Neue Notunterkunft (NU) für Asylsuchende in Wattenscheid-Westenfeld – Bürgerbeteiligung und Transparenz unerwünscht?

Kleine Anfrage
vom 12.09.2023

Kleine Anfrage 2526

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Christian Loose AfD

Neue Notunterkunft (NU) für Asylsuchende in Wattenscheid-Westenfeld Bürgerbeteiligung und Transparenz unerwünscht?

Wie aus der Vorlage zu einem Ratsbeschluss der Stadt Bochum vom 24. August 2023 hervorgeht, ist das Land NRW im Zuge des geplanten Ausbaus der Landesunterbringungskapazitäten an die Stadt Bochum herangetreten.1 Im Zuge des Ratsbeschlusses wird die bisher als kommunale Flüchtlingsunterkunft geplante Einrichtung „Auf dem Esch“ im Bochumer Stadtteil Wattenscheid-Westenfeld zum 01.10.2023 an das Land NRW vermietet. Die Anlage soll perspektivisch ab dem ersten Quartal 2024 als Notunterkunft des Landes genutzt werden. Die Maximalbelegung soll sich dabei auf 300 Personen belaufen.

Bis zur Fertigstellung der Anlage als Notunterkunft soll die Anlage vom Land NRW als Erweiterung der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Bochum, ebenfalls mit einer Maximalbelegung von 300 Personen, fungieren und kurze Verweildauern (von wenigen Tagen) bis zur medizinischen Untersuchung, der Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung überbrücken.2

Bis zur angedachten Nutzung der Infrastruktur als Notunterkunft sind diverse Ausbaumaßnahmen erforderlich. Ansonsten sei eine Nutzung als Notunterkunft längerfristig nicht möglich. Vorgesehen ist in diesem Zusammenhang eine Erweiterung um einen doppelstöckigen Containerblock (2×8 Container) mit einer Fläche von 120m2 pro Etage. Diese Fläche soll später für Büros (Registrierung, Infopoint) und Betreuungsräume (z.B. Freizeit- und Sprachunterrichtsräume) genutzt werden.3

In diesem Zusammenhang hat der Rat der Stadt Bochum am 24. August 2023 gemäß § 83 GO NRW der überplanmäßigen Bereitstellung investiver Haushaltsmittel in Höhe von 1,25 Mio. EUR für die Erweiterung der Einrichtung „Auf dem Esch“ im investiven Budget des Amtes für Soziales zugestimmt. Die Kosten werden gemäß Ratsvorlage wie folgt aufgeschlüsselt:

Bauwerk/Baukonstruktion: 734.000 Euro

Bauwerk – Technische Anlage:           102.000 Euro

Baunebenkosten:                                 250.800 Euro

Risikozuschlag:                                    163.020 Euro

Rundung:                                                    180 Euro

Gesamtkosten gerundet:                 1.250.000 Euro4

Ursprünglich plante die Stadt Bochum zwei Vorratsflächen für „Krisen- und Katastrophenfälle“ einzurichten: „Auf der Heide“ in Altenbochum und „Auf dem Esch“ in Wattenscheid-Westenfeld. Diese sollten als Puffer, also bis zur Vermittlung in Wohnungen, dienen. Für die Beschaffung und den Aufbau von Unterkünften inklusive der Herrichtung des Geländes und möglicher Zusatzleistungen wie etwa Kauf oder Anmietung von Sanitärcontainern oder den Innenausbau von Unterkünften wurden investigative Mittel in Höhe von 4,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Umgesetzt wurden in diesem Zusammenhang folgende Maßnahmen5:

  • Kauf von 5 Thermo-Leichtbauhallen in zwei verschiedenen Größen in guter Qualität, um ggf. auch eine ganzjährige Nutzung ermöglichen zu können (hochwertig gedämmte Ausführung).
  • Kauf von 20 Wohnraumcontainern, insbesondere für die Einrichtung von Funktionsbereichen (Quarantäne, Sicherheit, Logistik, etc.).
  • Zunächst nur Teilaufbau von 2–3 Thermohallen, von denen eine nach Aufbau zur sofortigen Nutzung und die anderen zur Lagerung der restlichen Thermoleichtbauhallen dienen. (Dient der Kostenreduktion für den Fall, dass eine Belegung nicht notwendig wird)
  • Im Bedarfsfall können die restlichen Thermoleichtbauhallen kurzfristig aufgebaut werden. Weiterhin kann je nach Nutzungsabsicht zeitnah ein individueller Innenausbau erfolgen.

