Antragder AfD-Fraktion vom 18.01.2022
Hohe Priorität für Kinder und Jugendliche – durch die Corona-Politik entstandene Folgen ernst nehmen und konsequent abfangen
I. Ausgangslage
Deutlich mehr Suizidversuche bei Kindern1 – eine von vielen weiteren schrecklichen Folgen für unsere Kinder und Jugendliche durch die anhaltende Corona- und Lockdown-Politik.
Schockierende Zahlen deckte eine Studie des Uniklinikums Essen auf, bei der 27 Intensivstationen untersucht wurden. Ergebnis der Studie ist: Während des zweiten Lockdowns gab es rund 500 Versuche junger Menschen, sich das Leben zu nehmen – ein Anstieg um rund 400 Prozent im Vergleich zu der Zeit vor Corona.2 Diese Zahlen zeigen allerdings nur die Fälle, welche auf Intensivstationen eingeliefert wurden. Die Dunkelziffer könnte viel größer sein. Denn „Nicht alle Selbstmordversuche in dieser Altersklasse landen auf der Intensivstation, weil sie mit Tabletten unternommen werden“, so Prof. Christian Dohna-Schwanke, Kinderarzt und Intensivmediziner des Uniklinikums Essen.3 Etwa fünf Prozent dieser Versuche enden tödlich.
Der dramatische Anstieg von Suizidversuchen ist nur die Spitze des Eisbergs. Die sogenannten Corona-Schutzmaßnahmen treffen Kinder und Jugendliche besonders hart. Sie haben andere Bedürfnisse und brauchen andere Erlebnisräume als Erwachsene, deren Persönlichkeit schon ausgereift ist. Der Mensch als soziales Wesen ist abhängig von zwischenmenschlicher Interaktion. Die gesamte kindliche Entwicklung ist auf die Auseinandersetzung mit der Umwelt und den Mitmenschen angewiesen. Für die Reifung des Kindes und zur Ausbildung einer sozialen Persönlichkeit ist dementsprechend die Teilhabe am sozialen Leben zwingend erforderlich. Dies wird jungen Menschen allerdings nun seit knapp zwei Jahren lediglich eingeschränkt zugestanden.
Auch wenn die Verantwortlichen die Warnungen der Experten über die verheerenden Auswirkungen von Schulschließungen und dergleichen auf die Entwicklung der Kinder mittlerweile beherzigen, ist der Alltag für Kinder und Jugendliche immer noch sehr belastend. Maskenzwang in den Schulen und die geschürte Angst vor Infektion und Quarantäne durch die kontinuierlichen Testszenarien an Kita und Schule sowie eingeschränkte soziale Beziehungen durch zahlreiche Kontaktverbote lassen Kinder mit einem permanenten Bedrohungsgefühl durch das Virus aufwachsen.
Die Freizeitgestaltung ist weiterhin massiv eingeschränkt, da die meisten Angebote die Betreuung durch Erwachsene voraussetzen, deren Teilnahme aktuell wieder zunehmend durch 2G+ etc. erschwert wird.
Begründet werden die Maßnahmen immer wieder mit dem Schutz der Kinder und Jugendlichen vor einer Infektion mit dem Corona-Virus. Jedoch ist bereits seit den Anfängen der Pandemie bekannt, dass Kinder und Jugendliche nicht die befürchteten Pandemietreiber waren und es bis heute auch nicht sind. Zu schweren Verläufen bei gesunden Kindern ohne Vorer-krankungen kam es in nur sehr seltenen Fällen.4
Nicht nur Kinder- und Jugendpsychologen schlagen Alarm, auch die Rückmeldungen aus den Schulen sind besorgniserregend.
Neben den offensichtlichen Lernrückständen haben sich auch psychosoziale Probleme bei Kindern und Jugendlichen vermehrt. Vor allem Schüler an sogenannten „Brennpunktschulen“ sind hier leider wieder stärker betroffen. Der Rückgang von sozialen Beziehungen verstärkt die Einsamkeit. Hinzu kommen die Belastungen innerhalb der Familie: finanzielle Sorgen, Angst vor Krankheit, die Bedrohung des Arbeitsplatzes und das dauerhafte Verharren auf engem Raum haben nachweislich zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt geführt. Viele Eltern sind an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gestoßen.
