Ist die Verschleierung des Erlöschens der Freizügigkeitsberechtigung von Unionsbürgern gegenüber der kommunalen Ausländerbehörde auch in der Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg gängige Praxis?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 394
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Dr. Martin Vincentz von 31.08.2022

 

Ist die Verschleierung des Erlöschens der Freizügigkeitsberechtigung von Unionsbürgern gegenüber der kommunalen Ausländerbehörde auch in der Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg gängige Praxis?

Wie aus einer Anfrage der Abgeordneten Seli-Zacharias (AfD) im Integrationsrat der Stadt Gelsenkirchen1 hervorgeht, gibt es von Seiten der Clearingstelle Gelsenkirchen erhebliche Defizite bei der Weitergabe von Informationen an die kommunale Ausländerbehörde. Konkret geht es um die Feststellung eines nicht ausreichenden bzw. nicht vorhandenen Krankenversicherungsschutzes von Unionsbürgern.

Wie aus einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestags hervorgeht, haben „nicht erwerbstätige Unionsbürger gemäß § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 4 FreizügG/EU nur dann eine Freizügigkeitsberechtigung, wenn sie über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.“2 Weiter heißt es:

„Nach Nr. 4.1.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU (AVV FreizügG/ EU) sind Existenzmittel „alle gesetzlich zulässigen Einkommen und Vermögen in Geld oder Geldeswert oder sonstige eigene Mittel, insbesondere Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritten, Stipendien, Ausbildungs- oder Umschulungsbeihilfen, Arbeitslosengeld, Invaliditäts-, Hinterbliebenen-, Vorruhestands-oder Altersrenten, Renten wegen Arbeitsunfall, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder sonstige auf einer Beitragsleistung beruhende öffentliche Mittel. Dazu zählen nicht die nach SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts an Arbeitsuchende und an die mit ihnen in einer so genannten Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Personen zu gewährenden Mittel“. Ob die Existenzmittel ausreichend sind, wird gemäß 4.1.2.3 AVV FreizügG/EU durch eine Vergleichsberechnung unter Einbeziehung der regionalen sozialhilferechtlichen Bedarfssätze ermittelt, wobei die persönlichen Umstände in jedem Einzelfall berücksichtigt werden müssen. Der als ausreichend betrachtete Betrag darf nicht über dem Schwellenwert liegen, unter dem für Deutsche ein Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe besteht. In Nr. 4.1.2.1 AVV FreizügG/EU heißt es weiter: „Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ausreichende Existenzmittel vorliegen, wenn während des Aufenthalts keine Leistungen nach SGB II oder SGB XII in Anspruch genommen werden“. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen ist folglich ein Indiz für das Fehlen ausreichender Existenzmittel. Eine nur vorübergehende Inanspruchnahme ist allerdings aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unschädlich.“

Wie die Anfrage im Integrationsrat der Stadt Gelsenkirchen ergab, ging die Initiative in 3.517 von 5.884 Fällen3 von EU-Bürgern aus. In 212 von 5.884 Fällen scheiterte die Klärung an der fehlenden Mitwirkung der Betroffenen. Bei diesen 212 Fällen handelte es sich zu 86 Prozent um rumänische Staatsbürger. In 5.395 von 5.884 Fällen lag bei den Ratsuchenden die Fallkonstellation vor, dass bei Unionsbürgern nicht ein ausreichender Krankenversicherungsschutz sowie ausreichende Existenzmittel vorlagen. Obwohl in zahlreichen Fällen folglich die Voraussetzung zum Erlöschen der Freizügigkeitsberechtigung vorlag, informierte die Clearingstelle Gelsenkirchen im keinem dieser Fälle die kommunale Ausländerbehörde.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Von wem ging in den Jahren 2016 bis 2021 sowie im ersten Halbjahr 2022 die Initiative zu einer Beratung in den Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg aus? (Bitte differenziert nach Clearingstelle, Jahr, Anzahl, Initiative durch EU-Bürger, Initiative durch den Leistungserbringer und Initiative durch Dritte auflisten)
  2. In wie vielen Fällen scheiterte in den Jahren 2016 bis 2021 sowie im ersten Halbjahr 2022 eine Klärung des Beratungsfalls in den Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg an der fehlenden Mitwirkung der Betroffenen, sei es durch Verweigerung der Auskunft, durch Fehlen von angeforderten Nachweisen oder durch Nichterscheinen? (Bitte nach Clearingstelle, Jahr und Anzahl differenziert auflisten)
  3. In wie vielen dieser Fälle (unter Frage 2) handelte es sich um Personen aus den Staaten der sechsten EU-Erweiterung (Osterweiterung Teil II)?
  4. In wie vielen Fällen lag bei Ratsuchenden in den Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg die Fallkonstellation vor, dass bei Unionsbürgern kein ausreichender Krankenversicherungsschutz sowie ausreichende Existenzmittel vorlagen? (Bitte die Gesamtzahl der Fälle je Clearingstelle sowie die Anzahl der Fälle benennen, bei denen die angeführte Fallkonstellation vorlag)
  5. In wie vielen Fällen informierten die Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg die jeweilige kommunale Ausländerbehörde über das Vorliegen der Voraussetzungen zum Erlöschen der Freizügigkeitsberechtigung?

