Kleine Anfrage 43
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias, Christian Loose, Markus Wagner und Prof. Dr. Daniel Zerbin vom 29.06.2022
Nennung des Islamischen Kulturvereins Bochum (IKV) im Verfassungsschutzbericht NRW
Am 14.03.2019 beschäftigte sich der Innenausschuss des Landtags NRW erstmals mit dem Islamischen Kulturverein Bochum (IKV) sowie mit der durch den IKV betriebenen Khaled-Moschee. In einem Bericht des Innenministers, Herbert Reul (CDU), an den Innenausschuss hieß es seinerzeit:
„Personelle und strukturelle Verbindungen des Vereins in den Extremismus werden im Rahmen des gesetzlichen Auftrags des Verfassungsschutzes untersucht. So wird der Verein auch als Anlaufstelle für Personen mit Bezügen zu beobachteten islamistischen Bestrebungen bewertet. Hierzu gehören neben salafistischen Bestrebungen vor allem Aktivitäten aus dem Spektrum der Muslimbruderschaft, zum Beispiel durch Auftritte von Referenten aus deren Umfeld, welche bereits mehrfach in der Khaled Moschee des IKV festgestellt wurden.“1
Recherchen einer Islamismusexpertin brachten im Jahre 2020 hervor, dass die Bezüge des IKV zum Spektrum der Muslimbruderschaft offenbar nicht nur auf externe Referenten beschränkt sind. So soll auch der Gemeinde-Imam über entsprechende Kontakte verfügen.2,3
Diesen Recherchen folgend gehört der Imam u.a. zu den Gründern der „Europäischen Versammlung der Imame und Prediger in Brüssel“. Unter den Gründern seien viele langjährig bekannte Personen, die Organisationen und Gremien aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft angehören.4
Zudem sei der Imam einer der Gründer des „Islamischen Zentrums Dinslaken 2009“, das – der Expertin folgend – ebenfalls dem gleichen Spektrum zugeordnet wird.
Des Weiteren soll es Verbindungen zum Rat der Imame und Gelehrten (RIGD) und dem Europäischen Institut für Humanwissenschaften (EIHW) geben. Beide Organisationen werden in den Berichten des hessischen Verfassungsschutzes5 aufgeführt, da sie dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft zugerechnet werden.6
Der Imam sei auch stellvertretender Vorsitzender des Hilfsvereins Marhama e.V. der durch eine Kooperation mit der türkischen Internationalen Humanitären Hilfsorganisation (IHH) aufgefallen sei. Die deutsche IHH ist seit 2010 durch eine Verfügung des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) verboten, u.a. auf Grund einer Unterstützung der Hamas.7
Im NRW-Verfassungsschutzbericht des Jahres 2020 wurde dann erstmals der Islamische Kulturverein Bochum namentlich erwähnt. Im Kapitel Muslimbruderschaft hieß es seinerzeit:
„Der Islamische Kulturverein Bochum e. V. stand im Berichtszeitraum aufgrund seiner Bezüge zur Muslimbruderschaft in der öffentlichen Kritik und war bemüht, durch einen Maßnahmenkatalog extremistische Einflüsse zu unterbinden. Die daraufhin durch den Verein initiierten Maßnahmen lassen zwar auf eine Reduzierung der Einflussmöglichkeiten von Islamisten schließen, es besteht aber weiterhin die Möglichkeit, dass sie auf die Ausrichtung des Vereins einwirken können. Es bleibt abzuwarten, ob der geäußerte Wunsch zur Reform dazu führt, dass weitere Maßnahmen des Vereins eine nachhaltige Unterbindung extremistischer Tendenzen zur Folge haben.“8
Die Stadt Bochum wurde durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz vor Erscheinen des Verfassungsschutzberichts über die aktuelle Einschätzung betreffend den IKV Bochum informiert.9 Im NRW-Verfassungsschutzbericht des Jahres 2021 erfolgte keine namentliche Benennung des IKV.10
Aus der fehlenden erneuten namentlichen Erwähnung im NRW-Verfassungsschutzbericht 2021 schließt man von Seiten des Bochumer Oberbürgermeisters Eiskirch (SPD) nun, dass der IKV offenbar Maßnahmen ergriffen habe, die Anlass für den Verfassungsschutz waren, den IKV nicht mehr in seinem Bericht zu nennen.11 Diese Erwähnung hatte seinerzeit dazu geführt, dass die Stadt Bochum von Plänen für den Bau einer „Grünen Moschee“ abgerückt ist. Die WAZ schließt daraus, dass die Befreiung von extremistischen Einflüssen dem IKV scheinbar bereits gelungen sei.
Der IKV-Vorsitzende spricht von Gesprächen mit den Sicherheitsbehörden, internen Workshops, der Entwicklung zielführender Maßnahmen und eingeleiteten Prozessen, ohne aber konkrete Maßnahmen zu benennen. Künftig soll ein Unvereinbarkeitsbeschluss gelten, wonach im Verein aktive Mitglieder erklären müssen, dass sie keinen verfassungsfeindlichen oder extremistischen Organisationen angehören.12 Da es sich bei der Muslimbruderschaft nicht z.B. um einen eingetragenen Verein – verbunden mit Mitgliedschaften – handelt, erscheinen die angestrebten Reformen zweifelhaft.
