Risikopotentiale für Extremwetterereignisse identifizieren – Vorbeugende Maßnahmen für zukünftige Flutkatastrophen zügig umsetzen

Antrag
vom 31.08.2021

Antragder AfD-Fraktion vom 31.08.2021

 

Risikopotentiale für Extremwetterereignisse identifizieren Vorbeugende Maßnahmen für zukünftige Flutkatastrophen zügig umsetzen

I. Ausgangslage

Die Starkregenereignisse, die Mitte Juli 2021 zu schweren Überflutungen auch in Nordrhein-Westfalen geführt und viele Gemeinden und Regionen wie z.B. Erftstadt, Bad Münstereifel, Wuppertal, Hagen oder die Städteregion Aachen getroffen haben, verdeutlichen einen schon lange bekannten Handlungsbedarf. Nicht nur, dass kleine Flüsse und Bäche zu reißenden Strömen wurden, auch versiegelte städtische Flächen wurden von Überflutungen getroffen.

Dies ist unabhängig davon, ob es sich dabei um die Auswirkungen des Klimawandels oder um Wetterereignisse handelt. Die Frage, wie Hochwasserentwicklungen und mit ihnen einherge­hende Schäden zu verhindern sind, gehört zu den klassischen Themen des Bereichs planeri­scher, vorbeugender Maßnahmen der Landes-, Regional- und Bauleitplanung .

Die Themen Unwetter, Hochwasser oder Starkregenereignisse sind nicht neu. Seit Jahren wird dazu geforscht, und es liegt eine Vielzahl von Vorschlägen vor, wie vorbeugend mit solchen Ereignissen umzugehen ist. So sind beispielsweise vom Bundesumweltamt bis zum Bundes­institut für Bau, Stadt- und Raumforschung bereits umfangreiche Planungshilfen erarbeitet worden. Schon im Jahre 2016 legte das Umweltbundesamt eine Praxishilfe zu Anpassungs­strategien für Siedlungsstrukturen an den Klimawandel vor.1

In einer weiteren aktuell veröffentlichten Studie wird zur Identifizierung von möglichen Risiko­gebieten festgestellt:

„Welche Flächen bei Starkregenereignissen überflutet werden können, lässt sich in Starkre-gengefahrenkarten darstellen, welche auf kommunaler Ebene teilweise bereits existieren und sich bislang unterschiedlicher Modellierungsansätze bedienen.“2

In Bezug auf die klassische Fragestellung des Hochwassers wird festgestellt:

„Welche Gebiete potentiell durch Hochwasser wie stark betroffen sind, wird in Hochwasserge­fahren- bzw. Hochwasserrisikokarten der Bundesländer beschrieben.“3

Hierbei wird in der Regel eine Jährlichkeit eines Jahrhunderthochwassers zu Grunde gelegt. Auch die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) hat sich auf ihrer 155. LAWA-Vollversammlung am 27/28. September 2018 in Weimar auf „Empfehlungen zur Aufstellung von Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisikokarten“ verständigt.

Im Bundesland Nordrhein-Westfalen ist dieses Thema von verschiedenen Lehrstühlen an den Universitäten ebenfalls behandelt worden. Selbst der vorliegende Landesentwicklungsplan NRW oder die Regionalpläne enthalten Vorgaben zu Hochwasser oder Starkregen, die auf der Ebene der Kommunen umzusetzen wären. Da wird dann von der Zielsetzung einer klima-resi-lienten Stadt gesprochen.

Erst im Sommer dieses Jahres haben die CDU- und die FDP-Fraktion hierzu einen plakativen Antrag im Plenum eingebracht. Da hieß es u.a.:

„Die Anpassung an den Klimawandel stellt Kommunen vor besondere Herausforderungen. Hitze, Stürme und Dürre, aber auch Starkregenereignisse, Hagel und Hochwasser erfordern eine klare Strategie. Für Nordrhein-Westfalen prognostizieren Klimamodelle eine Tempera­turzunahme von 2,8 bis 4,4 Grad Celsius für den Zeitraum 2071- 2100 (in Bezug auf den Zeit­raum 1971-2000).“4

Und im Landesentwicklungsplan (LEP NRW) wird im Grundsatz 6.1-7 unter dem Titel „Ener­gieeffiziente und klimagerechte Siedlungsentwicklung“ unter anderem gefordert:

