Verschleierung des migrationspolitischen deutschen Staatsversagens durch eine Ent­wertung der deutschen Staatsangehörigkeit? NRW muss sich den Plänen der Bundes­regierung zur Revision des Staatsangehörigkeitsgesetzes entschieden entgegenstel­len.

Antrag

Antrag
der Fraktion der AfD

Verschleierung des migrationspolitischen deutschen Staatsversagens durch eine Ent­wertung der deutschen Staatsangehörigkeit? NRW muss sich den Plänen der Bundes­regierung zur Revision des Staatsangehörigkeitsgesetzes entschieden entgegenstel­len.

I. Ausgangslage

Im Zuge zahlreicher gravierender Änderungen im Ausländerrecht liegen aktuell höchst umstrit­tene Pläne der Bundesregierung zu einer grundlegenden Revision des Staatsangehörigkeits­rechts vor. Auch zwischen den regierungstragenden Parteien der grün-schwarzen NRW-Lan­desregierung kam es in diesem Zusammenhang erneut zu größeren Irritationen. Während NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) von einem „guten und richtigen Schritt für ein modernes Einwanderungsland“ sprach und somit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) folgte, entgegnete CDU-Landtagsfraktionsvize Gregor Golland, dass die deutsche Staatsbürgerschaft „entwertet und praktisch verschenkt“ werde.1 Auf Bundesebene sah man in den Reihen der CDU gar die Gefahr, dass der deutsche Pass „zur Ramschware“ werde.2

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen rechtmäßig in Deutschland lebende Ausländer gem. § 10 (1) Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) künftig in der Regel schon nach fünf statt nach bisher acht Jahren eingebürgert werden können. Bei Menschen, die gem. § 10 (3) StAG besondere Anstrengungen unternommen haben, etwa durch schulische oder berufliche Leis­tungen, ehrenamtliches Engagement oder besonders gute Sprachkenntnisse, soll die Frist von bisher sechs auf drei Jahre verkürzt werden können. Die Möglichkeit zur Einbürgerung inner­halb der verkürzten Frist würde automatisch auch für Ehegatten oder eingetragene Lebens­partner sowie minderjährige Kinder gelten, selbst wenn diese die Voraufenthaltszeiten zu die­sem Zeitpunkt noch nicht erfüllt haben. Unabhängig davon, dass es sich bei der Anspruchs­einbürgerung gem. § 10 StAG – im internationalen Vergleich – schon bereits um ein rechtliches Kuriosum handelt, sind die Bedingungen und weitere tatsächliche Punkte zu hinterfragen.

Aktuell leben ca. 11,8 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland, davon ca. 5,9 Millionen seit mehr als acht Jahren. Diese könnten bei Erfüllung der anderen Voraussetzungen momentan eingebürgert werden. Weitere 2 Millionen Menschen könnten von einer Verkürzung der nötigen Aufenthaltsdauer auf fünf Jahre profitieren, darunter – wenn die anderen Voraussetzungen erfüllt sind – u.a. auch zahlreiche Personen, die im Rahmen der Flüchtlings- bzw. eher Grenzschutzkrise der Jahre 2015–2017 nach Deutschland gekommen sind und sich hier mit einem anerkannten Schutzstatus aufhalten. Oftmals hat sich der Aufent­halt dabei bereits in Form einer Niederlassungserlaubnis gem. § 26 AufenthG verfestigt.3

Hinzu kommen zukünftig vermehrt grundsätzlich ausreisepflichtige Personen, die in Anwen­dung des Chancen-Aufenthaltsrechts nach 18 Monaten die Voraussetzungen gem. § 25a bzw. § 25b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) erfüllt haben.

Außerdem ist geplant, dass auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern aus Drittstaaten gem. § 4 (3) StAG automatisch Deutsche werden, wenn ein Elternteil bereits seit fünf (statt bisher acht) Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesre­publik hat. Dies hätte zugleich eine Verstetigung des Aufenthalts der Eltern und Geschwister zur Folge.

Für Menschen über 67 soll es Erleichterungen beim Sprachnachweis und beim Einbürge­rungstest geben. Für diesen Personenkreis soll es ausreichen, sich mündlich im Alltag ver­ständigen zu können. Der formelle Sprachtest und der Wissenstest über Deutschland sollen für diese Altersklasse wegfallen. Diese Maßnahmen betreffen insbesondere Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration.

Die Möglichkeiten zur Mehrfachstaatsangehörigkeit sollen deutlich ausgeweitet werden. Der Grundsatz einer Verhinderung der Doppelstaatsangehörigkeit soll aufgegeben werden.

