Soforthilfe für Vergewaltigungsopfer durch Krankenhäuser. Wo steht Nordrhein-Westfalen?

Kleine Anfrage
vom 25.07.2023

Kleine Anfrage 2174

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias, Dr. Martin Vincentz und Markus Wagner AfD

Soforthilfe für Vergewaltigungsopfer durch Krankenhäuser. Wo steht Nordrhein-Westfalen?

Zu ihrem zehnjährigen Bestehen hat die Initiative „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ eine positive Bilanz gezogen. Das im Jahr 2013 in Frankfurt gestartete Modellprojekt zählt mittlerweile 36 teilnehmende Krankenhäuser und konnte mehr als 1100 Frauen medizinisch versorgen. Die Initiative ermöglicht von einer Vergewaltigung betroffenen Frauen und Mädchen schnelle und unbürokratische medizinische Versorgung. Dabei muss keine Anzeige bei der Polizei erfolgen, wodurch die Hemmschwelle für die Wahrnehmung der Hilfe und eine anschließende Spurensicherung im Krankenhaus möglichst gering ist.1

Die 36 teilnehmenden Krankenhäuser befinden sich in Hessen, Sachsen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Weitere Bundesländer nehmen derzeit nicht teil, die Initiative nimmt aber jederzeit neue Modellregionen auf.2

Wie wichtig eine solche Initiative ist, zeigt sich mit Blick auf die Anzahl an Vergewaltigungen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2022. Auf Anfrage der AfD-Abgeordneten Markus Wagner und Enxhi Seli-Zacharias antwortete die Landesregierung (Lt.-Drucksache 18/4076), dass im Jahr 2022 2.949 Fälle erfasst wurden. 2021 hatte die Zahl noch 2.355 Fälle betragen. Die Anzahl und der Anstieg der Fälle zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Eine Initiative wie „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ ist eine gute Möglichkeit, Betroffenen durch ein niedrigschwelliges Angebot zu helfen.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Initiative „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“?
  2. Bestehen Planungen, Nordrhein-Westfalen zu einer Modellregion der Initiative zu machen?
  3. Gibt es vergleichbare Initiativen, an denen NRW bereits teilnimmt?
  4. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um gegen die steigende Anzahl an Vergewaltigungen vorzugehen?
  5. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um das Dunkelfeld weiter aufzuhellen?

Enxhi Seli-Zacharias
Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner

 

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1 https:// www .welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/panorama_nt/article245692156/36-Krankenhaeuser-bieten-Soforthilfe-nach-Vergewaltigung.html.

2 https:// www .soforthilfe-nach-vergewaltigung.de/.


Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 2174 mit Schrei­ben vom 1. September 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration und dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Initiative „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“?

Die Gewährleistung einer flächendeckenden und qualitativ gesicherten Versorgung von Be­troffenen von sexualisierter Gewalt ist der Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Dement­sprechend befürwortet die Landesregierung jegliche Art der Unterstützung für Opfer von se­xualisierter Gewalt. Die oben genannte Initiative hat die Schaffung einer guten Versorgungs­struktur für Opfer mit Zugang zu medizinischer Versorgung und bei Wunsch die Befundsiche­rung zum Ziel. Diese Ziele stehen auch im Einklang mit den Bestrebungen der Landesregie­rung. Eine weitergehende Bewertung steht der Landesregierung nicht zu.

  1. Bestehen Planungen, Nordrhein-Westfalen zu einer Modellregion der Initiative zu machen?

Es bestehen keine Planungen in der Landesregierung, Nordrhein-Westfalen zu einer Modell­region der oben genannten Initiative zu machen. Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen.

  1. Gibt es vergleichbare Initiativen, an denen NRW bereits teilnimmt?

Um Betroffenen auch zu einem späteren Zeitpunkt eine Anklageerhebung mit ausreichenden Beweisen zu ermöglichen, unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen örtliche und regionale Kooperationen zur anonymen Spurensicherung nach sexualisierter Gewalt an Frauen und Mädchen mit Fördermitteln. Ziele des Förderprogramms sind die Unterstützung der Arbeit der bereits bestehenden Kooperationen und der Aufbau neuer Kooperationen in nicht versorgten Gebieten. Im Jahr 2022 wurden 28 Anträge sogenannter ASS-Kooperationen zur Versorgung von 30 kreisfreien Städten beziehungsweise Kreisen zur Förderung bewilligt.