„Die räumliche Entwicklung soll die bestehende Vulnerabilität des Siedlungsraums gegenüber Klimafolgen – insbesondere Hitze und Starkregen – nicht weiter verschärfen, sondern die Wi­derstandsfähigkeit des Siedlungsraums stärken und dazu beitragen, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.“

In diesen Bereichen ist man auch auf Gemeindeebene längst tätig. So hat sich z.B. die Stadt Siegen mit der Gefahreneinschätzung für die Bebauung in bestimmten Lagen der Stadt aus­einandergesetzt. Hierzu hat Prof. Jürgen Jensen vom Forschungsinstitut Wasser und Umwelt der Universität Siegen eine Computer-Simulation entwickelt, um die Auswirkungen von Stark­regen in einem Stadtgebiet (eben am Beispiel der Stadt Siegen) präzise vorherzusagen5. Es können damit verschiedene Regenmengen simuliert, ihre Auswirkungen auf die Hochwasser­situation nachvollzogen und Gefahrenpunkte identifiziert werden. Und dann weiß man, was man als Stadt tun sollte und wo der einzelne Grundstückseigentümer vorgewarnt sein muss!

Die letzten Unwetterereignisse haben deutlich gemacht, dass nicht nur die großen Flüsse mit ihren Überschwemmungen im Fokus stehen müssen, sondern dass z.B. auch Messpegel an kleinen Flüssen erforderlich sind.

Hier steht die Forschung noch am Anfang, aber es ist z.B. ein Projekt „Künstliche Intelligenz für die Hochwasserwarnung“ (KIWA) in Bearbeitung. Bis März 2024 soll mit Hilfe KI-basierter Analysen ein Hochwasserwarnsystem entwickelt werden.6

Dieses würde dann das Europäisches Hochwasserwarnsystem EFAS (European Flood Awa-reness System) ergänzen. Generell ist jedoch das bestehende Warnsystem zu evaluieren. Vor Unwettern warnt der Deutsche Wetterdienst. Diese Warnungen werden an die Bundesländer weitergegeben und von den Hochwasserzentralen der Bundesländer an die Kommunen, die ja die Entscheidungen treffen.7

Im zweiten fortgeschriebenen Bericht „Hochwasserereignisse Mitte Juli 2021“ (zu Landtags-Vorlage 17/5485) für die Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz heißt es: „Aufgrund der aus den DWD-Daten nichtableitbaren Wettersitua­tion war weder eine frühere noch eine eindringlichere Warnung als geschehen, möglich.“ Und weiter heißt es, der Hochwasserinformationsdienst des Landesumweltamts (LANUV) ist „sei­ner Aufgabe während der Flutkatastrophe vollumfänglich nachgekommen“.8 Gleichzeitig sieht sich der Deutsche Wetterdienst (DWD) zu einer Stellungnahme zur Warn- und Beratungsakti­vität für das Land Nordrhein-Westfalen während des Tiefs „Bernd“ veranlasst.9 Darin weist der DWD die pauschale Aussage zurück, nicht konkret genug auf das Unwetter aufmerksam ge­macht zu haben. Eine Überprüfung und Verbesserung der Meldekette ist bei zwei Institutionen mit widersprüchlichen Darstellungen dringend geboten.

Vorbeugende Maßnahmen für unterschiedliche Risiken lassen sich somit auf verschiedenen Ebenen angehen, die von objektbezogenen Maßnahmen über städtebauliche bis hin zur Re­gional- und Landesplanung reichen.

II. Lösungsmöglichkeiten

Handlungserfordernisse und die Notwendigkeit der Umsetzung wirklich greifender Maßnah­men bestehen in vielfacher Weise. Sie reichen von einer Überarbeitung der Warnsysteme bis hin zu einer räumlich differenzierten Risikoanalyse und zu dafür abgeleiteten baulichen, pla­nerischen und weiteren Aktivitäten:

– Organisatorische Maßnahmen, die dazu führen, die einseitige Kommunikation innerhalb der Meldekette zu modernisieren und Nachrichten mit einer Lesebestätigung zu versehen sowie die Weiterentwicklung der Warnung der Bevölkerung voranzutreiben.

– Vorgaben für ein risikogerechtes Baurecht mit baulichen Maßnahmen, die von Rückstau-klappen und Hebeanlagen bis hin zu gesicherten Kellerfenster- und Kellerzugängen rei­chen können.