Enxhi Seli-Zacharias
Dr. Martin Vincentz

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. Drucksache 20-25/3293 vom 15.07.2022 https://ratsinfo.gelsenkirchen.de/ratsinfo/gelsenkirchen/21222/Vm9ybGFnZW5kb2t1bWVudCAob2Vm  ZmVudGxpY2gpIA==/14/n/135517.doc

2 Vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/578924/b7ceba61ea3aaec4e99793c57698e%20e9a/%20WD -3-331-18-pdf-data.pdf

3 Zeitraum 21.09.2016 bis 31.03.2022


Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 394 mit Schreiben vom 26. September 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

  1. Von wem ging in den Jahren 2016 bis 2021 sowie im ersten Halbjahr 2022 die Initiative zu einer Beratung in den Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg aus? (Bitte differenziert nach Clearingstelle, Jahr, Anzahl, Ini­tiative durch EU-Bürger, Initiative durch den Leistungserbringer und Initia­tive durch Dritte auflisten)

Die Initiative zu einer Beratung geht grundsätzlich von den ratsuchenden Personen selbst oder von Dritten aus.

Standort Beratungen in Versicherungs- angelegenheiten davon auf Initiative von Leistungserbringern oder Drit­ten
2020
Münster 247 190
Köln 530 330
Dortmund 767 321
Duisburg 407 283
2021
Münster 203 164
Köln 495 304
Dortmund 586 164
Duisburg 504 425

 

Eine Erfassung des Indikators „Initiative“ erfolgt erst ab dem Jahr 2020, wobei keine Differenzierung nach Herkunft der ratsuchenden Person erfolgt. Die Datenerfassung für das erste Halbjahr 2022 ist noch nicht abgeschlossen.

  1. In wie vielen Fällen scheiterte in den Jahren 2016 bis 2021 sowie im ersten Halbjahr 2022 eine Klärung des Beratungsfalls in den Clearingstellen Müns­ter, Köln, Dortmund und Duisburg an der fehlenden Mitwirkung der Betroffe­nen, sei es durch Verweigerung der Auskunft, durch Fehlen von angeforder­ten Nachweisen oder durch Nichterscheinen? (Bitte nach Clearingstelle, Jahr und Anzahl differenziert auflisten)
  1. In wie vielen dieser Fälle (unter Frage 2) handelte es sich um Personen aus den Staaten der sechsten EU-Erweiterung (Osterweiterung Teil II)?

Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwor­tet.

Standort Anzahl der Fälle mit fehlender Mitwirkung davon Personen aus den Staaten der Osterweiterung Teil II
2020
Münster 28 8
Köln 85 31
Dortmund 23 10
Duisburg 66 51
2021
Münster 16 2
Köln 102 38
Dortmund 26 11
Duisburg 32 23

 

Für eine „fehlende Mitwirkung“ können unterschiedliche Gründe vorliegen. Beispielhaft seien hier der nicht gemeldete Fortzug der Ratsuchenden, aber möglicherweise auch eine erfolgreich vermittelte Krankenversicherung genannt, nach der die ratsuchende Person keine Rückmeldung gegeben hat.

  1. In wie vielen Fällen lag bei Ratsuchenden in den Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg die Fallkonstellation vor, dass bei Unionsbür­gern kein ausreichender Krankenversicherungsschutz sowie ausreichende Existenzmittel vorlagen? (Bitte die Gesamtzahl der Fälle je Clearingstelle so­wie die Anzahl der Fälle benennen, bei denen die angeführte Fallkonstella­tion vorlag)

Eine Erfassung dieser Indikatoren ist im einheitlichen Dokumentationssystem der Clea­ringstellen nicht vorgesehen. Die Beratung der Clearingstellen hat das Ziel, Personen bei der Klärung der Voraussetzungen für einen Krankenversicherungsschutz zu unter­stützen und umfasst keine Bedürftigkeitsprüfung.

  1. In wie vielen Fällen informierten die Clearingstellen Münster, Köln, Dortmund und Duisburg die jeweilige kommunale Ausländerbehörde über das Vorlie­gen der Voraussetzungen zum Erlöschen der Freizügigkeits-berechtigung?

Die Clearingstellen unterstützen bei der Klärung der individuellen Zugangsvorausset­zungen für einen Krankenversicherungsschutz. Die Prüfung der Voraussetzungen zum Erlöschen der Freizügigkeitsberechtigung gehört nicht zur Aufgabe.

 

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