Große Anfrage 18
der Fraktion der AfD
Cave canem, cave hominem? Bilanz der Hundehaltung in Nordrhein-Westfalen
In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der in Nordrhein-Westfalen gehaltenen und registrierten Hunde extrem zugenommen. Wie aus der Landeshundestatistik hervorgeht, stieg die Anzahl der Hunde im Land von 848.501 im Jahr 2017 auf 1.018.149 im Jahr 2021.1 Damit hat sich ihre Anzahl binnen 5 Jahren um 169.648 Tiere erhöht, was einer Zuwachsrate von mehr als 16 Prozent entspricht. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer nicht angemeldeter Hunde, die je nach Kommune bis zu 30 Prozent betragen kann.2
Zentrale Ursache für die Zunahme ist die Corona-Pandemie. So stieg die Zahl der Hundehalter noch stärker an als zuvor.3 Eine erste negative Folge zeigte sich mit einem Abebben der Pandemie: Viele Hunde wurden von ihren Besitzern ins Tierheim gegeben.4
Eine weitere Folge der gestiegenen Zahl an Hunden ist ein deutlicher Anstieg der registrierten Vorfälle, wie etwa Bisse bei Mensch und Tier sowie gefährliche Vorfälle. So gab es im Jahr 2017 896 Beißvorfälle mit Verletzungen beim Menschen, 1.187 Beißvorfälle mit Verletzungen bei einem anderen Tier und 597 sonstige gefährliche Vorfälle. 2021 lagen die Zahlen hingegen bei 1.125 Beißvorfällen mit Verletzungen beim Menschen, 1.375 Beißvorfällen mit Verletzungen bei einem anderen Tier und 806 sonstigen gefährlichen Vorfällen.5 Der Anstieg betrug damit bei Verletzungen beim Menschen 229 (+ 25,5 %), bei Beißverletzungen bei anderen Tieren 188 (+ 15,8 %) und bei sonstigen gefährlichen Vorfällen 209 (+ 35 %). Die Steigerungsraten liegen damit gleich hoch oder sogar deutlich höher als die oben beschriebene Zunahme der gemeldeten Hunde.
Wie die Statistik aber auch zeigt, geht dieser Anstieg nicht auf eine erhöhte Anzahl an gefährlichen Hunden (§ 3 LHundG NRW) oder an Hunden bestimmter Rassen zurück (§ 10 LHundG NRW). Vielmehr scheint die gestiegene Zahl an großen Hunden (§ 11 LHundG NRW) und allen anderen Hunden verantwortlich für diese Entwicklung zu sein.6 Die durch das LHundG NRW vorgenommene Einteilung in gefährliche und andere Hunde erscheint damit als wenig plausibel. Dies zeigt sich umso mehr an der Tatsache, dass alle 16 deutschen Bundesländer über unterschiedliche Regelungen der Materie verfügen. Während etwa in Hessen neun Rassen als gefährliche Hunde definiert sind, sind es in NRW nur vier. Die Länder Schleswig-Holstein, Thüringen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern besitzen überhaupt keine Listen.7 Im Saarland besteht eine Liste mit nur drei Rassen, die nach einem Wesenstest zu ungefährlichen Hunden erklärt werden können.8 Die Landesregierung sollte daher über neue Möglichkeiten nachdenken, den hier skizzierten Problemen zu begegnen. Obwohl dem Landesumweltministerium, das für die Erstellung der jährlichen Landeshundestatistik verantwortlich zeichnet, die hier skizzierte negative Entwicklung bekannt sein sollte, wurde bisher keine Trendumkehr erwirkt. Dies dürfte nicht zuletzt an der eingeschränkten Datenbasis liegen, die die Landeshundestatistik bietet.
