Kleine Anfrage 4222
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Zacharias Schalley AfD
Weiterhin steigende Inobhutnahmenzahlen in NRW?
Die Inobhutnahme eines Kindes oder Jugendlichen stellt eine vorläufige Maßnahme zum Schutz des Kindeswohls dar. Jugendämter sind gemäß §§ 42, 8a SGB VIII befugt und verpflichtet, Kinder oder Jugendliche in Obhut zu nehmen, wenn eine akute Gefahr für das Wohl des Kindes oder Jugendlichen vorliegt. Diese Aufgabe erfüllen die Jugendämter im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung in eigener Zuständigkeit.
Die Gründe für Inobhutnahmen sind vielfältig und umfassen unter anderem vorausgegangene oder drohende häusliche Gewalt, seelische Misshandlung, sexuelle Misshandlung, Vernachlässigung, Überforderung der Eltern sowie Alkohol- oder Drogenproblematiken. In Deutschland ist in den meisten Fällen eine dringende Gefahr für das Kindeswohl der Auslöser für eine Inobhutnahme.
Im Jahr 2022 wurden bundesweit über 66.000 Minderjährige in Obhut genommen, was einem Anstieg von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Allein in Nordrhein-Westfalen verzeichneten die Jugendämter im selben Jahr einen Anstieg der vorläufigen Schutzmaßnahmen um 35,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was 16.546 Inobhutnahmen entspricht. Der Hauptgrund für diesen Anstieg war die Zahl der unbegleiteten Einreisen von Minderjährigen aus dem Ausland, die um 162,2 Prozent auf 6.529 Fälle anstieg, was fast 40 Prozent (39,46 Prozent) der Inobhutnahmen ausmacht. Weitere häufige Gründe für Inobhutnahmen waren die Überforderung der Eltern und Anzeichen von Vernachlässigung. Die Mehrheit der betroffenen Kinder und Jugendlichen war 14 Jahre oder älter und stammte aus Familien mit Migrationshintergrund. Die meisten Minderjährigen wurden während der Schutzmaßnahme in Einrichtungen untergebracht.1
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen wurden in den Jahren von 2015 bis einschließlich 2023 durch die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen durchgeführt? (Bitte nach Jahr, Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, Verwaltungsbezirk, Hinweisgeber und Grund der Inobhutnahme inklusive Anzahl der sonstigen Gründe aufschlüsseln)
- Wie wurden die Kinder und Jugendlichen nach ihrer Inobhutnahme untergebracht? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 nach Pflegefamilien, Heimen und anderen Unterbringungsarten aufschlüsseln.)
- Wie hoch waren die Kosten, die durch die Inobhutnahmen in Nordrhein-Westfalen entstanden sind? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 nach Verwaltungsbezirk und Kosten aufschlüsseln.)
- In wie vielen Fällen haben Erziehungsberechtigte einer Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII widersprochen? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 und nach Anzahl der Widersprüche aufschlüsseln.)
- In wie vielen der oben genannten Fälle, in denen die Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme widersprochen haben, wurde die Inobhutnahme durch das Familiengericht nicht bestätigt? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 aufschlüsseln.)
Enxhi Seli-Zacharias
Zacharias Schalley
1 https://www.it.nrw/nrw-zahl-der-schutzmassnahmen-fuer-kinder-und-jugendliche-im-jahr-2022-um-357-prozent-gestiegen (abgerufen am 15.07.2024)
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 4222 mit Schreiben vom 21. August 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
- Wie viele Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen wurden in den Jahren von 2015 bis einschließlich 2023 durch die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen durchgeführt? (Bitte nach Jahr, Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, Verwaltungsbezirk, Hinweisgeber und Grund der Inobhutnahme inklusive Anzahl der sonstigen Gründe aufschlüsseln)
Die Daten zu Inobhutnahmen können für die Jahre 2015 bis 2022 der Veröffentlichung von IT.NRW „Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen nach § 42 SGB VIII durch das Jugendamt“ entnommen werden . Daten für das Jahr 2023 liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor.
- Wie wurden die Kinder und Jugendlichen nach ihrer Inobhutnahme untergebracht? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 nach Pflegefamilien, Heimen und anderen Unterbringungsarten aufschlüsseln.)