Die Umfrage unter Lehrkräften des deutschen „Schulbarometer – Spezial zur Pandemie“ hat ergeben, dass Motivations- und Konzentrations-Probleme bei den Schülern stark zugenommen haben. Hinzu kommen häufig Zurückgezogenheit und Niedergeschlagenheit. Auffällig ist zudem, dass es den Kindern und Jugendlichen mittlerweile deutlich schwerer fällt, Kontakte zu knüpfen und Beziehungen aufzubauen als dies noch vor der Pandemie der Fall war. Die Unterstützungsangebote der Schulen, beispielsweise durch Schulpsychologen oder Schulsozialarbeiter, waren schon vor der Corona-Zeit an ihren Kapazitätsgrenzen und können diese zusätzlichen Entwicklungen nicht auffangen. Zudem gab etwa ein Drittel der befragten Lehrkräfte an, dass an den jeweiligen Schulen wegen der Corona-Beschränkungen aktuell gar keine Unterstützungsangebote zur Verfügung stünden.5
Weiter beklagen Experten eine verstärkte Abnahme der ohnehin schon begrenzten Sprachfähigkeit bei Kindern, eine deutliche Zunahme von Adipositas, Essstörungen, Angststörungen und Depressionen.6 Im Kölner Stadtanzeiger war am 10.01.2022 zu lesen, dass als wahrscheinliche Ursachen die fehlenden Kontakte, die zerstörte Alltagsstruktur und die Zunahme an Medienkonsum in Frage kommen. Darüber hinaus gilt ihr das zwanghafte Verhalten (z.B. Essstörung) als Versuch, innere Sicherheit zu gewinnen, um die unsicheren Rahmenbedingungen zu kompensieren. Das ständige Hin und Her von Geboten und Verboten, der Wechsel zwischen Lockerungen und Beschränkungen und die fehlende Zuversicht bestimmen immer noch unseren Alltag.
Seit der Corona-Zeit verbringen Kinder und Jugendliche sehr viel mehr Zeit am Bildschirm. Der Anteil pathologischer Computerspiel- und Social-Media-Nutzung ist ebenfalls angestiegen. Die Ergebnisse der Untersuchung durch das „Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters“ (DZSKJ) deuten darauf hin, dass mehr als vier Prozent der 10- bis 17-Jährigen in Deutschland an einer Computerspiel- oder Social-Media-Sucht leiden. Während im Jahre 2019 noch rund 315.000 Kinder und Jugendliche betroffen waren, wiesen im Jahre 2021 bereits rund 465.000 Jugendliche süchtiges Verhalten auf.7 Die Verlagerung sämtlicher Sozialkontakte und des Lernens in die virtuelle Sphäre sowie das Fehlen realer zwischenmenschlicher Kontakte haben die Gefahrenlage für depressive Symptome, mentale Erschöpfungszustände und Essstörungen weiter verschlechtert.
Auch der Drogenmissbrauch ist unter Jugendlichen während der Corona-Zeit angestiegen. Oftmals werden Medikamente in Kombination mit Alkohol und Cannabis eingenommen. Sowohl der Alkohol- als auch der Cannabis-Konsum im Jugendalter können die Gehirnentwicklung schädigen. Kinder- und Jugendpsychiater warnen vor Hirnschädigungen selbst durch nur gelegentlichen Cannabis-Konsum8 und weisen auf das gesteigerte Risiko, an einer Psychose zu erkranken, hin.9
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass der Bedarf an Therapieplätzen in Kinder- und Jugendpsychiatrien im Jahr 2021 stark angestiegen ist – in einer Berliner Kinder- und Jugendpsychiatrie sogar um rund 30 Prozent.10
Die angespannte Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist nicht neu. Doch der dramatische Zuwachs an psychischen Erkrankungen als Reaktion auf die restriktiven Corona-Schutz-maßnahmen verschärft die Lage zunehmend. Als Folge müssen Kinder und Jugendliche abgewiesen oder früher als geplant entlassen werden, ohne den vollen Umfang der Therapie und somit die bestmögliche Unterstützung in Anspruch nehmen zu können. Wer kein akuter Notfall ist, kann das Pech haben, nicht einmal mehr auf eine Warteliste aufgenommen zu werden, da bereits Wartezeiten von mehr als zwölf Monaten bestehen.11
Kinder und Jugendliche haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Covid-19 stellt für sie ein überschaubares oder sehr geringes gesundheitliches Risiko dar. Die nachhaltige Schädigung ihrer Persönlichkeit und Psyche in diesem vulnerablen Lebensabschnitt hingegen kann sie für ihr gesamtes weiteres Leben beeinträchtigen. Es ist dringend notwendig, mit dem Virus leben zu lernen und den Kindern und Jugendliche ein Aufwachsen in Normalität zu ermöglichen.
