Ein Fall für die Daseinsvorsorge? Wenn man sich den Strom nicht mehr leisten kann: Bleibt für Bürger in Nordrhein-Westfalen dann nur ein Leben wie im Mittelalter?

Kleine Anfrage
vom 21.02.2018

Kleine Anfrage 799
der Abgeordneten Dr. Martin Vincentz und Iris Dworeck-Danielowski AfD

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Die „Welt-Online“ vom 23. Januar 2018 berichtet, dass im Jahr 2016 rund 72.000 Haushalten in Nordrhein-Westfalen die Energieversorgung gesperrt wurde.

Ursache war zumeist, dass diese Haushalte mit der Bezahlung der gerade in den letzten Jahren durch eine verfehlte Energiepolitik extrem gestiegenen Strompreise finanziell überfordert waren. Besonders betroffen sind von Stromsperren erfahrungsgemäß Empfänger von Sozialleistungen.

Wird der Strom einmal abgesperrt, schaffen es die Betroffenen kaum mehr aus der Kosten-und Schuldenspirale gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen hinaus, da zum Zeitpunkt der erfolgten Sperrung bereits oft hohe Rückstände aufgelaufen sind.

Energie gehört wie Wasserversorgung und andere Güter des unmittelbaren Lebensbedarfs letztlich politisch zum Bereich der grundgesetzlich hervorgehobenen Daseinsvorsorge, in der der Staat und insbesondere die Kommunen in besonderer Verantwortung stehen.

Die Stadt Menden hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem dortigen Sozialamt und dem Jobcenter ein Projekt in Planung, das sicherstellen und helfen will, dass Haushalte von Sozialhilfeempfängern gar nicht erst in diese Notsituation geraten.

Quellen:

https://www.welt.de/regionales/nrw/article172718739/Fruehwarnsystem-in-Menden-Sozialhilfeempfaenger-sollen-vor-Stromsperren-bewahrt-werden.html

Vor diesem Hintergrund fragen wir daher die Landesregierung:

  1. Was hat die Landesregierung bisher unternommen, um im Sinne der Daseinsvorsorge eine Versorgung mit elektrischer Energie für finanziell schwächere Haushalte zu gewährleisten?
  2. Sieht es die Landesregierung auch als ihre Aufgabe an, Hilfestellungen zu geben, dass finanziell schwächere Bürger in Nordrhein-Westfalen – insbesondere in Haushalten mit kleinen Kindern – vor Stromsperren weitestgehend geschützt werden?
  3. Wie beurteilt die Landesregierung die Bemühungen, ein kommunales Frühwarnsystem zu installieren, das künftig Stromsperren zu vermeiden hilft?
  4. Wird die Landesregierung künftig bestrebt sein, sich bei der Entwicklung und landesweiten Umsetzung solcher Frühwarnsysteme selbst konkret einzubringen?
  5. Gibt es darüber hinaus Überlegungen der Landesregierung, der wachsenden Überforderung von Stromkunden gegenzusteuern, z.B. durch ein Engagement gegen die verfehlte Energiewende und eine Stärkung der heimischen Braunkohle über den Bundesrat?

Dr. Martin Vincentz

Iris Dworeck-Danielowski

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 799 im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und der Mi­nisterin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen wie folgt:

  1. Was hat die Landesregierung bisher unternommen, um im Sinne der Daseinsvorsorge eine Versorgung mit elektrischer Energie für finanziell schwächere Haushalte zu gewährleisten?
  2. Sieht es die Landesregierung auch als ihre Aufgabe an, Hilfestel­lungen zu geben, dass finanziell schwächere Bürger in Nordrhein-Westfalen — insbesondere in Haushalten mit kleinen Kindern — vor Stromsperren weitestgehend geschützt werden?

Die Fragen 1 und 2 werden auf Grund ihres Sachzusammenhangs ge­meinsam beantwortet.

Die Landesregierung setzt sich für eine sichere Energieversorgung ein, die für alle Verbraucherinnen und Verbraucher des Landes Nordrhein-Westfalen bezahlbar ist. Der Schutz eines jeden Verbrauchers ist dabei ein besonderes Anliegen der Landesregierung. Mittels verbraucherpoli­tischer Initiativen, Impulse und Beratungsangebote soll die Finanzkom­petenz der Verbraucherinnen und Verbraucher — darunter fallen insbe­sondere auch die einkommensschwachen Haushalte — gestärkt werden.

Diesem Vorhaben trägt die Landesregierung Rechnung, indem sie mit der finanziellen Unterstützung des Projektes „NRW bekämpft Energie­armut“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen einen wesentli­chen Beitrag zur Vermeidung von Stromsperren leistet. Als Modellvor­haben in 2012 mit damals acht Energieversorgungsunternehmen ge­startet, bietet die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen aktuell in Kooperation mit nunmehr 15 Energieversorgungsunternehmen an 13 Standorten in Nordrhein-Westfalen (Aachen, StädteRegion Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Duisburg, Ennepe-Ruhr-Kreis, Gelsenkir-chen/Bottrop, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Velbert und Wuppertal) einkommensschwachen Haushalten eine kostenlose Rechts- und Bud­getberatung an. Die wirtschaftliche und rechtliche Beratung der Ver­braucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird zudem kombiniert mit einer Energieberatung der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) oder mit dem Stromspar-Check der Caritas in Nordrhein-Westfalen. Ziel ist es, gegen Energiearmut präventiv vorzugehen und den von Stromsper­ren bedrohten Verbraucherinnen und Verbrauchern eine kompetente Anlaufstelle zur Seite zu stellen, die die betroffenen Haushalte beratend an die Hand nimmt und ihnen bei einer schnellen Problemlösung mit den Energieversorgern und Sozialleistungsträgern hilfreich zur Seite steht.