Inkludiert sind hierbei auch Nebenleistungen, wie die Herrichtung des Geländes, als auch weitere Zusatzleistungen wie zum Beispiel Kauf oder Anmietung von Sanitärcontainern oder der Innenausbau.

Insgesamt wurden somit aus dem kommunalen Haushalt der Stadt Bochum bereits Finanzmittel in Höhe von 5,65 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.

Nicht inkludiert sind bisher standortunabhängige Betreuungskosten, die erst im laufenden Betrieb anfallen, also Kosten für die soziale Betreuung, die Verpflegung oder die Reinigung. Bezugsfertig war die Einrichtung bereits am 31.03.2023, wobei allerdings noch kein Betreuungsdienstleister ermittelt wurde.

Die Refinanzierung der kompletten Anlage inklusive der noch vorzunehmenden baulichen Veränderungen erfolgt im Rahmen des Mietvertrages über das Land NRW. In den späteren Mietzins sollen sowohl die bereits getätigten Investitionen (5,65 Mio. Euro) als auch anstehende weiteren Maßnahmen sowie die Unterhaltungskosten der Einrichtung einfließen.

Was bei dem ganzen Prozess erneut „vergessen“ wurde, war die Einbindung der betroffenen Anwohner. Während zeitlich gerade noch passend zur Plenardebatte im Landtag NRW am 24. August 2023 der sogenannte Sechs-Punkte-Plan zur Stabilisierung des Landesaufnahmesystems vorgestellt wurde, inklusive  eines erweiterten Kommunikationskonzepts zur frühzeitigen Einbindung der Kommunen und Anwohner vor Ort, zeigte sich in Bochum noch am gleichen Tag, nur wenige Stunden später, anlässlich der Ratssitzung, wie „ernst“ es die Landesregierung mit diesem neuen Konzept meint.6

Die Einbindung der Bürger – etwa auch über die kommunale Bezirksvertretung – wäre dabei durchaus von Bedeutung gewesen, da dem Bezirk Wattenscheid in der Vergangenheit proportional bereits viele Asylsuchende zugewiesen wurden.

Zur fehlenden Einbindung der Anwohner kam verschlimmernd noch die sehr kurzfristige Einbindung der kommunalen Mandatsträger hinzu. So gingen den Ratsmitgliedern die entsprechenden Beschlussvorlagen und Mitteilungen der Verwaltung erst mit der 6. Änderung zur Tagesordnung am Tag der Ratssitzung zu, was eine angemessene Befassung mit dem Thema unmöglich machte. Eine Einbindung der zuständigen Bezirksvertretung in die Beratungsfolge wurde gar komplett ausgespart.

Im Schnelldurchgang wurde das Verfahren am 24. August durch den Stadtrat gebracht. In der entsprechenden Ratsvorlage heißt es:

„Die Aufträge für die Erweiterung sind unverzüglich nach Mittelbereitstellung durch die Zentralen Dienste auszuschreiben und zu erteilen, damit die Vereinbarung mit dem Land NRW (Bereitstellung der zusätzlichen Einrichtungen möglichst im ersten Quartal 2024) – unter Berücksichtigung der Vorlaufzeiten bis zur Inbetriebnahme der weiteren Flächen – umgesetzt werden kann. […] Auf Grund der bereits weit fortgeschrittenen Verhandlungen und dem angestrebten zeitnahen Beginn des Mietverhältnisses ist eine Verschiebung in einen späteren Gremienlauf leider nicht möglich.“7

Wenig vertrauensbildend ist zudem die Tatsache, dass der Rat der Stadt Bochum die erforderlichen Beschlüsse teilweise im nichtöffentlichen Teil und somit ohne die erforderliche Transparenz behandelt hat. Dem interessierten Bürger und der allgemeinen Öffentlichkeit bleiben somit wichtige Informationen gänzlich vorenthalten.8