Da tausende Kinder jedoch schon schweren Schaden genommen haben, steht es in der Verantwortung der öffentlichen Hand, Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die entstanden Schäden zu lindern und die Kinder und Jugendlichen in ihrem Heilungsprozess zu unterstützen. Hierzu sind schnelle Maßnahmen und qualitativ hochwertige Angebote in sämtlichen sozialen, gesundheitlichen und schulischen Bereichen notwendig. Neben dem Schließen der offenkundigen Lernlücken sollte aber vor allem die Bewältigung der sozialen und psychischen Folgen durch die Corona-Zeit obersten Priorität haben – das sind wir unseren Kindern und Jugendlichen schuldig.
II. Der Landtag stellt daher fest:
- Die UN-Kinderechtskonvention darf dem Infektionsschutz nicht zum Opfer fallen;
- Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Bildung, Ruhe, Freizeit, Spiel und altersgemäße aktive Erholung;12
- für die gesunde Entwicklung ist der reale zwischenmenschliche Kontakt zu Familienmitgliedern und Gleichaltrigen zwingend erforderlich. Digitale Medien können die zwischenmenschliche Nähe nicht ersetzen;
- die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen wurden in den letzten zwei Jahren unverhältnismäßig vernachlässigt mit Folgen für ihre körperliche, kognitive und seelisch/psychi-sche Entwicklung;
- die massive Beeinträchtigung der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen muss unverzüglich ein Ende finden.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, Bildungseinrichtungen der frühkindlichen Bildung offenzuhalten;
- sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, Grundschulen und weiterführende Schulen offenzuhalten;
- Kindern und Jugendlichen den Kontakt zu Gleichaltrigen in Zukunft ohne Einschränkungen zu ermöglichen;
- keinen Maskenzwang während des Unterrichts an Sitzplätzen sowie beim Sportunterricht und auf dem Schulhof;
- die Quarantäneregelungen „mit Augenmaß“ für nur tatsächlich infizierte Kinder weiter aufrechtzuerhalten und Laborkapazitäten vorzuhalten;
- die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen wissenschaftlich begleiten zu lassen;
- Programme und Maßnahmen zur besseren psychologischen Unterstützung in den Schulen zu entwickeln, auszubauen und zu gewährleisten, dass diese auch während Zeiten des Infektionsschutzes stattfinden;
- Sport- und Bewegungsförderung sowie Motivation der Kinder und Jugendlichen in den Schul- und Kitaalltag zu integrieren;
- den Ausbau von Förder- und Unterstützungsmaßnahmen insbesondere für Erst- und Zweitklässler, aufgrund der möglicherweise fehlenden Schulvorbereitung, auszuweiten;
- die medizinischen Einrichtungen und weitere Strukturen zur flächendeckenden Versorgung von Kindern und Jugendlichen weiter auszubauen, um die zusätzlichen psychischen und körperlichen Folgen der Corona-Maßnahmen aufzufangen;
- die akutmedizinische kinder- und jugendärztliche Versorgung zu stärken und weiter auszubauen;
- dafür Sorge zu tragen, die vorstationäre bzw. ambulante Gesundheitsinfrastruktur zu stärken, um insbesondere die langen Wartezeiten auf stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung zu entzerren und bestmöglich zu nutzen und die betroffenen Kinder und Jugendlichen bereits hier zu unterstützen.
Iris Dworeck-Danielowski
Dr. Martin Vincentz
Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
4 https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/corona-kinder-verlauf-100.html
5 https://www.swr.de/wissen/schulbarometer-bildung-in-zeiten-von-corona-100.html
6 https://www.deutschlandfunkkultur.de/kinder-corona-impfung-102.html
9 https://www.n-tv.de/wissen/Wenn-aufs-Kiffen-die-Psychose-folgt-article21869829.html
10 https://www.inforadio.de/dossier/2021/coronavirus/interviews/584930.html
11 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-4437.pdf
12 https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention