Missbrauch der EU-Freizügigkeit wirksam bekämpfen – Landesförderung für die Clearingstellen einstellen

Antrag

Antrag
der Fraktion der AfD

 

Missbrauch der EU-Freizügigkeit wirksam bekämpfen Landesförderung für die Clea­ringstellen einstellen

I. Ausgangslage

Im Rahmen der EU-Osterweiterung traten im Jahre 2007 Rumänien und Bulgarien der EU bei. Schnell wurde deutlich, dass die als Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgelegte EU-Freizügigkeit missbrauchsanfällig ist. So erkannte die CDU NRW aus der Opposition heraus noch im Jahre 2014:

„Die EU-Osterweiterung hat das Wohlstandsgefälle innerhalb der Europäischen Union ver­stärkt. In Deutschland ist in diesem Zusammenhang vor allem ein Anstieg der Zuwanderer-zahlen aus Bulgarien und Rumänien zu beobachten. Mit diesen Zuwanderern kommen auch Menschen nach Deutschland, die weder eine Berufsausbildung noch einen Schulabschluss besitzen und die aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus auch langfristig keine realistische Perspektive haben, dauerhaft in den hiesigen Arbeitsmarkt integriert zu werden. Viele davon kommen aus von extremer Armut geprägten Lebensverhältnissen, wo sie unter Gewalt und Diskriminierung litten. Darunter sind viele Roma. In NRW konzentriert sich der Zuzug dieser so genannten Armutsmigranten vorrangig auf die Großstädte Dortmund, Duisburg, Gelsenkir­chen, Hamm und sowie [sic] Köln. Die Bewältigung der Folgen dieser Zuwanderung stellt die betroffenen Kommunen vor erhebliche Herausforderungen. Viele Armutszuwanderer finanzie­ren ihr Dasein in erster Linie durch den Bezug von Kindergeld. Für die betroffenen Kommunen entstehen im Zusammenhang mit der Armutsmigration hohe und unabwendbare Kosten. Die damit verbundenen Belastungen bedrohen die Leistungsfähigkeit der überwiegend bereits heute notleidenden Kommunen.“1

Auch der damalige Minister für Arbeit, Integration und Soziales, Guntram Schneider (SPD), erkannte seinerzeit, dass „normalerweise jeder EU-Bürger über einen Krankenversicherungs­schutz verfügen müsste, dies aber bei vielen Menschen, die zu uns kommen, nicht der Fall sei.“2 All diese Erkenntnisse wurden seitdem weder auf Bundesebene noch auf Landesebene in praktische Politik umgesetzt.

Stattdessen wurden im Rahmen der Landesgesundheitskonferenz (LGK) am 20. November 2014 Empfehlungen für den Umgang mit „EU-Bürgern mit fehlendem oder ungeklärtem Kran­kenversicherungsschutz“ entwickelt. In der Umsetzungsempfehlung heißt es: „Die LGK son­diert gemeinsam mit dem MGEPA ein Konzept zum Aufbau eines Informations- und Bera­tungsangebotes und lokaler ClearingsteIlen mit integriertem Hilfsfonds.“3 Am 07. Juni 2016 eröffnete die damalige Gesundheitsministerin, Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen), die erste von fünf NRW-Clearingstellen in Köln. In der Pressemitteilung heißt es: „Vor allem bei Personen, die aus Südosteuropa einreisen, aber auch bei Menschen aus Drittstaaten ergeben sich immer wieder Probleme bei der medizinischen Versorgung im Regelsystem, weil unklar ist, wer die Kosten trägt. Mit der Einrichtung von insgesamt fünf durch das Land geförderten Clearingstellen soll modellhaft erprobt werden, wie die Gesundheitsversorgung für diesen Per­sonenkreis schneller verbessert und der Versicherungsstatus zügiger geklärt werden kann.“4 Im September 2016 wurde schließlich die Clearingstelle in Gelsenkirchen eingerichtet.5 War die Förderphase zunächst für drei Jahre ausgelegt, erfolgte zwischenzeitlich eine Verlänge­rung bis 2022.

Die Anzahl der Bulgaren und Rumänen hat sich insbesondere im Ruhrgebiet zwischen 2014 und 2021 stark erhöht (Duisburg: + 92 %; Dortmund: + 68 %; Gelsenkirchen: + 120 %; Essen: + 114 %; Recklinghausen: + 234 %).6 Nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch auf Landesebene wurden in der Vergangenheit in erheblichem Umfang Hilfsprogramme aufgelegt. So gibt es im Landeshaushalt 2022 beispielsweise als freiwillige Leistung Zuweisungen in Höhe von 5 Mio. Euro für Kreise und Kommunen, die überdurchschnittlich viel Zuwanderung aus Südosteuropa erfahren. Mit diesem „Förderprogramm Südosteuropa“ möchte das Land NRW „die Teilhabe und Integration von Eingewanderten aus Südosteuropa in den Kommunen unterstützen“. 7 Die Anzahl der regelleistungsberechtigten Bulgaren und Rumänen in NRW betrug mit Stand Mai 2021 bereits 64.612 Personen, was zum damaligen Zeitpunkt einem Anteil von 46 % der nicht-deutschen, regelleistungsberechtigten Unionsbürger entsprach.8 Im Zeitraum von Januar 2021 bis Juni 2022 wurden aus NRW insgesamt 238 Unionsbürger zu­rückgeführt, darunter 157 Personen aus Bulgarien und Rumänien, was einem Anteil von 66 % entspricht. Die jeweiligen Rückführungsgründe sind der Landesregierung in diesem Zusam­menhang unbekannt.9

Wie die CDU noch 2014 in ihrem Antrag richtigerweise feststellte, ist ein Unionsbürger gem. § 7 FreizügG/EU ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde feststellt, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Wie aus einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestags hervorgeht, haben „nicht erwerbstätige Unionsbürger ge­mäß § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 4 FreizügG/EU nur dann eine Freizügigkeitsberechtigung, wenn sie über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenz­mittel verfügen.“10 Ein Aufenthalt zur Arbeitssuche ist grundsätzlich nur für bis zu sechs Mo­nate gestattet, darüber hinaus nur, solange die Personen nachweisen können, dass sie wei­terhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Diese Regelung findet auch Anwendung auf Familienangehörige.

Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig entsprechend den Bestimmungen des Freizügigkeitsrechts im Bundesgebiet aufgehalten haben, erwerben ein Daueraufenthalts-recht. In Ausnahmefällen wird ein Daueraufenthaltsrecht bereits nach 3 Jahren erteilt. Auf­grund des Rechtskreiswechsels in ein Daueraufenthaltsrecht ist es innerhalb dieser Fristen erforderlich, regelmäßig das Vorliegen der Voraussetzungen zu überprüfen. Die Clearingstel­len hätten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, einen nicht-vorhandenen Krankenversi­cherungsschutz festzustellen und diese Information den zuständigen kommunalen Ausländer­behörden zukommen zu lassen.

Wie aus einer Anfrage im Integrationsrat der Stadt Gelsenkirchen hervorgeht, erfolgte von Seiten der Clearingstelle Gelsenkirchen allerdings keinerlei Weitergabe von Informationen an die zuständige kommunale Ausländerbehörde, wenn nicht erwerbstätige Unionsbürger über keinen bzw. keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz sowie über mangelnde Exis­tenzmittel verfügen.11 In 5.395 von 5.884 Fällen lag bei den Ratsuchenden die Fallkonstellation vor, dass bei Unionsbürgern kein ausreichender Krankenversicherungsschutz vorlag. Von Sei­ten der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Gelsenkirchen wird dieses Nichthandeln sogar ausdrücklich gebilligt. Die Sozialdezernentin meint gar: „Die Clearingstelle ist das Eintrittstor, da passiert viel mehr als nur die rechtliche Klärung. Sie ist ein Erstkontakt für die Integrations­arbeit. Wenn sie sich verstetigt, dann ist das eine Anerkennung für eine Stadt, die so viele Sozialherausforderungen leistet wie Gelsenkirchen.“12 Damit verkennt sie, dass ein Erstkon­takt für die Integrationsarbeit nicht zur EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit passt. Abgesehen von der erforderlichen Sprachförderung sollte Integrationsarbeit bei Unionsbürgern grundsätzlich überflüssig sein. Stattdessen kann eigeninitiatives Handeln erwartet werden.

Die ausbleibende Datenweitergabe der Clearingstelle ist fatal, da das Nichtbestehen der EU-Freizügigkeitsberechtigung nur von der zuständigen Ausländerbehörde festgestellt werden kann. Die Clearingstelle soll – auch eigenen Angaben folgend – insbesondere nicht-versicher­ten EU-Ost-Zuwanderern den Zugang zum deutschen Krankenversicherungssystem ermögli-chen.13 Als erfolgreicher Fall wird insbesondere die Zuführung in eine Krankenversicherung gewertet. Das verkennt die Grundintention der EU-Freizügigkeit, bei der es sich um eine Ar­beitnehmerfreizügigkeit handelt. Dabei muss der Krankenversicherungsschutz – als Voraus­setzung der EU-Freizügigkeit – grundsätzlich bereits bei der Einreise vorliegen, keinesfalls aber erst durch soziale Träger, finanziert aus dem Landeshaushalt, hierzulande organisiert werden. Wie aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage hervorgeht, wurden die Clearingstellen seit 2016 mit insgesamt 5 Mio. Euro aus Landesmitteln gefördert.14

Wie die Anfrage im Integrationsrat der Stadt Gelsenkirchen weiterhin ergab, ging die Initiative in der Clearingstelle in 3.517 von 5.884 Fällen15 von EU-Bürgern aus. In 212 von 5.884 Fällen scheiterte die Klärung an der fehlenden Mitwirkung der Betroffenen. Bei diesen 212 Fällen handelte es sich zu 86 Prozent um rumänische Staatsbürger.