Mit der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit soll zukünftig einer vorgeblichen Un­gleichbehandlung von Unionsbürgern sowie Bürgern der Schweiz auf der einen und Auslän­dern aus Drittstaaten auf der anderen Seite entgegengewirkt werden. Eine diesbezügliche Än­derung könnte bis zu drei Millionen Menschen den Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft erleichtern. Im Jahre 2021 wurden lediglich 2,45 Prozent der seit mindestens zehn Jahren in Deutschland lebenden Bevölkerung eingebürgert. Das liegt daran, dass auf der einen Seite zahlreiche Unionsbürger zwar in Deutschland ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben, aber trotzdem keine Veranlassung zur Einbürgerung sehen und auf der anderen Seite Menschen aus Drittstaaten ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aus unterschiedlichen Gründen nicht aufgeben wollen und somit die Möglichkeit zur Erlangung der deutschen Staatsange­hörigkeit aus eigenem Antrieb heraus bewusst ausschlagen.

Insbesondere bei letzterer Gruppe erscheint es mehr als fraglich, ob die Hinnahme der dop­pelten Staatsangehörigkeit der Integration dienlich sein kann, wenn doch selbst nach län­gerem Aufenthalt in Deutschland ein uneingeschränktes Bekenntnis – in Form einer Auf­gabe der bisherigen Staatsangehörigkeit – offensichtlich unmöglich bzw. nicht zumutbar erscheint und daher oftmals auch nicht angestrebt wird. Der Pass sollte am Ende eines ge­lungenen Integrationsprozesses stehen, keinesfalls aber an dessen Anfang bzw. auch noch als Belohnung für ein mangelndes Bekenntnis zur neuen Heimat verliehen werden.

Geplant sei im Zusammenhang mit der Revision des Staatsangehörigkeitsrechts auch, dass das nachzuweisende Sprachvermögen gesenkt wird. Zusammengefasst wären die Maßnah­men, wie in einem Kommentar bei Tichys Einblick bemerkt, eben „keine Integrationsmaß­nahme, sondern das genaue Gegenteil: Es ist der Verzicht auf Integration und wird somit zu einer desintegrierten Gesellschaft beitragen, deren Staatsbürger nicht einmal die Sprache ih­res Staates beherrschen müssen. […] Der Verzicht auf jegliche Mühen für die Einzubürgern­den ist auch ein Signal der Entwertung: Je niedriger der Staat die Hürden zur Einbürgerung legt, desto mehr wird der Stellenwert der Staatsbürgerschaft herabgesetzt und desto geringer ist der Anreiz – von Druck gar nicht zu reden – für Einwanderer sich in die deutsche Gesell­schaft einzufügen.“4

Aus diesem Grund sieht die bisherige Rechtslage – mit Ausnahme der Unionsbürger – nur wenige, gut begründete Ausnahmen bei der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit vor. Wie wichtig und richtig der Grundsatz der Vermeidung der Doppelstaatigkeit ist, wurde ein­drücklich durch irritierende Aussagen des Vorsitzenden des NRW-Landesintegrationsrats an­lässlich einer Anhörung zum Thema „doppelte Staatsangehörigkeit“ deutlich belegt. Tayfun Keltek führte bei dieser Gelegenheit u.a. aus:

„Die Verhinderung der doppelten Staatsangehörigkeit verhindert die Integration, verhindert das Vertrauen in unseren Staat. […] Den Menschen zu sagen, dass sie diese ablegen, aufge­ben sollen, heißt, ihnen die Hälfte ihrer Identität zu nehmen. Das ist unmenschlich. […] Die Verhinderung der doppelten Staatsangehörigkeit ist das größte Handicap für den Integrations­prozess und das Vertrauen in unseren Staat, vor allem im Zusammenhang mit Ungleichbe­handlung. […] Die Menschen, die hier 40, 50 Jahre gearbeitet haben, sind immer noch Aus­länder. […] Wenn man dies [die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit] nicht aner­kennt, nimmt man die Menschen nicht mit. Dann kann man von ihnen auch nicht die volle Leistung für unsere Gesellschaft erwarten.“5

Der Vorsitzende des NRW-Landesintegrationsrats gibt in dieser Stellungnahme somit an, dass Ausländer Leistung zurückhalten würden, solange diese nicht die deutsche Staatsangehörig­keit unter Beibehalt ihrer zweiten Staatsbürgerschaft erlangen können. Wenn die Solidarität mit der neuen Heimat allerdings derart gering ausgeprägt ist, verbietet sich im ureigenen Inte­resse eines souveränen Landes die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit. Wer sich dagegen vollumfänglich zu seiner neuen Heimat bekennt, hat auch nach aktueller Rechtslage – unter Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit – die Möglichkeit zur uneingeschränkten Hinwendung zum neuen Staat.

Die durch den NRW-Landesintegrationsrat beklagte ungleiche Behandlung von Unionsbür­gern und Schweizern6 auf der einen und Nicht-EU-Ausländern – z.B. aus der Türkei – auf der anderen Seite ist rechtlich zwingend, was sich mit der Überlagerung des deutschen Staats-bürgerschaftsrechts durch EU-Recht begründet.

Eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern würde dem Diskriminierungsverbot nach Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU widersprechen. Es gibt hier ein zwingendes Ab­standsgebot. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund in dieser Frage liegt in dem Gedanken der europäischen Integration.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wirft allerdings auch die entscheidende und grund­sätzliche Frage auf, ob die hier deutlich werdende politische Agenda der Bundesregierung noch verfassungsgemäß ist. So führte ein Sachverständiger im Rahmen der bereits erwähnten Anhörung und in seiner schriftlichen Stellungnahme aus:

„Die Präambel wie Art. 146 des Grundgesetzes setzt das „Deutsche“ bzw. „deutsche Volk“ als verfassungsgebende Gewalt voraus. Dieses deutsche Volk ist jedoch 1949 nicht erst durch das Grundgesetz rechtlich kreiert worden, sondern es wurde von ihm, und zwar als Abstam­mungsgemeinschaft im Sinne des alten Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913, bereits vorgefunden und vorausgesetzt. […] Eine völlige und grundlegende Umstellung des Staatsbürgerschaftsrechts etwa vom Abstammungs- auf das Geburtsprinzip würde aber dem Grundgesetz widersprechen […] weil der einfache Bundesgesetzgeber nicht die verfassungs­gebende Gewalt im Nachhinein austauschen darf. Das Grundgesetz konstituiert die Bundes­republik als den Nationalstaat gerade des deutschen Volkes, das eben […] grundsätzlich eine Abstammungsgemeinschaft war und ist, woran ja nicht einer der Väter und nicht eine der Müt­ter des Grundgesetzes irgendeinen Zweifel hatte. Daher wäre jedenfalls eine grundsätzliche Umstellung des Staatsbürgerschaftsrechts vom Leitbild der offenen Abstammungsgemein­schaft zu einer Art Zuwanderer- und Geburtsrechtsgemeinschaft nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren.“7

„Denn das deutsche Volk unterfällt insofern der sogenannten Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes, auch wenn es nicht explizit darin steht. Das folgt eben aus der Erwägung, dass keine der verfassten Gewalten, schon gar nicht der einfache Gesetzgeber, aber eben auch nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber, weil der auch verfasst ist, im Nachhinein die verfassungsgebende Gewalt austauschen könnte. Daher muss unter dem Grundgesetz immer ein Staatsangehörigkeitsrecht erhalten bleiben, das im Kern und im We­sentlichen von einer Abstammungsgemeinschaft ausgeht.“8

II. Der Landtag stellt fest,

  1. dass es sich bei der Naturalisation, also beim Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit, um einen bedeutenden Rechtsakt handelt;
  2. dass dieser Rechtsakt nicht durch eine leichtfertige Handhabung entwertet werden darf und
  3. dass die aktuell vorgesehene Revision des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts in die­ser Form mit der dahinterstehenden politischen Agenda nicht den Interessen unseres Landes entspricht.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

sich auf Bundesebene – ggf. in Abstimmung mit anderen Ländern – entschieden gegen die von der Bundesregierung vorgesehene Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auszu­sprechen.

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner
Klaus Esser
Christian Loose
Sven Tritschler
Dr. Daniel Zerbin
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 Vgl. h t t p s : / / w w w. w a z . d e / p o l i t i k / l a n d e s p o li t i k / n r w – m i ni s t e r i n – n e n n t – l e i ch tere-einbuergerung-ueberfaellig-id237023281.html

2 Vgl. h t t p s: / / w w w . w e l t . de / p o l i t i k /d e u t sc h l a n d/ a r t ic l e 2 4 2 3 23889/Innenmi-nisterin-Faeser-will-Einbuergerungen-erleichtern.html

3 Vgl. Lt.-Drucksache 17/15201

4 h t t p s :/ / w w w .t i c h ys e i n bl i c k . de/kolumnen/knauss-kontert/faeser-und-scholz-schraege-argumente-fuer-die-schnelle-staatsbuergers c h a ft/

5 Lt. Apr 17/1426 vom 12.05.2021 (Anhörung zum Antrag der Fraktion der SPD; Lt.-Drucksache 17/12375; „Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts dringend erforderlich – Doppelte Staats­bürgerschaft ausnahmslos ermöglichen“)

6 Vgl. Anwendungshinweise zum StAG h t t p s : // w w w . bm i . b un d . d e /S h a r edDocs/down-loads/DE/veroeffentlichungen/themen/verfassung/stag-anwendungshinweise-06-15.pd f ?_ _ b l o b = pu b l i c at i o n Fi l e &v=6 ; 8.1.2.6.3.8

7 Lt.-Stellungnahme 17/3910

8 Lt. Apr 17/1426 vom 12.05.2021 (Anhörung zum Antrag der Fraktion der SPD; Lt.-Drucksache 17/12375; „Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts dringend erforderlich – Doppelte Staats­bürgerschaft ausnahmslos ermöglichen“)