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Warum wurden die Bürger Bochums oder zumindest die direkten Anwohner in Wattenscheid-Westenfeld nicht am Prozess der Eröffnung der neuen Notunterkunft des Landes NRW mit 300 Plätzen beteiligt, beispielsweise in Form eines Bürgerdialogs mit Vertretern der Stadt, der Bezirksregierung sowie der Landesregierung? (Bitte in diesem Zusammenhang auch auf die ausgebliebene Anwendung des eigenen Sechs-Punkte-Plans eingehen)
  2. Die Ereignisse rund um die Notunterkunft in Selm führten zu größeren Irritationen auf kommunaler Ebene, bis hin zum Landrat.9 Es wurde in diesem Zusammenhang gar die Unterbringungsart der Notunterkunft in Frage gestellt. Warum wurden vor diesem Hintergrund die kommunalen Mandatsträger in Bochum, insbesondere aber die direkt betroffenen Anwohner, nicht bzw. nicht angemessen in den Entscheidungsprozess eingebunden?
  3. Über welchen Zeitraum soll die Einrichtung „Auf dem Esch“ durch das Land NRW angemietet werden?
  4. Die Refinanzierung der kompletten Anlage inklusive der noch vorzunehmenden baulichen Veränderungen – insgesamt also 5,65 Mio. Euro – soll im Rahmen des Mietvertrages der Stadt Bochum mit dem Land NRW erfolgen. Wie hoch ist vor diesem Hintergrund die vereinbarte monatliche Miete, die das Land NRW gegenüber der Stadt Bochum leisten muss? (Bitte möglichst differenziert listen)
  5. Mit welchen monatlichen Kosten, die in der Mietzahlung nicht enthalten sind, kalkuliert die Landesregierung aktuell im laufenden Betrieb der genannten Einrichtung – also insbesondere für die Betreuungskosten und den Betreuungsdienstleister oder auch die Kosten für die Verpflegung und das Sicherheitspersonal? (Bitte alle monatlichen Kosten listen, die durch die Mietzahlung noch nicht abgedeckt sind)

Enxhi Seli-Zacharias
Christian Loose

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. https://bochum.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/ und

https://bochum .ratsinfomanagement.net/sdnetrim/Kostenschaetzung_Zusaetzliche_Massnahmen_Auf

_dem_Esch.pdf und

https://bochum .ratsinfomanagement.net/sdnetrim/Mitteilung_der_Verwaltung_20232157.pdf

2 Ebd.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Vgl. https://bochum.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/Beschlussvorlage_der_Verwaltung_2022 1016.pdf

6 Vgl. Tagesordnung zur Ratssitzung am 24.08.2023 https://bochum .ratsinfomanagement.net/tops/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZQ8DalBZlaXkoLknuVG h1tY Die Dokumente zur Notunterkunft wurden erst mit der 6. Änderung zur Tagesordnung am 24.08.2023 eingestellt

7 Vgl. https://bochum .ratsinfomanagement.net/sdnetrim/Finanzvorlage_investiv_oder_konsumtiv_20232153_4._Nachtrag.pdf

8 Vgl. https://bochum .ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZb8TabhDY-R2rooE-GPdulc5l66wCJGATTxCOFdpcnOl/Einladung_6._Nachtrag_Rat_24.08.2023.pdf ; Tagesordnungspunkt 5.2

9 Vgl. Lt.-Drucksache 18/5557


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 2526 mit Schreiben vom 18. Oktober 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwor­tet.

  1. Warum wurden die Bürger Bochums oder zumindest die direkten Anwohner in Wattenscheid-Westenfeld nicht am Prozess der Eröffnung der neuen Notunter­kunft des Landes NRW mit 300 Plätzen beteiligt, beispielsweise in Form eines Bür­gerdialogs mit Vertretern der Stadt, der Bezirksregierung sowie der Landesregie­rung? (Bitte in diesem Zusammenhang auch auf die ausgebliebene Anwendung des eigenen Sechs-Punkte-Plans eingehen)
  2. Die Ereignisse rund um die Notunterkunft in Selm führten zu größeren Irritationen auf kommunaler Ebene, bis hin zum Landrat. Es wurde in diesem Zusammenhang gar die Unterbringungsart der Notunterkunft in Frage gestellt. Warum wurden vor diesem Hintergrund die kommunalen Mandatsträger in Bochum, insbesondere aber die direkt betroffenen Anwohner, nicht bzw. nicht angemessen in den Ent­scheidungsprozess eingebunden?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Das Land hat mit der NU Bochum-Wattenscheid eine durch die Stadt Bochum errichtete und nicht genutzte Notunterkunft für Geflüchtete übernommen. Diese war bereits im Zeitpunkt der Aufnahme der Vertragsverhandlungen im April 2023 nahezu fertiggestellt und den Anwohne­rinnen und Anwohnern bekannt. Es handelt sich somit um keine neu zu errichtende Einrich­tung, sondern es erfolgte durch die Anmietung lediglich ein Wechsel des Nutzers und Betrei­bers von der Kommune auf das Land Nordrhein-Westfalen. Mit der Inbetriebnahme der NU Bochum am 15.09.2023 hat sich der ursprüngliche Nutzungscharakter als Notunterkunft für Geflüchtete nicht verändert. Die bereits seitens der Stadt Bochum vorgesehenen Unterbrin­gungsbedingungen (300 Plätze, Notunterkunftsstandard, Gemeinschaftsverpflegung) wurden nicht signifikant verändert.