Welche Erkenntnisgewinne eine genauere Erhebung von Daten haben kann, zeigt die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (Drucksache 18/1545). Diese ergab, dass in den Jahren 2017–2021 1.153 Personen ein Hund auf Grundlage des § 12 Absatz 2 Satz 4 LHundG NRW entzogen wurde. 885 Personen wurde auf Grundlage von § 12 Absatz 2 Satz 3 LHundG NRW die Haltung eines Hunds generell untersagt. Insgesamt 1.325 Hunde wurden im Einzelfall als gefährlich festgestellt. Wie die Landesregierung in ihrer Antwort anmerkte, hatten die zuständigen Behörden aber nicht ausreichend Zeit, um den Grund für die Feststellung der Gefährlichkeit sowie die Rasse der betroffenen Hunde zu nennen.
Die Landesregierung räumte in ihrer Antwort außerdem selbst ein, dass das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW prüft, „inwieweit einzelne Parameter aus der Berichtspflicht der zuständigen örtliche Ordnungsbehörden künftig erweitert oder konkreter gefasst werden können“. Die von uns gestellten Fragen haben also auf einen veritablen Missstand hingewiesen und bereits Veränderungen angestoßen.
Die Landesregierung war jedoch nicht bereit, einen grundsätzlichen Mangel des LHundG NRW festzustellen und zu beheben: die gegen die wissenschaftliche Grundmeinung laufende Einteilung von Hunden in gefährliche und ungefährliche Rassen.9 Auch in anderen Bereichen scheint die Landesregierung mit aktuellen Entwicklungen nicht Schritt halten zu können. So sind in den vergangenen Jahren immer wieder neuartige Rassen nach Deutschland gelangt, die sich auf keinerlei Liste – weder nach § 3 noch nach § 10 LHundG NRW – finden lassen. Cane Corso und Kangal sind nur zwei solcher Rassen, die das Potenzial haben, anstelle gelisteter Hunde ersatzweise erworben zu werden, da für sie nur die 20/40-Regel gilt. Sie verfügen phänotypisch und rassepsychologisch über vergleichbare Eigenschaften wie die gelisteten Rassen und wären demnach als ebenso gefährlich einzustufen. Bedingt durch die geltende Rechtslage sind sie aber einfacher zu erwerben und zu halten. Damit bieten diese Rassen eine gute Möglichkeit, die Hürden der Rasseliste zu umgehen.
Auch für unbescholtene Halter bergen diese Rassen große Gefahren. So wurde im Jahr 2022 in NRW ein Kangal-Mischling durch die Polizei erschossen, da das Tier sich von der Leine gerissen und wahllos Personen attackiert hatte.10 Durch eine mangelnde Regelung des Zugangs zu solchen Arbeitsrassen, die schlicht nicht für die heimische Haltung geeignet sind, entstehen also Gefahren für die Allgemeinheit. Auch hier besteht durch die Landesregierung dringender neuer Regelungsbedarf, der durch ein mehr als 20 Jahre altes Gesetz wie das LHundG NRW nicht abgedeckt wird.
Darüber hinaus droht mit einer weiteren Entwicklung neues Unheil: in NRW sind Mischlings-Exemplare aus Wölfen und Hunden aufgetaucht. Diese als Wolfshybride apostrophierten Tiere bringen ganz eigene Herausforderungen mit sich, können aber nach derzeitigem Rechtsstand durch Privatpersonen gehalten werden, wenn es sich mindestens um F5-Mischlinge handelt. Bei diesen ist die Abstammung vom Wolf durch vier Generationen der Verkreuzung mit Haushunderassen aufgeweicht.11 Trotz dieser weiten genetischen Entfernung vom eigentlichen Wolf warnen Verbände dennoch massiv vor der Haltung dieser Hybriden. Sie seien auch durch erfahrene Hundehalter kaum kontrollierbar und hätten daher in Privathaushalten keinen Platz.12 All diese Entwicklungen zeigen, dass die Bewertung der Hundehaltung in NRW eingehend analysiert und bei Bedarf optimiert werden muss.
