Medizinische Versorgung von Radiopharmaka in Nordrhein-Westfalen sicherstellen!

Antrag
vom 04.02.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 04.02.2020

 

Medizinische Versorgung von Radiopharmaka in Nordrhein-Westfalen sicherstellen!

I. Ausgangslage

In der Nuklearmedizin werden radioaktive Präparate zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken eingesetzt. Laut Bundesamt für Strahlenschutz wurden in den Jahren 2011 bis 2015 im Mittel ca. 2,5 Millionen nuklearmedizinische Untersuchungen pro Jahr in Deutschland durchgeführt.1 Vornehmlich davon betroffen waren: Schilddrüse (43 Prozent), Skelett (23 Prozent), Herz (17 Prozent), Lunge (drei Prozent) und Tumore (drei Prozent).

Bei Schilddrüsenuntersuchungen werden immer häufiger Erkrankungen (Struma, Schilddrüsenautonomie, Entzündungen, Zysten und Schilddrüsenkrebs) festgestellt. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts sind im Jahre 2016 in Deutschland 5.280 Frauen und 2.500 Männer an Schilddrüsenkrebs erkrankt; 390 Frauen und 286 Männer sind an Schilddrüsenkrebs gestorben.2 Bei Kindern unter zwölf Jahren wird immer häufiger eine autoimmune Erkrankung der Schilddrüse festgestellt. Die frühzeitige Erkennung und eine entsprechende Therapie erhöhen die Überlebens- und Heilungschancen der Betroffenen signifikant. Viele Verbände und Selbsthilfegruppen fordern deshalb einen frühen Einstieg in die vorsorgliche Schilddrüsenuntersuchung.3

Nuklearmedizinische Untersuchungen, wie eben auch die empfohlenen Schilddrüsenuntersuchungen, benötigen für ihre bildgebenden Verfahren radioaktive Präparate. Eine besondere Rolle in der Nuklearmedizin spielt das künstlich hergestellte und metastabile Radioisotop Technetium-99 (Tc-99m). Das Radioisotop Tc-99m wird bei rund 80 Prozent aller nuklearmedizinischen Anwendungen eingesetzt, was ca. 30 Millionen Untersuchungen pro Jahr weltweit entspricht.4

Das Radioisotop Tc-99m hat eine Halbwertszeit von nur 6 Stunden, und auch das Mutternuklid Molbydän-99 (Mo-99) gehört mit einer Halbwertszeit von nur 66 Stunden zu den sehr kurzlebigen Radioisotopen. Eine zeitnahe und möglichst örtliche Produktion dieser Radioisotope ist für eine erfolgreiche Anwendung in der Nuklearmedizin zwingend erforderlich.

In Europa gibt es vier große produzierende Forschungsreaktoren von Mo-99/Tc-99m: HFR (Niederlande), BR-2 (Belgien), LVR-15 (Tschechien) und MARIA (Polen).5 Diese Forschungsreaktoren sind allerdings mittlerweile alle älter als 46 Jahre. Die beiden dienstältesten Forschungsreaktoren HFR und BR-2 werden in den Jahren 2024 und 2026 abgeschaltet. Dabei handelt es sich um genau die Forschungsreaktoren mit den größten Kapazitäten.4

Neu geplante Forschungsreaktoren FRM-II (Deutschland) und JHR (Frankreich) bleiben weit unterhalb der Produktionskapazitäten von HFR und BR-2. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Herstellung von Tc-99m in diesen Reaktoren verzögern wird.6 Zuletzt hat ein Bündnis der bayerischen Landtagsfraktion der Grünen mit dem BUND Naturschutz in Bayern ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um die Inbetriebnahme des Forschungsreaktors FRM-II hinauszuzögern.7

Auf Grund der Verzögerungen bei neuen Projekten, der zahlreichen Wartungs- und Reparaturarbeiten an älteren Reaktoren und der steigenden Zahl von nuklearmedizinischen Untersuchungen kommt die Institution Nuclear Energy Agency (NEA) innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem letzten Fachbericht „The Supply of Medical Radioisotopes 2019“ zu dem Ergebnis, dass die Versorgungssicherheit stark gefährdet ist.8

Auch die europäische Beobachtungsstelle (eng. European Observatory on supply of medical radioisotopes) erklärt in ihrem letzten Positionspapier vom 15. Juni 2018, dass der Bau von mindestens einem weiteren Reaktor für die Versorgungssicherheit notwendig sei.3

II.Der Landtag stellt fest, dass

1. der Verzicht auf Kerntechnologie einen gesellschaftlichen und medizinischen Rückschritt bedeutet;

2. die Anwendung medizinischer Radioisotope und eine frühzeitige Therapie die Überlebens- und Heilungschancen der Patienten signifikant erhöhen bzw. erst möglich machen;

3. die zukünftige Versorgungssicherheit mit medizinischen Radioisotopen gefährdet ist.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. dem Landtag einen Evaluationsbericht vorzulegen, der die Auswirkungen von Engpässen bei medizinischen Radioisotopen auf die Patientenversorgung in Nordrhein-Westfalen untersucht und geeignete Handlungsfelder für die Zukunft aufzeigt;

2. die Ansiedlung eines Forschungsinstituts (in enger Kooperation mit dem FRM-II) in NRW zu prüfen, um eine geschlossene und vertikal-integrierte Produktionskette von medizinischen Radioisotopen in Deutschland zu ermöglichen;

3. verstärkt auf ein investorenfreundliches Klima für die zivile Nutzung von medizinischen Radioisotopen in Nordrhein-Westfalen hinzuwirken.

Dr. Martin Vincentz
Dr. Christian Blex
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF laden

 

1 https://www.bfs.de/DE/themen/ion/anwendung-medizin/diagnostik/nuklearmedizin/nuklearmedizin.html

2 https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Schilddruesenkrebs/schilddruesenkrebs_node.html

3 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/69245/Selbsthilfeverband-fordert-frueheren-Einstieg-in-die-Schilddruesen-Diagnostik

4 http://oecd-nea.org/globalsearch/download.php?doc=80843

5 https://ec.europa.eu/euratom/docs/European%20Research%20Reactor%20Position%20Paper%20for%20DGE%20Energy %20%202018%20report_20180801.pdf

6 https://www.welt.de/regionales/bayern/article196398901/Rechtsgutachten-fordert-Abschaltung-von-Forschungsreaktor.html

7 http://www.umweltinstitut.org/aktuelle-meldungen/meldungen/2019/atom/garchinger-forschungsreaktor-seit-2011-illegal.html

8 http://oecd-nea.org/globalsearch/download.php?doc=80843