Festhalten will der Verein an seinen Plänen zum Bau eine Moschee an einem neuen Standort. Aktuell steht der Verein mit der Baubehörde in Verbindung, weil er auf dem erworbenen Gelände die bestehenden Bauten nutzen wolle.13 Dieser recht unkritische Umgang von Seiten des Bochumer SPD-Oberbürgermeisters passt zu Aussagen des örtlichen CDU-Kreisverbands, der noch nach der Veröffentlichung der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem geplanten Moschee-Neubau des IKV von einem „echten Gewinn für Bochum“ sprach.14
In Deutschland stellt die Deutsch Muslimische Gemeinschaft (DMG) die wichtigste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft dar. Die DMG gehörte bis zum 23. Januar 2022 dem Zentralrat der Muslime an, bevor sie von der Vertreterversammlung ausgeschlossen wurde. Wie dem NRW-Verfassungsschutzbericht 2021 zu entnehmen ist, bestehen Zweifel bezüglich substantieller Änderungen innerhalb der Gemeinschaft. So heißt es:
„Bislang ist eine glaubhafte und nachhaltige Distanzierung [von der Muslimbruderschaft] nicht erkennbar.“
Vor diesem Hintergrund ist auch der eher unkritische Umgang des ZMD-Landesvorsitzenden Bouissa (CDU) mit dem IKV zu bewerten, zu einem Zeitpunkt, als die DMG noch zum Zentralrat der Muslime gehörte.15
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Resultiert die fehlende namentliche Erwähnung des IKV im NRW-Verfassungsschutzbericht 2021 daraus, dass es im Berichtsjahr 2021 keine Bezüge zur Muslimbruderschaft mehr gegeben hat?
- Wurde die Beobachtung des IKV von Seiten des Verfassungsschutzes auf dieser Grundlage mittlerweile vollständig eingestellt?
- In welchem Umfang konnten im Berichtsjahr 2021 sowie im Jahre 2022 Bezüge des IKV zur Muslimbruderschaft, zu Mitgliedsorganisationen des Zentralrats der Muslime bzw. zur salafistischen Szene festgestellt werden?
- In welchem Umfang kann die Landesregierung die aufgeführten vermuteten Bezüge des Imams des IKV zu den genannten Organisationen bestätigen?
- Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung bezüglich möglicher Kontakte des neuen Imams des IKV ins islamistische Umfeld vor?
Enxhi Seli-Zacharias
Christian Loose
Markus Wagner
Prof. Dr. Daniel Zerbin
1 Vgl. Lt.-Vorlage 17/1816
2 Vgl. Lt.-Drucksache 17/9000
4 Ebenda
5 Vgl. https://innen.hessen.de/sites/innen.hessen.de/files/2021-09/lfv_bericht20_final_screen_100821_01.pdf ; S. 205, 206, 269, 272, 307
6 Ebenda
7 Ebenda
8 Vgl. Verfassungsschutzbericht NRW 2020; S. 262 f.
9 Vgl. Lt.-Drucksache 17/14971
10 Vgl. Verfassungsschutzbericht NRW 2021; S. 242 ff.
13 Ebenda
14 Vgl. Lt.-Drucksache 17/9868
15 Vgl. https://islam.de/30939
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 43 mit Schreiben vom 15. Juli 2022 namens der Landesregierung beantwortet.
- Resultiert die fehlende namentliche Erwähnung des IKV im NRW-Verfassungsschutzbericht 2021 daraus, dass es im Berichtsjahr 2021 keine Bezüge zur Muslimbruderschaft mehr gegeben hat?
- Wurde die Beobachtung des IKV von Seiten des Verfassungsschutzes auf dieser
Grundlage mittlerweile vollständig eingestellt?
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Über das Berichtsjahr 2021 liegen Erkenntnisse über Bezüge des IKV Bochum zur Muslimbruderschaft (MB) vor. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum konnte aber ein merklich verminderter Einfluss vonseiten der MB festgestellt werden. Obgleich der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die noch vorhandenen Bezüge des IKV Bochum zur MB und dem Salafismus im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages weiterhin beobachtet, rechtfertigten diese keine eigenständige Nennung im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2021.
- In welchem Umfang konnten im Berichtsjahr 2021 sowie im Jahre 2022 Bezüge des IKV zur Muslimbruderschaft, zu Mitgliedsorganisationen des Zentralrats der Muslime bzw. zur salafistischen Szene festgestellt werden?
Der „Zentralrat der Muslime“ (ZMD) ist kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Bezüge des IKV Bochum in den Islamismus sind in jüngerer Zeit sowohl quantitativ als auch qualitativ erheblich zurückgegangen. Ein prägender Einfluss durch Anhänger der Muslimbruderschaft ist aktuell nicht mehr feststellbar.
- In welchem Umfang kann die Landesregierung die aufgeführten vermuteten Bezüge des Imams des IKV zu den genannten Organisationen bestätigen?
- Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung bezüglich möglicher Kontakte des neuen Imams des IKV ins islamistische Umfeld vor?
Aufgrund des Sachzusammenhanges werden Frage 4 und 5 gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung erteilt grundsätzlich keine Auskunft über Einzelpersonen.