Lässt die Landesregierung die Stadt Bochum bei der Registrierung unbegleiteter minderjähriger Ausländer (UMA) im Stich?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1105
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Christian Loose vom 20.01.2023

Lässt die Landesregierung die Stadt Bochum bei der Registrierung unbegleiteter minderjähriger Ausländer (UMA) im Stich?

Im Rahmen der kurzfristigen Unterbringung von UMA in Bochum, im Anschluss an die Registrierung und vor der landesweiten Verteilung, plant die Stadt Bochum eine deutliche Aufstockung der dafür erforderlichen Unterbringungsplätze. In einer Antwort auf eine kommunale Anfrage spricht die Verwaltung von einer angestrebten Kapazitätsaufstockung auf 200 Plätze.1 In Bochum werden die alleinreisenden Kinder und Jugendliche nach der Ankunft in NRW registriert und bis zu ihrer Verteilung auf andere Städte vom Jugendamt und von beauftragten Wohlfahrtsverbänden betreut.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang nicht nur, in ausreichender Anzahl geeignetes Personal zu finden; insbesondere die Suche nach geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten bereitet Probleme.2

Mussten am 14. September 2022 noch 93 UMA untergebracht und betreut werden, waren es zwischen dem 5. und 28. Oktober 2022 permanent über 200 Personen. Erst am 7. Dezember 2022 ging der Wert auf unter 100 Personen zurück. Die Verwaltung der Stadt Bochum machte daher deutlich, dass sie einen Bedarf an der Überprüfung des bisherigen Unterbringungskonzeptes sieht. Vor dem Hintergrund der angespannten Situation in Bochum erging am 15. November 2022 von Seiten des Ministeriums ein Schreiben an alle Landesjugendämter mit dem Hinweis auf die aktuelle Situation und der Aufforderung, zeitnah die jungen Menschen nach Zuteilung durch das Landesjugendamt Rheinland zu übernehmen.

Die Probleme entstanden dabei in Folge einer landesweit dramatischen Unterbringungssituation. So heißt es von Seiten der Verwaltung: „Seit September zeichnete sich die dramatische Lage auch in den aufnehmenden Kommunen ab. Insgesamt ist die Jugendhilfelandschaft in ihren Angeboten durch Fachkräftemangel sehr ausgedünnt. Hierdurch fehlen überall Einrichtungsplätze zur Aufnahme von jungen Menschen – auch im Rahmen der Hilfen zur Erziehung gem. SGB VIII. Somit konnten Kommunen nicht zeitnah aufnehmen.“

Die zukünftigen Zugangszahlen sind in diesem Zusammenhang unkalkulierbar. Auf der einen Seite ist die weitere Entwicklung in der Ukraine völlig offen, auf der anderen Seite weigert sich die Bundesregierung standhaft, den Forderungen der Deutschen Polizeigewerkschaft nach grenzpolizeilichen Maßnahmen an den deutschen EU-Binnengrenzen zu folgen. Die politische Agenda der Ampel, unterstützt durch die Landesregierung, sendet zudem immer weitergehende Pull-Signale aus. Daher hält der Zustrom im Rahmen einer illegalen Sekundärmigration nach Deutschland, insbesondere über Tschechien, Österreich und die Schweiz, – wenig überraschend – auf unvermindert hohem Niveau weiter an.

Nicht unproblematisch erscheint bei der Unterbringung in Bochum offensichtlich auch die Refinanzierung der anfallenden Kosten durch das Land NRW zu sein. Auf eine entsprechende Frage antwortete die Verwaltung: „Die Plätze für unbegleitete Minderjährige Jugendliche werden nach Belegung vom Land refinanziert. Somit entstehen bei Nichtbelegung Kosten, die sich sowohl auf die bereitgestellten Immobilien als auch auf bei den Trägern vorgehaltenes Personal beziehen. Dies ist abhängig von der noch zu bestimmenden Größenordnung.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Inwiefern ließe sich nach Ansicht der Landesregierung – zur Entlastung der Stadt Bochum – die temporäre Unterbringung der UMA in Bochum zwischen der Registrierung und der landesweiten Weiterverteilung auf den Zuständigkeitsbereich mehrerer Jugendämter aufteilen?
  2. Warum wurde die temporäre Unterbringung auf die Stadt Bochum konzentriert?
  3. Inwiefern besteht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der alternativen Nutzung der Unterbringungseinrichtungen des Landes (EAE und ZUE)?
  4. Inwiefern wird zur Linderung des Personalmangels bei UMA aus der Ukraine die Betreuung durch ukrainische Kriegsflüchtlinge geprüft, sofern diese über eine entsprechende Ausbildung verfügen?
  5. Wie wird die Landesregierung der Stadt Bochum – bei der geschilderten Finanzierungslücke auf Grundlage einer Nichtbelegung – zukünftig im Rahmen der Kostenerstattung entgegenkommen?

Enxhi Seli-Zacharias
Christian Loose

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. Stadt Bochum: Vorlage: 20223320

2 Vgl. htt p s : / /www. W a z .de/staedte/b ochum/b o c h u m-sucht-platz-und-per son al-fuer-unbegleitete-fl u e c h t l i n g e-id 23 72 48 87 1.h t m


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1105 mit Schreiben vom 22. Februar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.