Die Daten können der Tabelle: „Inobhutnahmen gemäß § 42 SGB VIII mit anschließender stationärer Hilfe“ (Anlage 1) entnommen werden.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Jahrgänge ab 2018 aufgrund methodischer Veränderungen in der Statistik nur eingeschränkt mit früheren Jahren vergleichbar sind. Nähere Erläuterungen dazu finden sich in den Fußnoten der Anlage 1.
Ab dem Jahr 2023 wurde die Erhebung im Rahmen der amtlichen Kinder- und Jugendhilfesta-tistik (erneut) methodisch verändert, darunter auch die Erfassung des Maßnahmeendes. So wird ab 2023 differenziert erhoben, ob am Ende der Maßnahme eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder in einer stationären Einrichtung erfolgte. Die Daten für das Jahr 2023 sind noch nicht veröffentlicht.
- Wie hoch waren die Kosten, die durch die Inobhutnahmen in Nordrhein-Westfalen entstanden sind? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 nach Verwaltungsbezirk und Kosten aufschlüsseln.)
Die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik weist maßnahmenbezogene Ausgaben der öffentlichen Hand für Inobhutnahmen und vorläufige Inobhutnahmen gemäß §§ 42, 42a SGB VIII aus. Eine Differenzierung zwischen Inobhutnahmen gemäß § 42 und § 42a SGB VIII ist dabei nicht möglich. Darüber hinaus werden einrichtungsbezogene Ausgaben erfasst, hier allerdings pauschal für „Einrichtungen für Hilfe zur Erziehung und Hilfe für junge Volljährige sowie für die Inobhutnahme“. Die Ausgaben speziell für Inobhutnahme-Einrichtungen lassen sich nicht differenziert darstellen. Dargestellt werden daher die maßnahmenbezogenen Ausgaben für (vorläufige) Inobhutnahmen (§§ 42, 42a SGB VIII). Diese Daten können der Tabelle „Ausgaben für Inobhutnahmen“ (Anlage 2) entnommen werden. Die von IT.NRW bereitgestellten Tabellen enthalten in der Ausdifferenzierung der Kostenpositionen keine regionale Aufschlüsselung und liegen daher nur für die Landesebene vor. Die Daten für 2023 sind noch nicht veröffentlicht.
- In wie vielen Fällen haben Erziehungsberechtigte einer Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII widersprochen? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 und nach Anzahl der Widersprüche aufschlüsseln.)
Eine Beantwortung ist anhand der vorliegenden statistischen Daten nicht möglich.
Die Information, ob Personensorge- oder Erziehungsberechtigte Widerspruch gegen die Maßnahme der Inobhutnahme eingelegt haben, wurde in der amtlichen Kinder- und Jugendhilfesta-tistik bislang nicht erfasst. Ab dem Erhebungsjahr 2023 wird diese Frage zwar erfasst; jedoch sind die Daten zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht.
Im Rahmen der bundesweit abgestimmten Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in Familiensachen (F-Statistik) werden keine gesonderten Daten dazu erhoben, in wie vielen Fällen Erziehungsberechtigte einer Inobhutnahme gemäß § 42 Absatz 3 Satz 2 SGB VIII widersprochen haben.
- In wie vielen der oben genannten Fälle, in denen die Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme widersprochen haben, wurde die Inobhutnahme durch das Familiengericht nicht bestätigt? (Bitte für die Jahre 2015 bis einschließlich 2023 aufschlüsseln.)
Eine Beantwortung ist anhand der der Landesregierung vorliegenden statistischen Daten nicht möglich.
Im Rahmen der bundesweit abgestimmten Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in Familiensachen (F-Statistik) werden unter dem Verfahrensgegenstand 09 „Elterliche Sorge“ alle Verfahren, welche die elterliche Sorge zum Gegenstand haben, erfasst. Eine weitergehende Differenzierung danach, ob es sich um ein Verfahren wegen einer Inobhutnahme nach einem Widerspruch der Erziehungsberechtigten handelt, findet nicht statt. Ebenso werden anhand der F-Statistik keine statistischen Daten zu dem Ausgang des gerichtlichen Verfahrens erhoben.