Wir fragen daher die Landesregierung:
Komplex I – Hunde
- Wie viele der in den Jahren 2017–2022 behördlich erfassten Hunde waren nicht angemeldet? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Hunderasse und Grund der Erfassung)
- Welche dieser Hunde verstießen gegen § 5 des Landeshundegesetzes NRW? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Hunderasse und Grund der Erfassung)
- Wie viele Hunde wurden in den Jahren 2017–2022 nach § 3 Absatz 3 LHundG NRW im Einzelfall als gefährlich festgestellt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Grund gemäß § 3 Absatz 3 Satz 1–6 LHundG NRW und Hunderasse)
- Wie verteilen sich die in der Landeshundestatistik aufgeführten Berichtergebnisse für „Sonstige große Hunde“ auf die verschiedenen darunter subsumierten Rassen für die Jahre 2017–2022? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Art des Vorfalls, Ort und Rasse)
- Wie viele Wolfshybride werden derzeit in Privathaushalten in NRW gehalten? (Bitte aufschlüsseln nach Generation des Tiers und Ort)
- Wie bewertet die Landesregierung die Haltung von Wolfshybriden?
- Schätzt die Landesregierung Wolfshybride entgegen dem LHundG NRW als gefährliche Hunde ein?
Komplex II – Halter
- Welche Staatsangehörigkeit besaßen Halter von in den Jahren 2017–2022 behördlich erfassten Hunden? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse sowie Nationalität)
- Wie viele Halter von in den Jahren 2017–2022 behördlich erfassten Hunden waren vorbestraft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
- Wie viele Halter von in den Jahren 2017–2022 behördlich erfassten Hunden erhielten Leistungen nach SGB 2? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Stadt bzw. Kommune, Art der empfangenen Leistung und Hunderasse)
- Wie viele Halter verfügten in den Jahren 2017–2022 über mehrere Hunde, die behördlich erfasst wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Hunderasse)
- Wie vielen Haltern wurde in den Jahren 2017–2022 ein Hund entzogen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Stadt bzw. Kommune und Hunderasse)
- Wie viele dieser Personen waren vorbestraft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Stadt bzw. Kommune, Hunderasse und Vorstrafen)
- Wie vielen Personen wurde in den Jahren 2017–2022 das Halten eines Hundes generell untersagt?
- Wie viele dieser Personen waren vorbestraft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Stadt bzw. Kommune, Hunderasse und Vorstrafen)
- Wie viele Anzeigen wegen eines Verstoßes gegen §§ 5–9 LHundG NRW wurden in den Jahren 2017–2022 verzeichnet? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Verstoß, Strafmaß und betroffener Hunderasse)
Komplex III – Landeshundegesetz
- Hält die Landesregierung eine Novellierung des LHundG NRW für notwendig?
- Plant die Landesregierung die unter § 3 und § 10 genannten Rasselisten zu verändern?
- Wie begründet die Landesregierung die 20/40-Regel?
- Plant die Landesregierung eine Veränderung der 20/40-Regel?
Komplex IV – Maßnahmen der Landesregierung
- Wie bewertet die Landesregierung den Anstieg der Beißvorfälle in den vergangenen Jahren?
- Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um diesem Trend entgegenzuwirken?
- Wie steht die Landesregierung zu einer DNA-Analyse von Hundekot, um Verschmutzungen im öffentlichen Raum entsprechend zu verfolgen?
Zacharias Schalley
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
Sven W. Tritschler
Klaus Esser
Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner
Carlo Clemens
Dr. Hartmut Beucker
1 Auswertung der Berichte über die Statistik der in den Jahren 2020 und 2021 in Nordrhein-Westfalen behördlich erfassten Hunde, https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/landwirtschaft/tierhaltung_tierschutz/landeshundestatistik_nr w_bericht_2017.pdf, S. 17, und Auswertung der Berichte über die Statistik der im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen behördlich erfassten Hunde, https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/landwirtschaft/tierhaltung_tierschutz/landeshundestatistik_nr w_bericht_2020_2021.pdf, S. 18. Zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Großen Anfrage standen die Zahlen des Jahres 2022 noch nicht online zur Verfügung. Da bei der Hundesteuer im Jahr 2022 von Januar bis September ein neuer Höchststand erreicht wurde liegen weiter gestiegene Zahlen aber nahe, https://www.it.nrw/nrw-kommunen-erzielten-mit-1045r-millionen-euro-neuen-hoechststand-einzahlungen-aus-hundesteuern.
