sex nach Überredung durch ein Heiratsversprechen, wobei die Betroffenen anschließend verlassen wurden. Bei fast einem weiteren Drittel wurde der unfreiwillige Geschlechtsverkehr durch Gewalt oder Bedrohung erwirkt.8

Hierbei handelt es sich also nicht um eine rein kulturelle Befindlichkeit oder Eigenheit, sondern die systematische Bedrängung von Frauen durch patriarchalische Strukturen. Dabei schlagen nicht nur Mediziner Kapital aus der Notlage der Frauen, sondern auch Unternehmen aus der Privatwirtschaft. Sie verkaufen etwa Kapseln, die in der Hochzeitsnacht Blut imitieren sollen, damit der Bräutigam von der Jungfräulichkeit seiner Partnerin überzeugt wird.

Andere europäische Länder gehen bereits juristisch gegen die Praxis vor. In den Niederlanden und im Vereinigten Königreich soll die Hymenoplastik verboten werden. In Großbritannien und Nordirland soll außerdem das Durchführen von Jungfräulichkeitstests untersagt werden. In Dänemark erfolgte ein Verbot der Hymenrekonstruktion bereits 2019. Fraglich ist, inwieweit solche Eingriffe dauerhafte strukturelle Veränderungen anstoßen können.9

Wir fragen daher die Landesregierung,

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um Frauen, die sich zu einer Hymenrekonstruktion genötigt sehen, zu helfen?
  2. Wie steht die Landesregierung zu einem Verbot der Hymenoplastik?
  3. Liegen der Landesregierung Zahlen zur Häufigkeit der Hymenoplastik in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen fünf Jahren vor? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Alter der Patientin, Ort, Staatsbürgerschaft)
  4. Findet die beschriebene Problematik Niederschlag in der Arbeit des Frauenhilfenetzes Nordrhein-Westfalen?

Enxhi Seli-Zacharias
Dr. Martin Vincentz

 

MMD18-7850

 

1 https://www.aesthetix.de/jungfernhaeutchen-wiederherstellen-duesseldorf.

2 https://www.nzz.ch/gesellschaft/hymenrekonstruktionen-das-geschaeft-mit-der-jungfraeulichkeit-ld.1725869.

3 Ebd.

4 https://www.profamilia.de/fileadmin/dateien/fachpersonal/familienplanungsrundbrief/pro_familia_medizin_1-2013_WEB.pdf.

5 Wild, Verina/Poulin, Hinda/Biller-Andorno, Nikola, Rekonstruktion des Hymen. Zur Ehtik eines tabuisierten Eingriffs, in: Deutsches Ärzteblatt 106/8 (2009), S. A340–341 und A1, hier A340.

6 Ebd.

7 https://www.nzz.ch/gesellschaft/hymenrekonstruktionen-das-geschaeft-mit-der-jungfraeulichkeit-ld.1725869.

8 Ebd., S. 3–4.

9 https://www.qiio.de/das-geschaeft-mit-der-jungfraeulichkeit-die-unsichtbare-macht-des-patriarchats/.


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 3192 mit Schreiben vom 1. März 2024 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um Frauen, die sich zu einer Hy-menrekonstruktion genötigt sehen, zu helfen?

Die Landesregierung plant derzeit keine spezifischen Maßnahmen.

  1. Wie steht die Landesregierung zu einem Verbot der Hymenoplastik?

Eine Zuständigkeit für ein Verbot der Hymenoplastik besteht auf Landesebene nicht. Die Lan­desregierung verfolgt die Debatte um ein Verbot der Hymenoplastik dennoch sehr aufmerk­sam. Sie teilt die Kritik am Mythos eines „Jungfernhäutchens“, das – so die gängige, aber fal­sche Vorstellung – die Vagina verschließt und beim ersten Geschlechtsverkehr reißt, was durch eine Blutung sichtbar wird. In einigen Kulturen ist die „Jungfräulichkeit“ einer Braut, be­wiesen durch ein blutiges Bettlaken nach der Hochzeitsnacht, eine wichtige Voraussetzung für eine Eheschließung. Eine Hymenoplastik scheint für einige Frauen eine Möglichkeit zu sein, diese Bedingung der „Jungfräulichkeit“ zu erfüllen.

Die Hymenoplastik ist somit ein ethisch umstrittener Eingriff. Ärzte und Ärztinnen, die mit die­sem Anliegen konfrontiert werden, geraten in den Konflikt, einerseits eine Frau einem unnöti­gen Eingriff auszusetzen und zur Aufrechterhaltung von Mythen und frauenfeindlichen Haltun­gen beizutragen, andererseits aber damit schwerwiegende negative Konsequenzen für die nachfragende Frau vermeiden zu können.

In Fachkreisen wird ein Verbot der Hymenoplastik überwiegend als der falsche Ansatz gese­hen, den Mythos der „Jungfräulichkeit“ zu bekämpfen. Als zielführender gilt Bildungsarbeit und Sensibilisierung, um falsche Annahmen über die Existenz und Aussagekraft eines „Jungfern­häutchens“ aufzuklären.

  1. Liegen der Landesregierung Zahlen zur Häufigkeit der Hymenoplastik in Nord­rhein-Westfalen in den vergangenen fünf Jahren vor? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Alter der Patientin, Ort, Staatsbürgerschaft)

Der Landesregierung liegen hierzu keine Zahlen oder weiterführende Informationen vor.

  1. Findet die beschriebene Problematik Niederschlag in der Arbeit des Frauenhilfe-netzes Nordrhein-Westfalen?

Nordrhein-Westfalen verfügt über eine gut ausgebaute Frauenhilfeinfrastruktur. Das Land för­dert zwei Fachberatungsstellen gegen Zwangsheirat, die Opfern von Zwangsheirat spezifische Beratung und Unterstützung anbieten. Auch in den landesgeförderten 62 allgemeinen Frauen­beratungsstellen und den 56 Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt finden Frauen qualifizierte und kultursensible Beratung und Hilfe in allen Belangen, mit denen insbesondere gewaltbetroffene Frauen sich um Beratung und Unterstützung an sie wenden, u. a. auch zum Thema Sexualität.

 

MMD18-8357