Antrag
der Fraktion der AfD
Fachkräftewende schaffen: Inländische Potenziale erschließen – auslandsdeutsche Fachkräfte zurückholen
I. Ausgangslage
In der politischen Erörterung des Fachkräftemangels sticht die Forderung nach Massenzuwanderung besonders hervor. Einer simplifizierenden Auffüllungslogik folgend, wonach die jährliche Zuwanderung dem Umfang des Personalbedarfs in der Wirtschaft zu entsprechen habe, kursieren inzwischen Forderungen nach bis zu 500.000 Migranten pro Jahr. Dies entspräche bis zum Jahr 2050 einem Zuwandererkontingent von 13,5 Millionen. In dieser Größenordnung seien die demografische ‚Babyboomer‘-Lücke und der Fachkräftemangel personell zu de-ckeln. Ein Großteil würde demnach aufgrund der hiesigen Fachkräftelücke auf Nordrhein-Westfalen entfallen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2021 fehlen in Deutschland bis zum Jahr 2035 insgesamt rund 2,2, Millionen Fachkräfte. Der Mangel betrifft vor allem technische und naturwissenschaftliche Berufe sowie den Pflege-bereich1
Derlei simple Berechnungen blenden die bereits heute strapazierte – allein wohnraumtechnische – Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft sowie kulturelle und soziale Folgen eines derart großen Einschnitts in die Zusammensetzung der Bevölkerung aus. Das Migrations-Paradigma abstrahiert die reale Lebenswelt zu einer Zahlenmatrix und degradiert Menschen zu aufrechenbaren Zahlenmengen. Massenzuwanderung in der oben genannten Dimension stellt keine gesellschaftlich verträgliche und nachhaltige Lösung der Fachkräfteproblematik dar.
Die punktuell-bedarfsorientierte Zuwanderung hochqualifizierter nicht-deutscher Migranten bleibt gleichwohl eine Säule für die Fachkräftewende. Die Erschließung ‚näherliegender‘ personeller Fachkräftepotenziale muss aber Priorität haben.
Zu diesen Potenzialen zählen auf inländischer Seite der überdimensionierte Pool an jungen Menschen, die sich pro Studienjahr für die Hochschule entscheiden (in NRW ca. 100.000 pro Jahr), Studienabbrecher (ca. 30.000 bei einer 30-prozentigen Abbruchquote im Bachelorstudium), die 62.000 15- bis 25-jährigen Arbeitslosen in NRW2 bzw. das wahrscheinlich über 100.000 Personen umfassende Dunkelfeld junger Menschen ohne Beschäftigung, Ausbildung oder Trainingsmaßnahme3, die jährlich ca. 4.000 Schulabgänger ohne Abschluss sowie ehemalige Auszubildende nach Auflösung eines bestehenden Ausbildungsvertrages. Auch die ca. 300.000 Langzeitarbeitslosen in NRW bilden eine ‚stille Reserve‘ für Aus- und Weiterbildungen, die es zu erschließen gilt.
Auswärtig stellten die ca. 3,4 Millionen Auslandsdeutschen eine in der politischen Planung bisher ausgeklammerte Zielgruppe zur Fachkräfteanwerbung und -ausbildung dar. Von diesen im Ausland lebenden Deutschen sind ca. 2,7 Millionen im erwerbsfähigen Alter. 1,8 Millionen leben im europäischen Ausland, insbesondere in der Schweiz, Österreich, Frankreich und Großbritannien. Der Anteil Hochqualifizierter liegt bei 40 Prozent.4
Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus dem Jahr 2020 gibt es in Europa rund 1,5 Millionen auslandsdeutsche Fachkräfte, von denen viele bereit wären, nach Deutschland zurückzukehren.
Die Studie des BAMF untersuchte das Fachkräftepotenzial von Deutschen, die im Ausland leben und arbeiten. Dazu wurden Befragungen in ausgewählten Ländern in Europa durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass es in Europa etwa 1,5 Millionen auslandsdeutsche Fachkräfte gibt, von denen viele Interesse an einer Rückkehr nach Deutschland haben. Insbesondere in den Bereichen Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und IT sowie in der Gesundheits-und Pflegebranche gibt es ein hohes Potenzial an auslandsdeutschen Fachkräften.
Allerdings sind viele dieser Fachkräfte nicht ausreichend über die Arbeitsmarktbedingungen und Möglichkeiten in Deutschland informiert und benötigen Unterstützung bei der Rückkehr. Die Studie betont daher die Notwendigkeit gezielter Informations- und Beratungsangebote sowie einer besseren Vernetzung von Unternehmen, Verbänden und anderen Akteuren im In-und Ausland, um das Fachkräftepotenzial von auslandsdeutschen Fachkräften zu erschließen.5
Auch eine Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) mit dem Titel „Rückkehr auslandsdeutscher Fachkräfte – Potenziale nutzen, Perspektiven schaffen“ ist im Oktober 2020 veröffentlicht worden.
Die Studie basiert auf einer Befragung von insgesamt 2.754 auslandsdeutschen Fachkräften in 15 europäischen Ländern. Dabei wurden verschiedene Aspekte der Rückkehrbereitschaft und -motivation untersucht, darunter die Gründe für den Auslandsaufenthalt, die Einschätzung der beruflichen Perspektiven in Deutschland sowie mögliche Hindernisse und Unterstützungsbedarfe bei einer Rückkehr.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass mehr als eine Million Auslandsdeutsche grundsätzlich bereit wären, nach Deutschland zurückzukehren, insbesondere wenn sie bessere Karrieremöglichkeiten und eine höhere Lebensqualität erwarten können. Besonders hohe Rückkehrbereitschaft besteht demnach bei Fachkräften aus den Bereichen IT, Ingenieurwesen und Gesundheitswesen.
Die Studie kommt zudem zu dem Schluss, dass eine gezielte Ansprache und Unterstützung der potenziellen Rückkehrer sowie eine bessere Vernetzung von Unternehmen, Verbänden und anderen Akteuren im In- und Ausland dazu beitragen können, das Potenzial der auslands-deutschen Fachkräfte besser zu erschließen.6
Die gezielte Adressierung dieses sprachlich, kulturell und räumlich ebenfalls naheliegenden Fachkräftepools wird von der etablierten Politik noch immer unterlassen. Stattdessen zieht die gegenwärtige Zuwanderungspolitik vor allem gering- und nichtqualifizierte Migranten mit schlechter und kostspieliger Integrationsperspektive an.
In Summe wandern mehr Humanressourcen aus Deutschland aus als ein. Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung verfügen über drei Viertel aller deutschen Auswanderer über einen akademischen Berufsabschluss.7 Besonders deutsche Auswanderer im MINT-Be-reich kommen, wenn sie einmal im Ausland Fuß gefasst haben, tendenziell nicht mehr nach Deutschland zurück.8
Dieser sogenannte ‚Brain Drain‘ betrifft auch NRW. Seit dem Jahr 2003 verlassen jährlich durchschnittlich 11.000 mehr Deutsche NRW in Richtung Ausland, als Deutsche aus dem Ausland nach NRW zurückkehren. Der Negativsaldo lag im Vorjahr bei ca. 17.000 Personen. Bei Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ergab sich hingegen ein Plus von 70.000 Personen.9 Deutsche zog es vor allem in Nachbarländer wie die Niederlande, Österreich und die Schweiz, aber auch das Vereinigte Königreich, während die größten Zuwandererkontingente aus Rumänien, Bulgarien, Syrien, dem Irak und „unbekannt“ kamen, wie die Landesregierung auf Anfrage der AfD-Fraktion (Drs. 18/380) mitteilte.
Diese Zahlen spiegeln die Misere der bundesdeutschen Einwanderungspolitik, die – ebenso wie die schulische Bildung – über weite Strecken am Bedarf der Wirtschaft vorbeigeht.
Statt einer auf Quantität setzenden und häufig ideologisch motivierten Masseneinwanderung zur rechnerischen ‚Auffüllung‘ von Ausbildungs- und Fachkräfte-Leerstellen ist die Erschließung inhärenter Potentiale in NRW und in der leicht integrierbaren Gruppe auslandsdeutscher Hochqualifizierter in den Fokus politischer Konzepte zu stellen.
II. Der Landtag stellt fest:
- Bedarfsindifferente Massenzuwanderung ist weder ein angemessenes noch erforderliches Mittel, um die Fachkräftelücke zu schließen; hier gilt es explizit zwischen Arbeitsmigration und Fluchtmigration zu unterscheiden.
- Das Land NRW verfügt über einen Reservepool an jungen Menschen und Langzeitarbeitslosen, der für das Ziel einer Fachkräftewende zu mobilisieren ist.
- Auslandsdeutsche stellen eine natürliche Zielgruppe zur Anwerbung von Fachkräften dar, die es politisch zu adressieren gilt.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- eine interministerielle Steuerungsgruppe zu bilden, um inländische Potenziale zu identifizieren (junge Menschen ohne Beschäftigung, Ausbildung oder Trainingsmaßnahme, Langzeitarbeitslose etc.) und diese unter Einbindung der Agenturen für Arbeit personalisiert auf Aus- und Weiterbildungschancen sowie Fördermöglichkeiten anzusprechen;
- eine landesweite und medienübergreifende öffentliche Werbekampagne zu initiieren, die Personen aus der ‚stillen Reserve‘ inklusive junger Arbeitsloser adressiert und für kostenlose Beratungskontakte und geförderte Orientierungskurse bei der Arbeitsagentur NRW wirbt;
- eine Rückkehrprämie für auslandsdeutsche Hochqualifizierte in Mangelberufen einzuführen, die nachweislich länger als zwei Jahre ihren Hauptwohnsitz im Ausland hatten und eine Tätigkeit in entsprechenden Berufen nachweisen können; die Rückkehrprämie könnte als Steuernachlass über einen Zeitraum von 5 Jahren gewährt werden.
- Ein Förderprogramm zur Übersiedlung von im Ausland wohnhaften deutschen Hoch-schul-Promovenden nach NRW aufzulegen, das nach erfolgreicher Promotion die berufliche Orientierungsphase mit einer bis zu einjährigen Förderspanne begleiten soll.
Dr. Martin Vincentz
Carlo Clemens
Christian Loose
Sven Tritschler
Andreas Keith
und Fraktion
1 Institut der deutschen Wirtschaft (IW) (2021): Fachkräfteengpassanalyse 2035, IW policy paper 7/2021
2 Vgl. Bundesagentur für Arbeit. Arbeitslosigkeit und Grundsicherung im Berichtsmonat Juni 2022, S. 2.
3 Die OECD gibt für Deutschland eine NEETs-Quote (Not in Education, Employment or Training) bei 18- bis 24-Jährigen von 10 Prozent an, was übertragen auf NRW einer Anzahl von über 100.000 junger Menschen entspricht; Bildung auf einen Blick 2022: OECD-Indikatoren. Online unter: h t t p s : / / w w w . b m b f . d e / SharedDocs/Downloads/de/2022/221004-oecd-vergleichsstudie-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3.
4 Deutsche im Ausland e.V. Daten und Fakten. Zahlen zu deutschen Auswanderern. Abrufbar:
h t t p s : / / w w w . d e u t s c h e – i m – a u s l a n d . o r g / im-ausland-leben-und-arbeiten/leben-im-
ausland/daten-und-fakten.html
5 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (2020): Fachkräftepotenziale von Deutschen im Ausland – Ergebnisse einer Befragung in ausgewählten Ländern Europas.
6 h t t p s : / / w w w . k o f a . d e / publikationen/rueckkehr-auslandsdeutscher-fachkraefte-potenziale-nutzen-perspektiven-schaffen.
7 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2019. German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS). Abrufbar: h t t p s : / / w w w . b i b . b u n d . d e / Publikation/2019/pdf/German-Emigration-and-Remigration-Panel-Study-GERPS.pdf?__blob=publicationFile&v=2.
8 WirtschaftsWoche 2021. Warum Hochqualifizierte Deutschland den Rücken kehren. Abrufbar: h t t p s : / / w w w . w i w o . d e / politik/deutschland/fachkraeftemangel-warum-hochqualifizierte-deutsch-land-den-ruecken-kehren/27545944.html.
9 Statistisches Bundesamt. Wanderungsstatistik. Abrufbar: h t t p s : / / w w w – g e n e s i s . d e s t a t i s . d e/genesis/online?operation=abruftabelleBearbeiten&levelindex=1&le-velid=1671543543014&auswahloperation=abruftabelleAuspraegungAuswaehlen&auswahlverzeich-nis=ordnungsstruktur&auswahlziel=werteabruf&code=12711 -0023&auswahltext=&wertaus-wahl=1777&werteabruf=Werteabruf#abreadcrumb.