2 https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/duesseldorf-stadt-laesst-unangemeldete-hunde-suchen_aid-37014149; https://www.waz.de/staedte/duisburg/hundesteuer-so-spuert-duisburg-nicht-gemeldete-hunde-auf-id234664355.html.
3 Vgl. etwa https://www.zeit.de/news/2021-03/22/eine-million-mehrhaustiere-in-der-pandemie; https://www.land.nrw/pressemitteilung/machen-sie-die-qual-der-wahl-nicht-zur-wahl-der-qual.
4 https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/corona-sorgt-fuer-volle-tierheime-100.html.
5 https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/landwirtschaft/tierhaltung_tierschutz/landeshundestatistik_nr w_bericht_2017.pdf, S. 17, und https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/landwirtschaft/tierhaltung_tierschutz/landeshundestatistik_nr w_bericht_2020_2021.pdf, S. 18.
7 In Thüringen sind die Auswirkungen dieser Vorgehensweise positiv: https://www.tlz.de/leben/land-und-leute/hunde-in-thueringen-beissen-seltener-zu-id225275841.html.
8 § 1, Absatz 1 LHundG Hessen, § 3, Absatz 2 LHundG NRW und §1 Polizeiverordnung über den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden im Saarland.
9 Zu dieser communis opinio vgl. exemplarisch Roiner, Kathrin, Beißvorfälle unter Berücksichtigung der Hunderassen in Deutschland und Umfrage bei Hundebisspatienten in vier Berliner Kliniken, Berlin 2016 (Diss.), S. 72: „Wird also gesetzlich versucht, Hundebisse über eine Reglementierung der Hunderassen zu reduzieren, wird man kein (sic!) Rückgang der Bisse erzielen. Die vorliegenden Ergebnisse konnten zeigen, dass es keine Hunderasse gibt, die statistisch mehr beißt im Vergleich zu allen anderen Hunderassen.“; vgl. auch die neue Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien https://www.vetmeduni.ac.at/universitaet/infoservice/presseinformationen/presseinformationen-2019/hundegesetzgebung-studie-der-vetmeduni-vienna; ttps://www.stuttgarter-
nachrichten.de/inhalt.beissattacken-durch-hunde-sieben-fakten-ueber-gefaehrliche-hunde.07f89516-3c90-4e20-97b0-2c060c43141d.html.
10 https://www.rtl.de/cms/polizei-in-essen-musste-hund-dieser-rasse-erschiessen-kangals-sind-die-sorgenfelle-der-tierheime-4920193.html; https://www.radioessen.de/artikel/essen-neue-hintergruende-zu-erschossenem-hund-1215822.html; https://www.ruhr24.de/nrw/nrw-polizei-hund-beisst-kind-polizist-tier-erschossen-kangal-hirtenhund-essen-ruhrgebiet-91339273.html.
11 https://www.dbb-wolf.de/Wolfsmanagement/Bundesl%C3%A4nder/umgang-mit-hybriden, https://www.n-tv.de/panorama/Tierschuetzer-warnen-vor-Wildnis-auf-dem-Sofa-article22460110.html.
12 https://www.geo.de/natur/tierwelt/tierschuetzer-warnen-vor-wolfshybriden-als-haustier-30456584.html#:~:text=%C3%84hnlich%20wie%20W%C3%B6lfe%20stehen%20Wolfshybriden,Zucht%20dieser %20Tiere%20erlaubt%20ist. https://welttierschutz.org/wolfshybriden-als-haustier-halten-bitte-nicht/.