Der ganzheitliche Beratungsansatz sowie die komplexen Problemlagen der Verbraucher erforderten insgesamt mehr als 11.900 Beratungster­mine. Im Rahmen dieses Projektes konnten bis zum 31.12.2017 rund 4.800 Privathaushalte von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen abschließend beraten werden, davon 1.887 Haushalte mit Kindern. In dieser Zielgruppe (Haushalte mit Kindern) konnte in 89% der abge­schlossenen Fälle eine Lösung gefunden werden. Angedrohte bzw. an­gekündigte Stromsperren konnten zu 81% im Vorfeld verhindert werden und bei 65% der betroffenen Fälle konnten die bereits erfolgten Sperren wieder aufgehoben werden.

Das Landesprojekt „NRW bekämpft Energiearmut“ wurde im Jahr 2017 in einem europaweitem Wettbewerb als „Social Innovation-Projekt“ mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Die Juroren der weltweit tätigen Non-profit-Organisation Ashoka überzeugte das Angebot der Rechts- und Budget­beratung für Menschen, denen Stromsperren drohen oder die ihre Energierechnung nicht bezahlen können. Es sei beispielgebend für in­novative soziale Ansätze bei der Bekämpfung von Energiearmut.

Darüber hinaus initiierte das Wirtschaftsministerium im Mai 2011 den Gesprächskreis „Energiearmut — Umgang mit Energieschuldnern“. In ihm sind das Verbraucherschutz- und das Sozialministerium, die Ar­beitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) im Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU), die Ver­braucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die Caritas, eine Arbeitslosenini­tiative, die Universität Münster sowie viele Stadtwerke Mitglied. Viele Grundversorger sprechen sich mittlerweile bei Stromschulden im Inte­resse ihrer Kunden mit den Jobcentern oder Sozialämtern ab, damit die­se z.B. den monatlichen Abschlag übernehmen und Stromsperren erst gar nicht durchgeführt werden (müssen).

  1. Wie beurteilt die Landesregierung die Bemühungen, ein kommu­nales Frühwarnsystem zu installieren, das künftig Stromsperren zu vermeiden hilft?
  2. Wird die Landesregierung künftig bestrebt sein, sich bei der Entwicklung und landesweiten Umsetzung solcher Frühwarnsys­teme selbst konkret einzubringen?

Die Fragen 3 und 4 werden auf Grund ihres Sachzusammenhangs ge­meinsam beantwortet.

Die Landesregierung begrüßt grundsätzlich die Absicht, im Rahmen kommunaler Frühwarnsysteme unter Beteiligung von Jobcentern, Sozi­alämtern und Energiegrundversorgern, wie z.B. Stadtwerken Menden, aktiv und präventiv gegen Stromsperren vorzugehen. Grundvorausset­zung für das Gelingen eines solchen Vorhabens ist die Bereitschaft der betroffenen Kunden, einem Austausch ihrer Daten seitens der Jobcenter und Sozialämter an den Energiegrundversorger zuzustimmen.

Auch zukünftig ist es ein wichtiges Anliegen der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren Fi­nanz- und Energieeinsparkompetenzen zu stärken und sie durch kon­krete Informations- und Beratungsangebote vor Energiearmut und Stromsperren zu schützen.

  1. Gibt es darüber hinaus Überlegungen der Landesregierung, der wachsenden Überforderung von Stromkunden gegenzusteuern, z.B. durch ein Engagement gegen die verfehlte Energiewende und eine Stärkung der heimischen Braunkohle über den Bundesrat?

Die energiepolitischen Ziele „Bezahlbarkeit“ und „Versorgungssicherheit“ wurden in der Vergangenheit oftmals dem Ziel „Umweltverträglichkeit“ untergeordnet. Die Landesregierung setzt sich daher auch gegenüber dem Bund dafür ein, dass bezahlbare Energiepreise und Versorgungs­sicherheit zukünftig wieder gleichrangig mit den Zielen des Klimaschut­zes berücksichtigt werden. Für eine bezahlbare und sichere Energiever­sorgung bedarf es auch in Zukunft eines breiten Energiemixes. Fossile Strom- und Wärmeerzeugung auf Basis von Braunkohle, Steinkohle und Erdgas wird als Brückentechnologie noch auf absehbare Zeit unver­zichtbar sein, bis erneuerbare Energien in Verbindung mit Speicher­technologien in der Lage sein werden, Haushalte, Gewerbe- und Indust­riebetriebe jederzeit sicher und bezahlbar mit Energie zu versorgen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Andreas Pinkwart