– Vorgaben für städtebauliche Maßnahmen: Rückzugsräume für Wasser, größere Abstände zu Flüssen, Rückhaltebecken, Geländeanhebungen durch Aufschüttung, hangsicheres Bauen, Geröllwände, andere Fundamente, Entsiegelung und Rückbau, Flächen, die Was­ser speichern10 („Schwammstadt“).

– Fach- und raumordnerische Maßnahmen zur Identifizierung und zur Sicherung von Gebie­ten, die von Extremwetterereignissen betroffen sind und sein werden.

– Finanzielle Maßnahmen durch die Erhöhung des Etats für den technischen Hochwasser­schutz und wasserwirtschaftliche Vorarbeiten, Überschwemmungsgebiete, naturnahe Wasserbau, etc.

Die Handlungsmöglichkeiten reichen also von mehr unbebauten Überflutungsflächen in den Städten, mehr innerstädtischen Wasserflächen, mehr Bepflanzung bis zur Entsiegelung von Flächen. Gern wird neuerdings dann vom Ziel der „Schwammstadt“ geredet.

III. Der Landtag stellt fest:

Die Extremwetterereignisse im Juli dieses Jahres haben verdeutlicht, dass eine verbesserte Risikoanalyse und die Umsetzung von vorbeugenden Maßnahmen auf allen Ebenen dringend geboten sind.

IV. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. kurzfristig eine Evaluierung der Extremwetterereignisse durchzuführen und zeitnah nach den Herbstferien 2021 ein Handlungskonzept vorzulegen;
  2. die Meldekette, die vom Empfang der DWD-Unwetterwarnung bei der Hochwassermelde-zentrale einerseits sowie der Beurteilung der Hochwasserlage (Online-Information, HY-GON, HyLA) andererseits bis zur Öffentlichkeit, zu den Bezirksregierungen sowie zu den Kreisen und kreisfreien Städten reicht, zu modernisieren und zu verbessern;
  3. die Alarmsysteme (Sirenen, Nina-WarnApp) zu evaluieren und notwendige Maßnahmen zu veranlassen;
  4. die Landesbauordnung auf mögliche vorbeugende Maßnahmen zu überprüfen und zeitnah Vorschläge für eine Änderung des Gesetzes vorzulegen;
  5. im Rahmen einer Überarbeitung des Landesentwicklungsprogramms NRW notwendige Vorgaben einzufügen, die einen umfassenden Hochwasserschutz an allen Gewässern mit Risikopotential gewährleisten und sicherstellen;
  6. eine räumliche Konkretisierung von vorbeugenden Schutzmaßnahmen (Retentionsflä-chen, Ausbau von Wasserrückhaltekapazitäten, etc.) in der Regionalplanung zeitnah an­zugehen und durch Fachplanungsbeiträge zu unterstützen und
  7. den Etat für Hochwasserschutz und wasserwirtschaftliche Vorarbeiten (Kapitel 10 050 Ti­telgruppe 66) um 20 Mio. Euro dauerhaft zu erhöhen.

Roger Beckamp
Dr. Christian Blex
Christian Loose
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

 

 

3 Ebenda, S. 41

4 Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Stadtentwicklung – Ökologisch, energieeffi­zient und nachhaltig. Mehr Natur beginnt vor der eigenen Haustür. Natur-basierte Lösungen fördern und vorantreiben.in: Landtag NRW, Drucksache 17/14067 08.06.2021, S.1

5 Ibid Andreas Fasel, Guido M. Hartmann und Stefan Laurin: Das große Aufräumen, in: DIE WELT am SONNTAG vom 25 Juli 2021, S. 4 NRW

6 Gerade an kleinen Flüssen fehlen Meßpegel, In: DIE WELT am SONNTAG vom 25. Juli 2021, S. 3

7 Vgl. Jonas Herman, Oliver Maskan: Auf der Suche nach den Schuldigen, in: Neue Züricher Zeitung vom 21. Juli 2021, S. 1

8 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/hochwasser-flutkatastrophe-konsequenzen-100.html

9 https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2021/20210825_dwd_stellungnahme_kri-tik_news.html

10 Vgl. Kristian Frigelej: Aus fürs Einzelhaus?“ Wehre mich dagegen, eine Lebensweise zu diffamie­ren“, in: DIE WELT vom 24. Juli 2021, S.