Das Opferschutzportal Nordrhein-Westfalen bietet Opfern von Gewalt, deren Angehörigen und Interessierten oder professionell mit Opferschutz Befassten schnelle Hilfe, bündelt Informatio­nen und Angebote des Landes Nordrhein-Westfalen auf einer Seite und führt zielgruppen-oder themenbezogen zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten. Es steht neben der deutschen Sprache vollumfänglich in Englisch, Französisch, Türkisch, Arabisch, Ukrainisch und Russisch zur Verfügung. Auf der Seite des Opferschutzportals Nordrhein-Westfalen können Betroffene auch Informationen zu dem Angebot der anonymen Spurensicherung sowie einen Überblick über die Kliniken, die im Rahmen der landesweiten

Förderung örtlicher/regionaler Kooperationen für eine anonyme Spurensicherung zur Verfü­gung stehen, erhalten (siehe bitte hierzu: https://www.opferschutzportal.nrw/themen-von-z/anonyme-spurensicherung-ass).

Mit der Fortsetzung der Förderung des Projektes „iGOBSIS (intelligentes Gewaltopfer-Beweis-sicherungs- und –Informationssystem)“ der Rechtsmedizin der Universitätsklinik Düsseldorf hat die Landesregierung einen wichtigen Schritt zur Erreichung des Ziels flächendeckender ASS-Angebote bereits vollzogen. Das webbasierte System erleichtert den leistungserbringen­den Kliniken die Sicherung und Dokumentation der Spuren und dient durch Fortbildungen und eine on-demand-Beratung der Qualitätssicherung.

Darüber hinaus ist gemäß § 132 k SGB V in Verbindung mit § 27 Absatz 1 Satz 6 SGB V die vertrauliche Spurensicherung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen auf­genommen worden. Für die Übernahme von Kosten, die in den Kliniken anfallen, sind Ver­tragsabschlüsse zwischen den Krankenkassen oder ihren Landesverbänden mit dem Land und einer hinreichenden Anzahl von geeigneten Einrichtungen über die Erbringung von Leis­tungen erforderlich. Die Vertragsverhandlungen laufen derzeit unter Federführung des Landes Nordrhein-Westfalen. Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist in entscheidenden Punkten be­reits Konsens erzielt worden. Ein Abschluss der Vertragsverhandlungen wird für das 2. Halb­jahr 2023 erwartet.

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um gegen die steigende Anzahl an Vergewaltigungen vorzugehen?

Der Schutz für von sexueller Gewalt betroffene Frauen und Mädchen hat für die Landesregie­rung Nordrhein-Westfalen eine hohe Bedeutung. Aus diesem Grund werden in allen 19 Staats­anwaltschaften des Landes Verfahren bei Verdacht einer Straftat wegen sexualisierter Gewalt von besonders geschulten und erfahrenen Sonderdezernentinnen und Sonderdezernenten bearbeitet und konsequent zur Anklage gebracht, wenn die Ergebnisse der Ermittlungen dies zulassen.

Die Polizei Nordrhein-Westfalen begegnet jeder Form der sexuellen Gewalt bei Bekanntwer­den mit einer konsequenten Strafverfolgung sowie mit einer an den Bedürfnissen der Opfer ausgerichteten Opferunterstützung und Opferbetreuung.

In der Kriminalistisch-Kriminologischen Forschungsstelle des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen wurde im Zeitraum 2018 bis 2022 das Forschungsprojekt „Sexuelle Gewalt gegen Frauen“ durchgeführt. Das Projekt befasst sich mit Sexualstraftaten gegenüber Frauen durch Männer, die sich zum Tatzeitpunkt nicht oder lediglich flüchtig kannten. Im Fokus des Projektes stehen sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen gemäß § 177 StGB. Im Rahmen des Projektes wurden Erkenntnisse zur Kriminalitätslage und -entwicklung, zur Phänomenologie, zu Opfer- und Tätermerkmalen, zur polizeilichen Sachbearbeitung sowie zum Opferschutz und Opfer-bedürfnissen im Strafverfahren erhoben. Aktuell werden die wei­teren Ergebnisberichte mit Implikationen für die Praxis erstellt. Letztere beziehen sich auf die täter-, opfer- und situationsspezifische Prävention, den Opferschutz sowie die polizeiliche Sachbearbeitung. Die Fertigstellung der Berichte erfolgt im Jahr 2023. Die Erkenntnisse und wissenschaftlichen Implikationen für die Praxis werden in die weitere Maßnahmenplanung der Polizei Nordrhein-Westfalen einfließen.

Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen stellt auch weiterhin Präventionshinweise für Bürgerinnen und Bürger, unter anderem zu Gewalt und zu Kriminalitätsphänomenen, über die Internetseiten der Polizei und über die Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen zur Ver­fügung. Ebenso beteiligt sich das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen an der Fortentwick­lung des Projekts „Ist Luisa hier?“. Das Projekt „Ist Luisa hier?“ des Frauennotrufs Münster stellt ein niederschwelliges Angebot für Frauen dar, um sich bei z. B. Belästigungen in Clubs und Gaststätten einfach Hilfe holen zu können. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hat die Kreispolizei-behörden über die Kampagne informiert und informiert über die Fortent­wicklung. Die Kreispolizeibehörden unterstützen die Aktivitäten im Rahmen der eigenen Zu­ständigkeit. Darüber hinaus wurden und werden alle Landeskriminalämter über die Kampagne und die Fortentwicklung informiert.

In seinen Dienstbesprechungen informiert das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen fort­laufend regelmäßig über Aktionen und Angebote anderer Verantwortungsträger und informiert ebenfalls auf den Seiten von polizei-beratung.de (ProPK) über das Thema „Vergewaltigung“.

In Anlehnung an die Aktionswoche zum Thema Gewalt gegen Frauen anlässlich des 25. No­vember 2023 (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen), die erstmalig im Jahr 2021 durch­geführt worden ist, ist in diesem Jahr eine ähnlich gestaltete Aktionswoche in Planung. Insbe­sondere soll eine mit allen an der Aktionswoche beteiligten Akteurinnen gemeinsame Öffent­lichkeitsarbeit im Zeitraum der Aktionswoche über Social-Media-Kanäle erfolgen, um die Öf­fentlichkeit auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen, zu sensibilisieren und damit auch präventiv zu wirken. Selbstverständlich sind auch die vom Land geförderten Frauenhäuser, allgemeinen Frauenberatungsstellen und Fachberatungsstellen gegen sexua­lisierte Gewalt im Bereich der Prävention aktiv tätig, sei es durch Pressearbeit, Aktionen, Be­teiligung an Kampagnen, durch Vorträge oder Seminare.

Das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen fördert darüber hinaus jährlich die Arbeit der örtlichen und regionalen Runden Tische, Arbeitskreise und Kooperationen gegen Gewalt an Frauen. So können unter anderem Mittel für Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und für Veranstaltungen zu verschie­denen Themenbereichen der Gewalt zur Verfügung gestellt werden. Außerdem ermöglicht das Förderprogramm seit 2017 auch die Durchführung von Selbstbehauptungs- und Selbstvertei-digungskursen für Frauen und Mädchen mit dem Ziel der Stärkung und Erweiterung von Hand­lungskompetenzen.

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um das Dunkelfeld weiter aufzu­hellen?

Im Rahmen der Studien „Sicherheit und Gewalt in Nordrhein-Westfalen“ (2019) und „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD 2020 ff.) wurden in den vergangenen Jahren Erkennt­nisse zur Verbreitung von Vergewaltigungen in Nordrhein-Westfalen sowie zum Anzeigever-halten der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich des Phänomens erhoben. Die Polizei in Nord­rhein-Westfalen hat sich an den Studien beteiligt, um das Dunkelfeld weiter aufzuhellen. Das Land Nordrhein-Westfalen beteiligt sich auch zukünftig an der Studie SKiD. Die zweite Erhe­bungswelle wird im Frühjahr 2024 umgesetzt. Nachfolgend ist eine Wiederholung im Zwei-Jahres-Turnus vorgesehen. Die Erkenntnisse aus den Studien bilden die Grundlage, vorhan­dene polizeiliche Maßnahmen weiter zu optimieren und damit dem Kriminalitätsphänomen zielgerichtet zu begegnen.

Eine wichtige Voraussetzung, die Anzeigebereitschaft von Opfern sexualisierter Gewalt zu steigern, ist die Stärkung des Vertrauens der Betroffenen in ein faires und opfergerechtes Strafverfahren. Der Stärkung dieses Vertrauens dient neben dem Einsatz geschulter Sonder­dezernentinnen und Sonderdezernenten bei den Staatsanwaltschaften insbesondere die Un­terstützung der Betroffenen in rechtlicher Hinsicht durch die Nebenklage und in psychosozialer Hinsicht durch die psychosoziale Prozessbegleitung. Über beide Unterstützungsangebote, die Vergewaltigungsopfern in einem Ermittlungs- und Strafverfahren kostenfrei zur Verfügung ste­hen, werden diese frühzeitig aufgeklärt. Etwaige Beiordnungsanträge werden zeitnah bearbei­tet und beschieden.

Daneben können sich die verletzten Personen jederzeit an die Beauftragte des Landes für den Opferschutz unter der Opferhotline 0221/39909964 wenden, die im Rahmen ihrer Beratungs- und Lotsenfunktion Informationen zu Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten bereithält und im Bedarfsfall in das Hilfesystem vermittelt.

 

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