  1. Inwiefern ließe sich nach Ansicht der Landesregierung zur Entlastung der Stadt Bochum die temporäre Unterbringung der UMA in Bochum zwischen der Regist­rierung und der landesweiten Weiterverteilung auf den Zuständigkeitsbereich mehrerer Jugendämter aufteilen?
  2. Warum wurde die temporäre Unterbringung auf die Stadt Bochum konzentriert?

Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 und 2 zusammen beantwortet.

Es wird auf die Vorbemerkung der Beantwortung der Kleinen Anfrage 681 „Steigende Belas­tung der Einrichtung zur vorrübergehenden Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Bochum (umF)“ verwiesen. Daraus ergibt sich neben einer Erläuterung des Verfahrens bei umF auch, warum die Stadt Bochum in besonderem Maß von der vorläufigen Inobhutnahme von umF betroffen ist: „Für die vorläufige Inobhutnahme von unbegleiteten min­derjährigen Flüchtlingen ist das Jugendamt zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich die un­begleitete Einreise festgestellt wird. Aufgrund der Lage der Landeserstaufnahmeeinrichtung für reguläre Asylsuchende in Bochum und der damit verbundenen regelmäßigen Ankunft grö­ßerer Fluchtgemeinschaften ist das Jugendamt Bochum in besonderem Maße von dieser Zu­ständigkeitsregelung betroffen. Es ist jedoch nicht zutreffend, dass alle unbegleiteten Minder­jährigen, die in Nordrhein-Westfalen ankommen, zunächst in Bochum untergebracht werden.“

Es wird zudem auf die Beantwortung der Frage 1 der Kleinen Anfrage 681 verwiesen sowie auf die Beantwortung der Frage 5 der Kleinen Anfrage 813. Hier wurden die getroffenen Akti­vitäten des Landes zur Unterstützung des Jugendamtes Bochum erläutert. Ferner wurde darin aufgeführt, dass das Land Nordrhein-Westfalen bereits seit Januar 2022 alle Jugendämter an­geschrieben und darauf aufmerksam gemacht hat, dass die zunehmenden Zuzugsbewegun­gen dazu führen, dass es dringend notwendig ist, die Aufnahmekapazitäten für unbegleitete

Minderjährige wieder auszubauen, die zum Teil aufgrund rückläufiger Einreisezahlen der ver­gangenen Jahre abgebaut wurden. Ferner wurden die folgenden Aktivitäten getroffen: Ermög­lichung von Brückenlösungen, in Absprache mit den Landesjugendämtern Abweichungen von Standards auch bei Einrichtungen mit Betriebserlaubnis, prioritäre Berücksichtigung der Haupteinreisejugendämter bei tagesaktuellen Zuweisungen durch die Landesstelle, Unterstüt­zung des Jugendamtes Bochum durch die Landeserstaufnahmeeinrichtung bei der Datener­fassung, Unterstützung des Jugendamts Bochum durch das Land hinsichtlich des Transports der unbegleiteten Minderjährigen in die Aufnahmejugendämter, regelmäßiger intensiver Aus­tausch mit den Kommunalen Spitzenverbänden und Landesjugendämtern zur Entlastung der Haupteinreisejugendämter, mehr Transparenz im bundesweiten Verteilsystem.

  1. Inwiefern besteht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der alternativen Nut­zung der Unterbringungseinrichtungen des Landes (EAE und ZUE)?

Die Nutzung von Einrichtungen des Landes zur Unterbringung Asylsuchender stellt aus Kin-deswohlgesichtspunkten grundsätzlich keine alternative Unterbringungsmöglichkeit für die be­sonders vulnerable Gruppe der umF dar. Zum Schutz der Minderjährigen müsste gewährleistet werden, dass es keine räumlichen Überschneidungen der unterzubringenden Gruppen geben dürfte (dies betrifft nicht nur Schlafräume, sondern auch Sanitärbereiche sowie Essens- und Aufenthaltsbereiche, etc.).

  1. Inwiefern wird zur Linderung des Personalmangels bei UMA aus der Ukraine die Betreuung durch ukrainische Kriegsflüchtlinge geprüft, sofern diese über eine ent­sprechende Ausbildung verfügen?

Es wird davon ausgegangen, dass mit Frage 4 gemeint ist, dass ukrainische Kriegsflüchtlinge mit entsprechender pädagogischer Ausbildung für die Betreuung von ukrainischen umF in Bo­chum eingesetzt werden könnten. Bezogen auf die Situation der Stadt Bochum ist anzumer­ken, dass dort seit Kriegsbeginn nur vier umF mit ukrainischer Staatsangehörigkeit angekom­men sind, so dass sich diese Frage dort derzeit nicht stellt.

  1. Wie wird die Landesregierung der Stadt Bochum bei der geschilderten Finanzie­rungslücke auf Grundlage einer Nichtbelegung zukünftig im Rahmen der Kos­tenerstattung entgegenkommen?

Das Land hat seit Einrichtung der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum mit der Stadt Bochum ein Entlastungssystem vereinbart, mit dem die durch die Lage der Erstaufnahmeeinrichtung entstehenden Mehrbelastungen des Jugendamtes Bochum vom Land ausgeglichen werden.

Etwaige Vorhaltekosten sind durch die hierfür vorgesehenen Landesmittel nicht erstattungsfä­hig. Die tatsächlichen Kosten, die für unbegleitete Minderjährige entstehen, werden gemäß § 89d SGB VIII vom Land erstattet.

 

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