Neue Töne von Seiten der Landesregierung: Ministerpräsident Hendrik Wüst regt „Ruanda-Lösung“ an – Wie positioniert sich die zuständige Ministerin für Flucht und Integration?

Kleine Anfrage
vom 14.11.2023

Kleine Anfrage 2880

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Neue Töne von Seiten der Landesregierung: Ministerpräsident Hendrik Wüst regt „Ruanda-Lösung“ an – Wie positioniert sich die zuständige Ministerin für Flucht und Integration?

Wie aus einem Bericht der Süddeutschen Zeitung hervorgeht, fordert der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), jetzt einen neuen Ansatz mit Asylverfahren außerhalb Europas ernsthaft zu diskutieren.1

„Irreguläre Migration muss beendet werden, damit wir denjenigen Menschen gerecht werden können, die wirklich unsere Hilfe brauchen, weil sie vor Krieg und Vertreibung fliehen“, sagte Wüst der Süddeutschen Zeitung.

Wüst fordert daher – analog zum „Ruanda-Modell“ –, dass gegen finanzielle Zusagen Abkommen geschlossen werden, damit Flüchtlinge nach einem Aufgreifen in Europa direkt in Partnerländer entlang der Fluchtrouten gebracht werden, „damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden“.

„Das heißt, die, die keinen Schutzstatus erwarten können, kommen erst gar nicht in unser Land. Dabei müssen wir diese Partnerländer finanziell unterstützen. Es geht um Abkommen mit Leistung und Gegenleistung“, sagte Hendrik Wüst. Daher sollten ähnliche Abkommen wie das EU-Türkei-Abkommen mit weiteren Staaten geschlossen werden – etwa in Nordafrika. „Der Partnerstaat soll sich dazu bereit erklären, jeden, der irregulär die See- und Landgrenzen von seinem Land in Richtung der Europäischen Union überschreitet, wieder zurückzunehmen.“

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, räumen selbst linke SPD-Abgeordnete mittlerweile ein, dass die bisher geplanten Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Zahlen zu begrenzen, die Kommunen zu entlasten und zu verhindern, dass die Stimmung im Lande vollends kippt. Sie verweisen auf Modelle wie in Großbritannien, wo die Regierung beabsichtigt, Asylbewerber nach Ruanda zu schicken, damit dort rechtsstaatliche Verfahren stattfinden.

Die neuen Töne sind wohlfeil und erinnern doch sehr an die Positionierung der AfD in dieser Frage: „Soweit Asylbewerber trotz des Grenzschutzes nach Deutschland gelangen, müssen ihre Asylverfahren in einem dazu bereiten Drittstaat durchgeführt werden, wo sie im Falle der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit auch Aufnahme finden („Ruanda-Modell“). […] International setzen wir auf eine verstärkte Zusammenarbeit bei der heimatnahen Versorgung von echten Flüchtlingen und beim Aufbau von Schutzzentren vor Ort.“ (Quelle: EU-Wahlprogramm AfD)

Es stellt sich allerdings die Frage, wie nachhaltig dieser plötzliche Sinneswandel des Ministerpräsidenten ist. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es von Seiten der Landesregierung in der laufenden Legislaturperiode bisher keine Initiativen gab, die auf eine Verschärfung der Migrationspolitik hindeuten.

Folgerichtig wurde von Seiten des grünen Koalitionspartners bereits Widerstand laut.2 „Klar muss aber sein, dass der individuelle Anspruch auf Asyl und rechtssichere Verfahren handlungsleitend bleiben müssen“, erklärte eine Sprecherin von Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) gegenüber der WAZ. Der flüchtlingspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion ergänzte: „Die meisten Geflüchteten, die bei uns Schutz suchen, fliehen vor Krieg, Terror und Verfolgung und haben einen Anspruch auf Schutz. Daran ändern auch politische Gedankenspiele nichts, zumal grundlegende Menschenrechte eingehalten werden müssen.“3

Da die meisten Migranten, die in Deutschland einen Asylantrag stellen – im Transit über mehrere sichere Länder – schlussendlich über Österreich, Tschechien oder Polen nach Deutschland „einreisen“, aus sicheren Drittstaaten also, stellt sich bei letzterer irritierender Aussage die Frage, inwiefern es in diesen Ländern Krieg, Terror oder Verfolgung gibt. Die Antwort hierzu, warum also die Missachtung der Dublin-III-Verordnung dauerhaft hingenommen werden soll, muss daher offenbleiben.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Inwiefern soll nach Ansicht des Ministerpräsidenten die angeregte „Ruanda-Lösung“ auch bei versuchten Einreisen in das Bundesgebiet zur Anwendung kommen?
  2. Den Ausführungen der Ministerpräsidenten ist zu entnehmen, dass Flüchtlinge nach einem Aufgreifen in Europa direkt in Partnerländer entlang der Fluchtrouten gebracht werden sollen, damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden. An welche inner- bzw. außereuropäische Länder denkt der Ministerpräsident hierbei?
  3. Inwiefern hat der Ministerpräsident diesen migrationspolitischen Ansatz bei vorangegangenen Bund-Länder-Treffen bzw. MPK aktiv vertreten und in die Diskussion eingebracht?
  4. Wann ist von Seiten der Landesregierung mit einer entsprechenden Bundesratsinitiative zu rechnen?
  5. Wie positioniert sich die zuständige NRW-Ministerin für Flucht und Integration im Rahmen dieser migrationspolitischen Neuausrichtung?

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-6749

 

1 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/asylverfahren-wuest-duerr-gipfel-1.6296250 Datum des Originals: 13.11.2023/Ausgegeben: 14.11.2023

2 Vgl. https://www.waz.de/politik/landespolitik/asylverfahren-ausserhalb-europas-so-reizt-wuest-die-gruenen-id239923639.html

3 Ebd.


Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage 2880 mit Schreiben vom 18. Dezember 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

  1. Inwiefern soll nach Ansicht des Ministerpräsidenten die angeregte „Ruanda-Lö­sung“ auch bei versuchten Einreisen in das Bundesgebiet zur Anwendung kom­men?
  2. Den Ausführungen der Ministerpräsidenten ist zu entnehmen, dass Flüchtlinge nach einem Aufgreifen in Europa direkt in Partnerländer entlang der Fluchtrouten gebracht werden sollen, damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechts­staatlichen Regeln stattfinden. An welche inner- bzw. außereuropäische Länder denkt der Ministerpräsident hierbei?
  3. Inwiefern hat der Ministerpräsident diesen migrationspolitischen Ansatz bei vo­rangegangenen Bund-Länder-Treffen bzw. MPK aktiv vertreten und in die Diskus­sion eingebracht?
  4. Wann ist von Seiten der Landesregierung mit einer entsprechenden Bundesrats­initiative zu rechnen?
  5. Wie positioniert sich die zuständige NRW-Ministerin für Flucht und Integration im Rahmen dieser migrationspolitischen Neuausrichtung?

Die Fragen 1 – 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Herr Ministerpräsident hat im Rahmen der aktuellen migrationspolitischen Debatte den Vor­schlag aufgegriffen, Asylverfahren auch in Drittstaaten durchzuführen. Hintergrund ist, dass die Durchführung der Verfahren und die Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln be­reits vor der Einreise nach Europa bzw. Deutschland dazu beitragen könnten, dass Menschen, die keine Aussicht auf die Erlangung eines Schutzstatus haben, die Flucht nach Europa gar nicht erst antreten.

Die Landesregierung ist sich bewusst, dass eine solche Vorgehensweise in der Umsetzung sowohl hinsichtlich der vor Ort zu gewährleistenden rechtsstaatlichen und humanitären Anfor­derungen, wie auch der logistischen Herausforderungen anspruchsvoll ist. Hinzu kommt, dass in einem ersten Schritt Partnerländer gefunden werden müssen, die zu einer derartigen Zu­sammenarbeit bereit sind.

Gleichwohl sollten sämtliche Optionen in den Blick genommen und abgewogen werden, um zu verhindern, dass Menschen sich auf einen für sie im schlimmsten Falle lebensgefährlichen Weg nach Europa und nach Deutschland begeben, die offensichtlich keine Bleibeperspektive haben. Zudem wäre im Falle des Rückgangs der Zahl der Einreisenden perspektivisch ein Beitrag zur Entlastung der Kommunen zu erwarten.

Der Vorschlag ist auch im Rahmen der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungs­chefs von Bund und Ländern am 06.11.2023 diskutiert worden. Im Ergebnis wird die Bundes­regierung prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.

Der Abschluss dieser Prüfung und die diesbezüglichen Vorschläge der Bundesregierung blei­ben abzuwarten. Die Landesregierung wird sich bei Vorliegen etwaiger Initiativen der Bundes­regierung zu ihrer jeweiligen Positionierung abstimmen. Dem kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgegriffen werden.

 

MMD18-7465