Die kommunalen Bezirksvertretungen waren durch die Stadt Bochum eingebunden. Zuletzt befasste sich der Rat der Stadt Bochum in seiner Sitzung am 24.08.2023 mit der Anmietung der NU Bochum durch das Land.

https://bochum.ratsinfomanagement.net/tops/? =UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZQ8DalBZ-laXkoLknuVGh1tY

Die Anwohnerinnen und Anwohner wurden am 24.08.2023 durch eine Pressemitteilung der Stadt Bochum sowie einer Pressemitteilung der Bezirksregierung Arnsberg vom 15.09.2023 über die Anmietung informiert.

(https://www.bra.nrw.de/presse/landeserstaufnahmeeinrichtung-bochum-lea ).

Die Bezirksregierung Arnsberg ist als Betreiberin der NU Bochum sehr engagiert, ein konstruk­tives Miteinander zwischen Nachbarinnen und Nachbarn der Einrichtung und den Geflüchteten zu ermöglichen und steht selbstverständlich für einen Austausch zur Verfügung. Unabhängig davon wird die Anwohnerschaft bedarfsorientiert und transparent informiert werden. Die Kon­taktadresse lautet: asyl.ue-bochum-wattenscheid@bra.nrw.de

Ein Runder Tisch ist derzeit noch nicht in Planung.

  1. Über welchen Zeitraum soll die Einrichtung „Auf dem Esch“ durch das Land NRW angemietet werden?

Die Vertragslaufzeit beginnt am 01.10.2023 und endet am 30.09.2025. Es besteht die Mög­lichkeit, den Mietvertag drei Mal um jeweils ein Jahr zu verlängern.

In Abstimmung mit der Vermieterin wurde der Zeitpunkt der Inbetriebnahme auf den 15.09.2023 vorgezogen. Der Mietvertrag wurde durch eine Nutzungsvereinbarung hinsichtlich der Inbetriebnahme zum 15.09.2023 ergänzt.

  1. Die Refinanzierung der kompletten Anlage inklusive der noch vorzunehmenden baulichen Veränderungen insgesamt also 5,65 Mio. Euro soll im Rahmen des Mietvertrages der Stadt Bochum mit dem Land NRW erfolgen. Wie hoch ist vor diesem Hintergrund die vereinbarte monatliche Miete, die das Land NRW gegen­über der Stadt Bochum leisten muss? (Bitte möglichst differenziert listen)

Der Kaltmietzins für die Liegenschaft beträgt lt. Mietvertrag monatlich 242.000,00 Euro (Net­tomiete).

  1. Mit welchen monatlichen Kosten, die in der Mietzahlung nicht enthalten sind, kal­kuliert die Landesregierung aktuell im laufenden Betrieb der genannten Einrich­tung also insbesondere für die Betreuungskosten und den Betreuungsdienst-leister oder auch die Kosten für die Verpflegung und das Sicherheitspersonal? (Bitte alle monatlichen Kosten listen, die durch die Mietzahlung noch nicht abge­deckt sind)

Die Vorauszahlungen für Betriebs- und Verbrauchskosten belaufen sich auf zurzeit 52.500 Euro/Monat.

Aus vergabe- und wettbewerbsrechtlichen Gründen – auch für zukünftige Ausschreibungsver­fahren – können die Kosten für die Betreuungs-, Sicherheits- und Verpflegungsdienstleistun­gen nicht offengelegt werden.

 

MMD18-6426