Die beim Diakoniewerk Gelsenkirchen und Wattenscheid angesiedelte Clearingstelle Gelsen­kirchen ist bis Ende März 2023 finanziell abgesichert. Wie die WAZ in Erfahrung brachte, sol­len „bestehende Beratungsangebote der Clearingstellen zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen aus Nicht-EU-Ländern ohne Papiere oder Versicherungsschutz verstetigt und unter Einbeziehung virtueller Instrumente das Know-how in die Fläche gebracht werden.“ Die Ein­richtungsleiterin des Diakoniewerkes Gelsenkirchen und Wattenscheid e.V. vermutet: „Das läuft dann auf Kostenübernahme durch die Kommunen hinaus.“16 Das Ziel darf aber keinesfalls eine Kostenverlagerung sein. Stattdessen ist die Förderung einzustellen, um die erforderlichen Schritte der kommunalen Ausländerbehörden nicht länger zu hintertreiben.

II. Der Landtag stellt fest,

  1. dass die 5 bestehenden Clearingstellen grundsätzlich nicht dazu beitragen, das Nicht­vorhandensein eines erforderlichen Krankenversicherungsschutzes sowie der erforder­lichen Existenzmittel von nicht erwerbstätigen Unionsbürgern gegenüber den kommu­nalen Ausländerbehörden anzuzeigen, und
  2. dass die Clearingstellen stattdessen dazu beitragen, gesetzliche Regelungen im Rah­men des EU-Freizügigkeitsrechts auszuhebeln und nicht-freizügigkeitsberechtigten Per­sonen so zu einem Bleiberecht zu verhelfen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. die Landesförderung für die 5 Clearingstellen in Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen, Köln und Münster nicht über das Haushaltsjahr 2022 hinaus zu verlängern;
  2. die kommunalen Ausländerbehörden, insbesondere in Städten mit einer hohen Zuwan­derung aus den EU2-Ländern, bezüglich der Möglichkeit des Entzugs der EU-Freizügig­keit bei fehlendem Krankenversicherungsschutz bzw. bei nicht ausreichenden Existenz­mitteln von nicht erwerbstätigen Unionsbürgern zu sensibilisieren;
  3. sicherzustellen, dass die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen nach den ersten drei Monaten regelmäßig entsprechende Überprüfungen vornehmen und sich das Vor­liegen der Voraussetzungen zur Freizügigkeit jeweils durch geeignete Nachweise der Betroffenen bestätigen lassen, und
  4. sicherzustellen, dass Personen, denen nach behördlicher Prüfung kein Recht auf Ein­reise und Aufenthalt zusteht, umgehend aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Die Ausreisepflicht ist gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen.

Enxhi Seli-Zacharias
Dr. Martin Vincentz
Sven Tritschler
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 Vgl. Lt.-Drucksache 16/5489

2 Vgl. Lt.-Protokoll 16/471

3 Vgl. Lt.-Vorlage 16/3783; S. 28 ff.

4 Vgl. https:// www.land.nrw/pressemitteilung/ministerin-steffens-landesweit-erste-clearingstelle-zur-verbesserung-der

5 Vgl. https: //www.gelsenkirchen.de/de/_meta/aktuelles/artikel/25562-clearingstelle- in-gelsenkirchen-geht-an-den-start

6 Vgl. Lt.-Drucksache 18/380; Anlage 4

7 Vgl. NRW-Haushalt 2022; Kapitel 07 080; Titelgruppe 68 und Erläuterungsband 07

8 Vgl. Lt.-Drucksache 17/15299

9 Vgl. Lt.-Drucksache 18/464; Kleine Anfrage 307

10 Vgl. https:/ /www.bundestag.de/resource/blob/578924/b7ceba61ea3aaec4e99793c57698e%20e9a/%20WD-3-331-18-pdf-data.pdf

11 Vgl. Drucksache 20-25/3293 vom 15.07.2022 https:// ratsinfo.gelsenkirchen.de/ratsinfo/ gelsenkir-chen/21222/Vm9ybGFnZW5kb2t1bWVudCAob2VmZmVudGxpY2gpIA==/14/n/135517.doc

12 Vgl. https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchen-streit-um-krankenversicherung-bei-auslaendern-id236322943.html

13 Vgl. https: //beratungsdienste.meinediakonie.de/de /page/5697070107197440/Clearing-stelle+zur+Sicherstellung+des+regelhaften+Zugangs+zum +Gesundheitsversorgungssystem

14 Vgl. Kleine Anfrage 320; Lt.-Drucksache 18/492

15 Zeitraum 21.09.2016 bis 31.03.2022

16 Vgl. https:/ /www.waz.de/staedte/gelsenkirchen /gelsenkirchen-hilfe-ohne-krankenversicherung-auf-pruefstand-id236007049.htm l